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Politik

Dieser Baptistenpriester inspirierte die Wende

Jefferson Chase kk
4. April 2018

Martin Luther King hatte viele Verbindungen zu Deutschland und hinterließ tiefen Eindruck - im Westen wie im Osten. Mit seiner Predigt vom friedlichen Widerstand beeinflusste er auch die deutsche Geschichte.

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Berlin 1964 Martin Luther King an der Berliner Mauer
Bild: picture-alliance/AP

Straßen, Schulen und Kirchen - überall in Deutschland sind Orte nach Martin Luther King Junior benannt. In aller Welt hat der Baptistenpriester aus Atlanta Milliarden Menschen bewegt und inspiriert. Doch zwischen dem Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger und den Deutschen besteht eine besondere Verbindung.

Vom 12. bis 14. September 1964 bereiste der damals 35-jährige King das geteilte Berlin. Sein Besuch wurde vielfach detailliert beschrieben, auch die Tatsache, dass ihm bei seiner Einreise in die DDR seine Kreditkarte als Ausweisdokument diente, weil ihm US-Soldaten seinen Pass weggenommen hatten.

Etwas weniger bekannt ist, wie King zu seinem deutschen Vornamen kam: Wie sein Vater wurde King zunächst auf den Namen Michael getauft. Doch Michael King Senior, der ebenfalls Baptistenprediger war, reiste 1934 ins Hitler-Deutschland, wo er den 100. Jahrestag der Einführung des baptistischen Bekenntnisses in Deutschland mitfeierte. Nach diesem Erlebnis änderte der Vater die beiden Namen zu Martin Luther King.

Gedenktafel Besuch von Martin Luther King in Ost-Berlin 1963
Am 13. September 1963 predigte Martin Luther King unangekündigt in Ost-Berlin vor Tausenden MenschenBild: picture alliance/Schroewig/Bernd Oertwig

Als 30 Jahre später Martin Luther King Junior die inzwischen geteilte Stadt besuchte, predigte er zu den Menschen auf beiden Seiten der Berliner Mauer: "Letzten Endes sind wir - Ost und West, Nord oder Süd - alle Brüder und Schwester in unserem Herrn Jesus Christus", sagte King vor Tausenden von Zuhörern. Er sprach Englisch, ein amerikanischer Dolmetscher übersetzte seine Worte. "Das ist der Glaube, den ich euch anbefehle, ein lebendiger Glaube, der den Sieg Jesu Christi über die Welt bezeugt, ob es eine östliche oder eine westliche Welt sei."

King wollte - es war die Mission seines Lebens - Spaltungen zwischen Menschen überwinden. Er selbst überbrückte die Trennung zwischen dem Kommunismus und dem Kapitalismus, auch wenn seine Anhänger in West und Ost unterschiedliche Bezüge für seine Worte fanden, Worte wie: "Denn hier auf beiden Seiten der Mauer sind Gotteskinder. Und keine durch Menschenhand gemachte Grenze kann diese Tatsache auslöschen."

Anders rezipiert im Westen und Osten

Für die Deutschen im Westen verkörperte King einen möglichen Bruch mit einer ungerechten, in vielen Hinsichten unmenschlichen deutschen Vergangenheit: "In der 68er-Generation war Deutschland im Aufbruch. Und die Leute wollten neue Vorbilder und wollten sich mit der Hippie-Kultur, der Protest-Kultur und dem zivilen Widerstand verbinden - und nicht mit der Nazi-Tradition ihrer Väter", sagt Sieglinde Lemke, Amerikanistik-Professorin an der Universität Freiburg, der Deutschen Welle.

Die Deutschen im Osten verglichen die Unterdrückung der Schwarzen in Amerika mit der Niederschlagung der Opposition in der DDR: "Die Bürgerrechtsbewegung von King, die wir durch die Medien mitgekriegt haben, hatte Parallelen zum Widerstand in Ost-Berlin", erklärt Zeitzeuge Michael M. Schulz, der damals Kings Predigt in der Ostberliner Marienkirche hörte. "Wir haben gesehen, wie die Polizisten in Amerika ihre Hunde auf Demonstranten gehetzt haben. Genau so hat die DDR-Volkspolizei die jugendlichen Oppositionellen aus Berlin behandelt."

