"Der Austausch zwischen Fact-Checkern weltweit ist lebenswichtig!" | Regionen | DW | 25.05.2018
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Regionen

"Der Austausch zwischen Fact-Checkern weltweit ist lebenswichtig!"

Cristina Tardáguila ist die Chefin von Agência Lupa, Brasiliens erster Fact-Checking-Agentur. Bei der Konferenz "Fake News and Media Viability" in Beirut sprach sie mit internationalen Kollegen über Herausforderungen.

Cristina Tardáguila ist die Chefin von Brasiliens erster Fact-Checking-Agentur Agência Lupa.

Cristina Tardáguila ist die Chefin von Brasiliens erster Fact-Checking-Agentur Agência Lupa.

Gibt es eine konkrete Verbindung zwischen "Fake News" und der Überlebensfähigkeit der Medien? Wie können Medieninstitutionen ihre Bedeutung wiederherstellen, wenn jeder Nutzer seine Inhalte auf Social-Media-Plattformen publizieren kann? Netzwerke stärken, Erfahrungen austauschen, Ziele formulieren –  das waren die großen Themen der Konferenz "Fake News and Media Viability", organisiert von der DW Akademie und der libanesischen Maharat Foundation. Internationale Fact-Checking- Experten kamen in Beirut zusammen, darunter Cristina Tardáguila, Chefin von Brasiliens erster Fact-Checking-Agentur Agência Lupa.

Für ihre Organisation sei Vernetzung Überlebensgrundlage: "Der Austausch zwischen Fact-Checkern ist existentiell, zum Beispiel, wenn es um die jeweiligen Erfahrungen, Werkzeuge oder Finanzierungsmöglichkeiten geht." Momentan stehe ihre Agentur unter permanentem Beschuss, von vermutlich rechten Gruppierungen werde kolportiert, sie verbreite Lügen.

"Auch die gegenseitige Kontrolle spielt eine wichtige Rolle", sagt Tardáguila. "Außerdem habe ich auf der Konferenz gelernt, wie schwierig Fact Checking für die Kollegen im Nahen Osten ist. Es fehlt dort vor allem an Schutz für ihre Arbeit. In Brasilien? Naja, da ist es auch nicht gerade sicher."

"Noch eine gekaufte Journalistin der großen Medien"

Die Zahl der Organisationen, die sich mit der Verifizierung von öffentlich verbreiteten Informationen befassen, steigt derzeit rapide. Ihre eigene Fact-Checking-Agentur Agência Lupa hat Cristina Tardáguila im November 2015 aus "purer journalistischer Notwendigkeit" gegründet, wie sie selbst sagt. Damals tobte ein erbitterter Kampf in den brasilianischen Medien: Es ging um die mögliche Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff. Gerüchte aus allen Richtungen verbreiteten sich rasend schnell. "Lupa ist zu einem Zeitpunkt der großen politischen Verwirrung entstanden", erklärt Tardáguila. "Wir hatten immense wirtschaftliche Probleme, hohe Arbeitslosigkeit, steigende Inflation. Und zusätzlich wurde der Präsidentin von der eigenen Partei vorgeworfen, ihre Wahlversprechen nicht eingelöst zu haben."

Die größte Herausforderung in der Anfangsphase sei es gewesen, sich als verlässliche Anlaufstelle zu etablieren. "Am Anfang hieß es: 'Noch eine gekaufte Journalistin der großen Medien, die uns die sogenannte Wahrheit verkaufen will!' Wir mussten sehr viele Artikel veröffentlichen, um zu beweisen, dass wir weder A verteidigen, noch B attackieren", erinnert sich Tardáguila.

Bei der Konferenz „Fake News and Media Viability“ in Beirut kamen internationale Fact-Checking- Experten zusammen

Bei der Konferenz „Fake News and Media Viability“ in Beirut kamen internationale Fact-Checking- Experten zusammen.

Unabhängige Berichterstattung ist Mangelware

Tardáguila und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen sich einem strukturellen Problem entgegen: "Noch bevor du in Brasilien die Zeitung öffnest, weißt du in der Regel, was du darin lesen wirst", beschreibt sie die Situation in ihrer Heimat. Unparteiische und unabhängige Berichterstattung seien Mangelware. Rund 80 Prozent der Medien würden von wenigen Familien kontrolliert, an erster Stelle "Rede Globo", ein milliardenschweres Unternehmen mit Radio, TV-Sendern, Zeitschriften und Zeitungen. Die Skepsis gegenüber den großen Medien sei groß. "Sie kommunizieren nicht mit der Masse, mit dem Volk, mit den armen Leuten", so Tardáguila.

Die Existenz Lupas verdankt Tardáguila vor allem dem Dokumentarfilmer und Besitzer des Magazins A Piaui, João Moreira Salles. Er investierte damals in ihr Projekt, das sich heute selbst trägt. Wichtig war auch Laura Zommer, Chefin der argentinischen Fact-Checking-Agentur "Chequeado". "Sie stand vor ähnlichen Herausforderungen wie ich. Die dritte Säule sind meine Ratgeber. Neun Journalisten und drei Personen aus anderen Bereichen. Sie überprüfen tagtäglich die Qualität meiner Arbeit und helfen mir, den Prinzipien des International Fact Checking Network (IFCN) treu zu bleiben", sagt Tardáguila.

Sie glaubt, dass es ihrer Organisation nach drei Jahren harter Arbeit gelungen ist, das Denken bei Lesern und Journalisten zu verändern: "Sobald heute ein Politiker im TV spricht, erhalte ich sofort Tweets mit 'Das müsst ihr checken!'. Es gibt also die Erwartung, dass das, was jemand von öffentlicher Relevanz sagt, von uns gegengecheckt wird." Und Tardáguila beobachtet eine weitere Entwicklung: Mittlerweile haben auch die großen Medien nachgezogen und eigene Fact-Checking-Abteilungen eröffnet. "Plötzlich kommt der Journalismus zu seiner Essenz zurück", sagt sie. "Die Aussage eines Politikers zur Kenntnis nehmen – und dann erst mal gegenchecken."

Die Konferenz "Fake News and Media Viability" im April 2018 in Beirut war eine spezialisierte Fortsetzung der Konferenz "Digital Media Viability" im Dezember 2016. Teilnehmer und Experten hoben dort die Bedeutung der internationalen Vernetzung hervor und sprachen sich für eine regelmäßige Vertiefung aus.