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Tabu-Thema Abtreibung

Anne Herrberg18. Oktober 2013

In Argentinien ist Abtreibung verboten. Pro Jahr nehmen dennoch fast 500.000 Frauen einen Schwangerschaftsabbruch vor. Eine deutsche Fotografin will mit einer Ausstellung eine Debatte anregen.

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"Es ist mein Körper“, steht unter dem Porträtfoto von Monica in der Ausstellung "11 Wochen, 23 Stunden, 59 Minuten". Die Hand ruht auf ihrem nackten Bauch. (Foto: Lisa Franz, Guadalupe Gómez Verdi, Léa Meurice)
Bild: Lisa Franz, Guadalupe Gómez Verdi, Léa Meurice

Die Stimme von Adriana hallt aus einem kleinen Lautsprecher durch die Ausstellungshalle des Palais de Glace in Buenos Aires: "Eine erzwungene Mutterschaft ist selten eine glückliche Mutterschaft." Fotos zeigen die Ende 40-Jährige mit Kurzhaarschnitt und entschlossenem Blick. Sie ist eine der porträtierten Frauen im Fotoprojekt "11 Wochen, 23 Stunden, 59 Minuten" über illegale Abtreibung in Argentinien. Vor 30 Jahren brach die damals 19-jährige Adriana ihre ungewollte Schwangerschaft ab. Geheim, denn die selbstbestimmte Abtreibung ist in Argentinien verboten, auch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft.

Trotz des gesetzlichen Verbotes und der gesellschaftlichen Ächtung nehmen laut offiziellen Zahlen pro Jahr rund 500.000 Frauen im 40-Millionen-Einwohnerstaat Argentinien einen Schwangerschaftsabbruch vor. In Deutschland treiben bei doppelter Einwohnerzahl etwa 100.000 Frauen pro Jahr ab. Amnesty International Argentinien führt den Unterschied auch auf das Fehlen von Aufklärung und Vorsorge im südamerikanischen Land zurück.

Die Freiheit, selbst zu entscheiden

"Abtreibung gehört trotz Illegalität zum Alltag in Argentinien", sagt die deutsche Fotografin Lisa Franz. Gemeinsam mit der Argentinierin Guadalupe Goméz Verdi und der Französin Léa Meurice hat sie das Tabuthema vor die Linse genommen. Ihr Fotoprojekt erzählt die persönlichen Geschichten von Frauen und Paaren, porträtiert aber auch Aktivistinnen oder Ärzte, die sich für eine uneingeschränkte legale Abtreibung einsetzen, Betroffene beraten und begleiten.

Ein sensibles Thema: Denn obwohl sich Argentinien in puncto Gleichberechtigung gerne als Vorzeigeland Lateinamerikas präsentiert, ist der sogenannte Machismo - die Vorherrschaft des Mannes und auf Unterdrückung der Frau ausgerichtete Verhaltensweisen - tief in der Gesellschaft verwurzelt, meint Lisa Franz: "Was zählt, ist nicht das Leben der Frau, sondern ihre Funktion als Mutter."

Lisa Franz, Léa Meurice und Guadalupe Gómez Verdi (v.l.) bei Ausstellungseröffnung MItte August im Palais de Glace, Buenos Aires (Foto: Amnesty International Argentinien)
Die drei Fotografinnen des Fotoprojektes, Lisa Franz, Léa Meurice und Guadalupe Gómez VerdiBild: Amnesty International Argentinien

Dein Bauch gehört uns

Ein paar Wochen nach Ausstellungsbeginn ziehen rund zwei Dutzend vermummte Gestalten vor den Palais de Glace in Buenos Aires. Aus mitgebrachten Boxen wummert abwechselnd die argentinische Nationalhymne oder das "Ave Maria". Der Trupp besteht zu 95 Prozent aus Männern. "Feministinnen auf den Scheiterhaufen", rufen sie. Auch die Fotografinnen Lisa Franz und Léa Meurice werden beschimpft: "Raus mit den Ausländerinnen, die argentinische Babys töten wollen!"

An diesem Tag haben sich nur einige wenige, fanatische Abtreibungsgegner versammelt. Der Druck katholischer und konservativer Gruppierungen verhindert eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Abtreibung immer wieder. "Dass nun mit Jorge Bergoglio ein Argentinier zum Papst gewählt wurde, macht es noch schwieriger", glaubt Lisa Franz.

