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Das Virus, die Schlachthöfe und die Politik

18. Mai 2020

Schon wieder ein Corona-Ausbruch in einem Schlachthof: In Niedersachsen musste am Sonntag ein Zerlegebetrieb seinen Betrieb vorübergehend einstellen. Die Mitarbeiter sind in Quarantäne, Politiker beraten.

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Deutschland Arbeiter in Schlachthof
Bild: Getty Images/S. Gallup

Nach Nordrhein-Westfalen verzeichnet nun auch Niedersachsen einen massiven Corona-Ausbruch in der Fleischindustrie. Im Rahmen der landesweiten Testung hätten die Behörden in einem Zerlegebetrieb in Dissen bei Osnabrück 92 mit dem Coronavirus infizierte Mitarbeiter festgestellt, teilte der Landkreis Osnabrück am späten Sonntagabend mit.

Zuvor waren bereits Betriebe in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Schleswig-Holstein betroffen. Begünstigt werden die Infektionen durch die Enge in Sammelunterkünften ausländischer Arbeiter und die fehlende Einhaltung von Hygieneregeln in der Corona-Krise.

Sowohl die Arbeiter als auch die Kontaktpersonen, die noch ermittelt werden müssten, würden in Quarantäne geschickt. Ein Großteil der Arbeiter sei bei Subunternehmen beschäftigt. Der Landkreis hat nach eigenen Angaben begonnen, die Sammelunterkünfte zu kontrollieren, in denen Werkvertragsarbeiter der Schlachtbetriebe untergebracht sind.

Im Land heute, im Bund übermorgen

Der Landkreis Osnabrück und das Land Niedersachsen wollten am Montag über das weitere Vorgehen beraten. Das Corona-Kabinett der Bundesregierung hat die Beratungen über Konsequenzen aus den Coronavirus-Ausbrüchen in deutschen Schlachtbetrieben dagegen auf diesen Mittwoch verschoben. Es gebe noch Beratungsbedarf, hieß es am Montag aus Regierungskreisen in Berlin.

Im Brennpunkt der Diskussion steht der Umgang mit saisonalen Arbeitskräften aus dem Ausland, nachdem die Fleischindustrie wegen prekärer Arbeits- und Unterkunftsbedingungen seit vielen Jahren in der Kritik steht. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat härtere Auflagen gefordert. Eigentlich wollte er in der Sitzung am heutigen Montag Vorschläge vorlegen, um das Arbeitsschutzgesetz zu ändern.

Kritiker fordern seit langem mehr Maßnahmen zum Schutz der meist aus Osteuropa stammenden Werkvertragsarbeiter in der Branche, die oft in Massenunterkünften untergebracht sind.

"Glasklare Regeln gegen Skrupellosigkeit"

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) appellierte an die Bundesregierung, eine "grundlegende Reform" der Fleischindustrie auf den Weg zu bringen. Es müsse neue Gesetze und "glasklare Regeln" für die Branche geben, sagte NGG-Vizechef Freddy Adjan den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dazu gehöre vor allem das Verbot von Werkverträgen im Kernbereich der Unternehmen.

Das System der Werkverträge - also der Anheuerung von Subunternehmen - habe die schlimmsten Zustände in der Branche ermöglicht, beklagte Adjan. Die Betriebe dürften das Schlachten nicht mehr "an dubiose Billigfirmen vergeben und damit die Verantwortung auslagern". Die Fleischkonzerne hätten "skrupellos die Gesundheit von zehntausenden Menschen gefährdet".

Fleischpreise eine "Schweinerei"

Auch die Debatte um die Fleischpreise nahm im Vorfeld der Corona-Kabinettssitzung Fahrt auf. Grünen-Chef Robert Habeck bekräftigte seine Forderung nach einem Mindestpreis für Fleischprodukte. "Preise für Fleisch oder Milch, die unter den Produktionskosten der Bauern liegen, sind schlicht eine Schweinerei", sagte er der "Bild"-Zeitung.

Die Lockangebote an Verbraucher beim Fleisch legten den Bauern "Daumenschrauben" an und "zerstören alles, was politisch sinnvoll ist", kritisierte der Grünen-Vorsitzende. Wenn von den Bauern gute Arbeit sowie Tierschutz und Klimaschutz verlangt würden, müssten sie dafür auch entsprechend bezahlt werden.

Auch Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein plädierte für höhere Fleischpreise. "Der unanständige Preiskampf beim Fleisch ist die Wurzel vieler Übel", sagte der CSU-Politiker der "Augsburger Allgemeinen". Er bringe die Landwirte in Existenznöte, schade dem Tierwohl und sei für die problematischen Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen verantwortlich.

Nüßlein sprach sich dafür aus, die Fleischpreise über die Mehrwertsteuer anzuheben. Derzeit gilt für Fleisch und Wurst der reduzierte Satz von sieben Prozent. Die Mehreinnahmen müssten direkt an die Landwirte weitergegeben werden, forderte er. Dies müsse mit der Auflage verbunden werden, für mehr Tierwohl zu sorgen, etwa durch den Bau artgerechter Ställe.

dk/ar (epd, dpa, afp)