Kein Wunder, dass die staatstreuen DDR-Medien die Stippvisite des berühmtesten Bürgerrechtlers seiner Zeit in ihrem Land verschwiegen.

Der Friedensnobelpreisträger und die "Friedliche Revolution"

Sie konnten jedoch nicht verhindert, dass King zivilen Ungehorsam in den kommunistischen Blockstaaten inspirierte - auch über seine Ermordung am 4. April 1968 hinaus. Zum Beispiel im "Prager Frühling". Dass das Reformprogramm von Dubčeks KSČ genau einen Tag nach dem Attentat in Memphis erschien, war wohl eher Zufall. Nicht aber, dass sich die Demonstranten auf King bezogen: "Wir haben mit den Tschechen zusammen auf dem Wenzelsplatz demonstriert, für Demokratie, für Alexander Dubček und 'We Shall Overcome' gesungen", sagt Zeitzeuge Schulz der DW. Das Lied kann als Hymne der Bürgerrechtsbewegung in den USA gelten.

DDR - Montagsdemo 1989
Friedlicher Protest in der DDR 1989. Martin Luther King hatte ihn 25 Jahre zuvor gepredigtBild: picture-alliance/AP

Der Einfluss des schwarzen Friedensaktivisten erstreckte sich bis hinein in die Zeit der Wende: So wurde - fernab der DDR-Hauptstadt, im beschaulichen sächsischen Werdau - Georg Meusel, wie er selbst sagt, zu einem der "Hauptakteure in der Region bei der friedlichen Revolution".

Der King-Anhänger Meusel hatte den Militärdienst in der DDR verweigert und gründete 1989 das Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivilcourage - und trug ein paar Jahre später zum historischen Wissen über King selbst ein kleines Stück bei.

Eine Stimme der Vergangenheit für die heutige Zeit

2003 reiste Meusel zur Marienkirche im Herzen Ost-Berlins - und fand Spektakuläres im Tresor: Original-Tonbandaufnahmen von Kings Predigt 1964, einst von der Stasi aufgezeichnet. Meusel ließ sie in Dresden restaurieren.

"Mit einem Mal kam die Stimme aus dem Rauschen des Bandes heraus", erzählt Meusel der DW. "'My dear Christian friends in East Berlin …' Diese fast prophetischen Sätze zu hören, die ihren Blick auf den Mauerfall richteten und so sehr von Hoffnung geprägt waren…", beschreibt Meusel sein Erlebnis. "Martin Luther King war schon 35 Jahre tot. Aber da ist für mich diese Stimme lebendig geworden."

Kings Gedankengut, sagt Meusel, sei heute "mindestens so aktuell wie in der Zeit von den 1940er- zu den 1960er-Jahren". Er muss es wissen: Sein Martin-Luther-King-Zentrum, das unter anderem gegen Rechtsradikalismus wirken will, befindet sich in einem Wahlkreis, in dem im vorigen September mehr als 26 Prozent der Wähler für die AfD stimmten.

Denkmal für Martin Luther King am Platz der Vereinten Nationen in Berlin
Hier am Platz der Vereinten Nationen würde Michael M. Schulz gerne ein Denkmal von Martin Luther King sehenBild: Michael Markus Schulz

Auch dem Zeitzeugen Michael M. Schulz ist der Friedensnobelpreisträger ein Anliegen geblieben. Er setzt sich dafür ein, dass ein Ehrenmal für King auf dem Berliner Platz der Vereinten Nationen errichtet wird. Dort, wo einst eine Lenin-Statue stand. "Vom Diktator hin zum Friedenstifter" - so fasst Schulz sein Bestreben zusammen.

Ein halbes Jahrhundert nach Kings Ermordung beziehen Menschen immer noch seine Botschaften auf ihre Sorgen und Wünsche, heute vielleicht sogar mehr als in den Zeiten vor Hassrede, Fake News und Rechtspopulisten.

"King ist eine Ikone und eine Galionsfigur für soziale Gerechtigkeit", resümiert Amerikanistin Lemke. "Ich glaube, dass wir uns heutzutage wieder in einer solchen Umbruchsphase befinden, und dass die Unzufriedenheit mit Trump und seinesgleichen in Europa und Russland etwas damit zu tun hat, warum man King wieder aufleben lässt."