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Der deutsche Film "24 Wochen" überzeugt bei der Berlinale

Jochen Kürten14. Februar 2016

Diesem Film kann sich niemand entziehen. Regisseurin Anne Zohra Berrached erzählt die Geschichte eines Paares, das vor einer schweren Entscheidung steht. In der Hauptrolle glänzt Julia Jentsch.

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Berlinale 2016 Filmszene 24 Wochen (Foto: Friede Clausz)
Bild: Friede Clausz

Und schon wieder ein Film, der das Berlinale-Publikum mit einer Intensität in seinen Bann zieht, die nicht oft vorkommt im normalen Kinoalltag. Nur einen Tag nach dem italienischen Dokumentarfilm "Fuocoammare" über die Flüchtlingssituation auf Lampedusa, überraschte ausgerechnet der deutsche Wettbewerbsbeitrag "24 Wochen" mit einer Eindringlichkeit, die viele Zuschauer sprachlos machte.

"24 Wochen", der Hochschul-Abschlussfilm der jungen Regisseurin Anne Zohra Berrached, verschaffte dem Berlinale-Publikum ein intensives Kinoerlebnis. Berrached erzählt von dem jungen Paar Astrid (Julia Jentsch) und Markus (Bjarne Mädel), die bei einer Routineuntersuchung erfahren, dass ihr Kind behindert sein wird. Die Ärzte prognostizieren Down-Syndrom.

Die Ergebnisse der zweiten Untersuchung sind noch bestürzender...

Nachdem sich die Eltern, die bereits eine Tochter haben, zunächst für das Kind entscheiden, werden sie bei einer zweiten Untersuchung mit einer weiteren schweren Missbildung des Kindes konfrontiert: Herzfehler würden direkt nach der Geburt mehrere Operationen notwendig machen. Weitere sichere medizinische Prognosen können auch die Spezialisten im Krankenhaus nicht liefern

Berlinale 2016 Filmszene 24 Wochen (Foto: Friede Clausz)
Julia Jentsch und Bjarne Mädel in "24 Wochen"Bild: Friede Clausz

Astrid und Markus stehen vor der Frage: Sollen sie sich zu einer Spätabtreibung entschließen? Und wie gehen sie mit der dann möglichen Entscheidung um, dass das Kind dann noch vor der Geburt im Mutterleib mit einer Kalium-Chlorid-Spritze getötet werden müsste?

Regisseurin Anne Zohra Berrached hat akribisch recherchiert, sich monatelang mit der schwierigen Materie befasst. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nach der 12. Woche nur dann legal, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt. Treffen diese Dinge zu, dann ist ein Abbruch der Schwangerschaft bis zur Geburt möglich. "Das 'Schicksal' wird zu einer ethischen, juristischen, philosophischen Frage", sagt die Regisseurin: "Die Eltern haben die Wahl, sie entscheiden über Leben und Tod." Was sie dagegen nicht hätten, sei die Wahl, sich vor dieser Entscheidung zu entziehen.

Überzeugendes Zusammenspiel von Profis und Laien

Im Laufe ihrer Recherche hat Berrached mit Betroffenen und Ärzten, mit medizinischen Spezialisten und anderen Experten zusammengearbeitet. Das medizinische Personal im Film wird nicht von Schauspielern gespielt, sondern von richtigen Ärzten. Diese Mischung aus Fiktion und Realität wird noch dadurch verstärkt, dass am Set viel improvisiert wurde, wodurch "24 Wochen" noch an Authentizität gewinnt.

Berlinale 2016 Filmszene 24 Wochen (Foto: Friede Clausz)
Auch für die neunjährige Tochter ist die Situation schwer - hier mit ihrem Vater (Bjarne Mädel)Bild: Friede Clausz

"Beim Dreh war mein primäres Ziel, das Spiel der Laien- und Profidarsteller unsichtbar, real und authentisch werden zu lassen", so die junge Regisseurin. Das ist ihr gelungen. Mit unglaublicher Intensität erwecken Julia Jentsch, Bjarne Mädel, die anderen Darsteller sowie die Laien, die Figuren auf der Leinwand zum Leben. So hat man in keiner Szene das Gefühl, hier werde eine extreme medizinische und menschliche Notsituation lediglich für ein Film- oder Fernsehpublikum vorexerziert. Sie habe versucht, ihre Geschichte in minutiöser Genauigkeit, Direktheit und Wucht zu erzählen, so die Regisseurin.

So muss sich der Zuschauer schon nach wenigen Filmminuten mit der Frage auseinandersetzen, wie er selbst in einer solch schwierigen Situation reagieren würde. "'24 Wochen' konfrontiert die Zuschauer mit einer Frage, die jeder nur für sich selbst beantworten kann," gibt sich die Regisseurin überzeugt.

Berrached: "Extremsituation, die zu extremen Entscheidungen führen"

Dabei lässt die Filmemacherin Raum für beide Positionen. Für diejenigen, die zu einem Spätabbruch tendieren, wie die im Film von Jentsch verkörperte Mutter, aber auch für diejenigen, die menschliches Leben über alles andere stellen. "Auch die Zuschauer, die für sich entschieden haben, dass sie Abtreibungen ablehnen, sollen im Kinosaal einer Frau emotional folgen, die genau das tut, was sie möglicherweise verteufeln," sagt Berrached. Der Film stelle eine Extremsituation dar, die zu einer extremen Entscheidung führt.

Berlinale 2016 Filmszene 24 Wochen (Foto: Friede Clausz)
Das Paar hält zusammen - auch in der schwierigen SituationBild: Friede Clausz

Schauspielerin Julia Jentsch betonte, dass es erst einmal wichtig sei, über das Thema zu reden. "24 Wochen" beschäftige sich mit einem Sujet, dass noch vielfach tabuisiert werde. Man müsse mit Offenheit darüber reden - und man müsse unbedingt versuchen, Verständnis zu entwickeln - für was auch immer sich die betroffenen Menschen entscheiden.

"Mich interessiert der moralische Konflikt"

"Der technische Fortschritt und die immer bessere Diagnostik hat zur Folge, dass wir manchmal vor Entscheidungen stehen, für die es keine moralischen Richtlinien gibt", ergänzt Anne Zohra Berrached: "Mich interessiert der moralische Konflikt als Ergebnis unserer modernen medizinischen Welt."

Ohne Zweifel: es dürfte kaum einen Zuschauer geben, den der Film kalt lässt. Dass die junge Regisseurin für ihr schwieriges Thema auch noch eine passende filmische Form gefunden hat, ist ihr hoch anzurechnen. Für das Rennen um die Bären innerhalb des Wettbewerbs der 66. Berlinale gibt es nach "Fuocoammare" nun mit "24 Wochen" einen weiteren heißen Kandidaten.