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"Der Angreifer darf nicht blind losschlagen"

Peter Hille4. August 2014

Bereits drei Mal hat die israelische Armee Schulen der Vereinten Nationen in Gaza angegriffen. Ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht? Nicht unbedingt, sagt der Völkerrechtler Heintschel von Heinegg im DW-Interview.

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Beschuss von UN-Schule im Gazastreifen 03.08.2014 (Foto: Picture alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Heintschel von Heinegg, beim israelischen Beschuss einer UN-Schule wurden nach palästinensischen Angaben am Sonntag zehn Menschen getötet. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon bezeichnet den Angriff als Verletzung des Völkerrechts, als kriminellen Akt. Können Sie dem zustimmen?

Wolff Heintschel von Heinegg: Ich halte das für eine zumindest vorschnelle und zu pauschale Stellungnahme des UN-Generalsekretärs, da wir ja auch wissen, dass UN-Gebäude und insbesondere UN-Schulen schon zu militärischen Zwecken genutzt worden sind.

Unterliegen UN-Gebäude nicht generell einem besonderen Schutz?

UN-Einrichtungen genießen sehr wohl einen besonderen Schutz. Dazu gibt es sogar eine eigene Konvention aus dem Jahre 1994, die Personal und Einrichtungen bei UN-Einsätzen schützt. Gleichwohl verhält es sich bei diesen Einrichtungen nicht anders als bei zivilen Objekten wie privaten oder öffentlichen Schulen: Wenn der Gegner in einem bewaffneten Konflikt diese Gebäude für militärische Zwecke nutzt, dann verlieren sie ihren grundsätzlichen Schutz nach dem humanitären Völkerrecht und werden, wie es im humanitären Völkerrecht heißt, "zulässige militärische Ziele". Nicht zu verwechseln ist das mit den UN-Schutzzonen, die im Jugoslawienkonflikt Zivilpersonen schützen sollten. Das ist ja nun leider schief gegangen.

Auch für sogenannte zulässige militärische Ziele gilt beim Angriff jedoch das Gebot der Verhältnismäßigkeit?

Mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss man sehr vorsichtig umgehen. Sie haben jedoch Recht, dass der Angreifer nicht blind losschlagen darf, sondern insbesondere zwei Dinge tun muss: Er muss zunächst Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff durchführen. Und dann zweitens den sogenannten Kollateralschaden soweit wie möglich minimieren. Das bedeutet also, dass ein Angriff auf ein zulässiges militärisches Ziel nicht immer und in absoluter Weise zulässig ist. Es hängt davon ab, ob der zu erwartende militärische Vorteil gegeben ist. Und dann darf der Schaden an zivilen Personen oder Objekten nicht in einem krassen Missverhältnis zu dem erwarteten militärischen Vorteil stehen.

Prof. Heintschel von Heinegg (Foto: privat)
Wolff Heintschel von HeineggBild: Heide Fest/Europa-Universität Viadrina

Das gilt also für den Fall, dass die Hamas Kämpfer oder Waffen in zivilen Einrichtungen versteckt. Verstößt auch das gegen das humanitäre Völkerrecht?

Wenn die Hamas zivile Objekte zu militärischen Zwecken verwendet und insbesondere, wenn sie zivile Personen als sogenannte menschliche Schutzschilde missbraucht, dann ist dies ein eindeutiger Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Hinzu kommt, dass der Angegriffene, also in diesem Fall der militärische Arm der Hamas, auch verpflichtet ist, seinerseits Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Dazu gehört insbesondere die deutliche Trennung von militärischen Zielen wie etwa Waffenlagern, von zivilen Objekten und von der Zivilbevölkerung.

Welche Möglichkeiten hat die UN denn, Israel einen möglichen Verstoß gegen das Völkerrecht nachzuweisen?

Es hat Untersuchungen gegeben, die insbesondere vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen initiiert worden sind, was leider allzu häufig ein rein politisches Unternehmen war. Natürlich dürfen Sie nicht vergessen, dass im Falle bewaffneter Konflikte das Völkerstrafrecht ebenfalls zur Anwendung kommen kann und dass man sehr wohl über die Möglichkeit verfügt, zumindest im Nachhinein Kriegsverbrechen zu verfolgen und zu ahnden. Wir müssen aber mit einer Sache sehr vorsichtig sein: Im humanitären Völkerrecht gilt der Grundsatz, dass es nicht auf eine Nachbetrachtung ankommt, sondern ausschlaggebend ist immer der Zeitpunkt, zu dem über einen Angriff entschieden wurde. Wenn sich die Lage für den Verantwortlichen so darstellte, dass jeder vernünftige Durchschnittssoldat ebenso gehandelt hätte, dann ist das kein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Und das selbst dann, wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass der sogenannte Kollateralschaden höher ausgefallen ist, als der Angreifer dies vermutete.

Das bedeutet aber auch: Je mehr Informationen einer Konfliktpartei zur Verfügung stehen über ihre Angriffsziele, umso eher kann sie sich strafbar machen. Das israelische Militär etwa hatte von der UN ja mehrfach den Standort der Schule gemeldet bekommen.

Es ist in der Tat so, dass das humanitäre Völkerrecht hier einen doppelten Standard vorsieht. Diejenige Konfliktpartei, die über mehr Möglichkeiten verfügt, insbesondere in technischer Hinsicht, unterliegt auch weiterreichenden Pflichten.

Wolff Heintschel von Heinegg ist Professor für Völkerrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.