Argentiniens Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner jedenfalls zeigt wenig Interesse, sich die Finger an der brisanten Abtreibungsdebatte verbrennen - erst recht vor den anstehenden Parlamentswahlen Ende Oktober, meint Mariela Belski von Amnesty International Argentinien. "Das ist eine Frage der politischen Kosten, denn an der Debatte scheiden sich die Geister erheblich." Amnesty setze daher auf Aufklärung und Kampagnen: "Es geht nicht persönliche Ansichten oder Überzeugungen. Es geht um eines der wichtigsten Themen der öffentlichen Gesundheit und um das Leben von Frauen." Da entziehe sich der Staat seiner Verantwortung, urteilen auch die drei Fotografinnen.

German Cardoso (Foto 2013 in Buenos Aires auf der Plaza Congreso, aufgenommen): Das Foto des Chirurgs Dr. German Cardoso zeigt den Arzt vor dem Kongressgebäude in Buenos Aires. Er hält sich den Zeigefinger vor den Mund. Dr. German Cardoso ist Mitglied der argentinischen Ärzte Vereinigung „Por el derecho a decidir de la mujer en situación de un embarazo no deseado“. Die Vereinigung setzt sich für die Legalisierung der Abtreibung ein und der Arzt selber führt Schwangerschaftsabbrüche in seiner Privatpraxis durch, aufgrund dessen er immer wieder Diskriminierung erfährt. Copyright: Lisa Franz, Guadalupe Gómez Verdi, Léa Meurice
Der Chirurg Germán Cardoso setzt sich für die Legalisierung der Abtreibung einBild: Lisa Franz, Guadalupe Gómez Verdi, Léa Meurice

Scharlatane profitieren

"Es geht auch ums Geld", sagt der Arzt Germán Cardoso, "Abtreibung zu legalisieren würde enorme Kosten für das öffentliche Gesundheitssystem mit sich bringen". Der 54-Jährige aus der Provinz Buenos Aires wurde ebenfalls in dem Fotoprojekt porträtiert. Er nimmt selbst Schwangerschaftsabbrüche vor. Illegal, aus Überzeugung.

Und, so Cardoso, gegen eine Bezahlung, die sich am Einkommen der Patientinnen orientiert, höchstens aber 3500 Pesos. Das sind umgerechnet knapp 450 Euro. Andere Ärzte würden dagegen mehr als das Zehnfache verlangen, sagt Cardoso. "Das gesetzliche Verbot hindert keine Frau daran, abzutreiben. In ihrer Verzweiflung zahlen Frauen horrende Summen, wer es sich nicht leisten kann, wendet sich an Laien oder legt selbst Hand an - oft mit fatalen Folgen."

Nach Angaben von Amnesty International kommt es bei etwa 60.000 bis 80.000 illegalen Schwangerschaftsabbrüchen durch laienhaft durchgeführte Eingriffe zu Komplikationen. Etwa 100 davon enden mit dem Tod der Frau.

Das Schweigen brechen

"Nehmt eure Rosenkränze aus unseren Eierstöcken“, fordern Abtreibungsbefürworterinnen auch in anderen Ländern Lateinamerikas. In Chile, Nicaragua und El Salvador sind Schwangerschaftsabbrüche rigoros verboten und strafbar. In einigen anderen Staaten der Region hat sich die Gesetzeslage inzwischen verändert: Uruguay und Kuba erlauben Schwangerschaftsabbrüche binnen der ersten zwölf Wochen. Brasilien, Kolumbien und seit September 2012 auch Argentinien gestatten zumindest Abtreibungen nach Vergewaltigungen oder bei Gefahr für Leben und Gesundheit der Frau.

Eine der porträtierten Frauen im Fotoprojekt “11 Monate, 23 Stunden, 59 Minuten”. Zu sehen ist der Rücken von Camilla, die sich nach einem Schwangerschaftsabbruch “Libertad” (Freiheit) in den Nacken tätowiert hat (Foto: Amnesty International Argentinien)
"Libertad" - "Freiheit" hat sich eine der porträtierten Frauen nach dem Schwangerschaftsabbruch auf den Rücken tätowiertBild: Goméz Verdi, Franz, Meurice

"Wir wollen mit unseren Fotos das Schweigen über ein Tabu brechen, das Millionen von Frauen weltweit betrifft", sagt Lisa Franz. Das ist gelungen: Das Medienecho auf die Ausstellung war enorm. Im Rahmen der Kampagne “Mein Körper, meine Rechte” von Amnesty International wird das Fotoprojekt nun durch mehrere Provinzen Argentiniens reisen.