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Der Alptraum

Claus-Dieter Gersch 3. Juli 2002

Die Ursache für das Unglück über dem Bodensee ist noch nicht geklärt. Aber erneut zeigt sich: Wenn der Mensch sich der Technik ausliefert, lässt menschliches Versagen unsere schlimmsten Vorstellungen Realität werden.

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Für Millionen Menschen auf dieser Welt ist die Vorstellung ein Alptraum: Man sitzt in einem Flugzeug; liest, schläft oder döst, nachts. Möchte endlich ankommen; freut sich darauf, bald am Ziel zu sein. Und irgendwo fliegt zur selben Zeit,
in der selben Flughöhe ein anderes Flugzeug auf einen zu. So geschehen in der Nacht zum 2. Juli.

Die Fluglotsen fordern einen Piloten auf, tiefer zu gehen. Der aber reagiert zu spät. Oder wird er viel zu spät zur Höhenänderung aufgefordert? Die Katastrophe nimmt ihren Lauf.

Und unten der andere Alptraum. Für Millionen Menschen auf dieser Welt ist die Vorstellung ein Alptraum: Man liegt in seinem Bett, schläft, es ist Nacht. Geräusche wie bei einem Donner. Ein Augenzeuge schildert: "Plötzlich ist es am Himmel ganz hell geworden.

Der Himmel sah aus, als wenn er brennt". Nein, nicht der Himmel ist es, der da über dem Bodensee brennt. Kerosin ist es, Wrackteile sind es. Ein anderer Augenzeuge berichtet von einem Feuerball, der in die Tiefe stürzt. Und ein dritter vermutet ein Unbekanntes Flugobjekt, ein UFO. Häuser brennen. Tote fallen vom Himmel, kilometerweit verstreut. Ein Alptraum. Die Hölle. Hunderte von Helfern lernen in dieser Nacht diese Hölle kennen.

Nach und nach erfahren wir, die Überlebenden, was sich da abspielt, abgespielt hat. Ein Passagierflugzeug und eine Frachtmaschine sind zusammengestoßen und abgestürzt, nachts, über dem Urlaubsparadies Bodensee. Die meisten Opfer sind Kinder. Sie waren auf dem Weg in die Ferien.

Indes verlautet, menschliches Versagen sei die Ursache
für die Kollision der beiden Flugzeuge gewesen. Von
Kommunikationsproblemen ist die Rede, auch von unterschiedlichen Sicherheitsstandards.

Genau das ist der Stoff, aus dem die Katastrophe ist:
Kommunikationsprobleme in Krisensituationen, menschliches Versagen und obendrein noch unterschiedliche Sicherheitsanforderungen - und das alles 12.000 Meter über dem Boden. Was wäre passiert, wenn das Kerosin in den Bodensee gefallen wäre, jenen See, aus dem Hunderttausende Menschen ihr Trinkwasser beziehen? Was wäre geschehen, wenn das Transportflugzeug gefährliche Ladung enthalten hätte, radioaktives Material, hochgiftige Chemikalien oder ähnliches? Was wäre geschehen, wenn der Absturzort dichtbesiedeltes Gebiet gewesen wäre, kurz wenn brennende Wrackteile und Kerosin eine Stadt getroffen hätten?

Es bleibt die Trauer um die Opfer, die gemeinsame Trauer mit den Hinterbliebenen. Es bleiben Fragen - Fragen nach der Ursache: Wie konnte so etwas geschehen? Und vor allem: Wie konnte es im durchorganisierten, standardisierten internationalen Flugverkehr zu Kommunikationsproblemen kommen? Oder hat der Fluglotse die Maschinen viel zu spät entdeckt, seine Anweisungen viel zu spät gegeben - zu
spät?