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Unbegrenzter Lärm

Janis Vougioukas2. April 2007

Vielleicht ist keine andere Stadt auf der Welt so laut wie Schanghai - das zumindest glaubt Janis Vougioukas, der Lärm mit Lärm bekämpft.

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Ich wohne im Stadtzentrum von Schanghai, im Einkaufsdistrikt Xujiahui. Die französischen Kolonialherren haben das Viertel einmal gegründet, man sieht das noch, weil die Straßen hier enger sind als im Rest der Stadt und Platanen auf den Bürgersteigen stehen. Es gibt auch hier Hochhäuser mit den Spiegelfassaden aber eben auch kleine Parks und alte Kolonialvillen - hier gefällt mir Schanghai am Besten.

Schön, aber ...

Mein Haus ist vor 80 Jahren von einem reichen Spanier gebaut worden und könnte so auch in Süd-Europa stehen. Es gibt in jedem Zimmer einen Kamin, hohe Decken, große Fenster. Nach der Revolution enteigneten die Kommunisten das Haus und setzen in jedes Stockwerk eine andere Familie.

Ich bin der einzige Ausländer hier, und habe mich sofort gut mit meinen Nachbarn verstanden. Leider führen chinesische Familien, über mir, rechts, links und unter mir ein ganz anderes Leben als ich.

Mit dem Sonnenaufgang werden die Fernseher eingeschaltet. Die junge Innenarchitektin von oben telefoniert rund um die Uhr und trägt auch in ihrer Wohnung Stöckelschuhe. Die Böden sind nur aus Holz. Es klingt, als spaziere sie direkt auf meinem Kopf herum.

Ich weiß alles über das Leben meiner Nachbarn. Die Designerin ist schwanger und die Eltern ihres Freundes sind darüber nicht glücklich. Das junge Paar von unten schaut gerne Kriegsfilme; beim Geschützfeuer zucke ich jedes Mal im Bett zusammen.

Hoch und wenig still

Ich liebe meine Wohnung, aber irgendwann wurde mir das zu laut. Beim Arbeiten brauche ich Ruhe. Vor anderthalb Jahren mietete ich mir ein Büro zusammen mit fünf anderen ausländischen Journalisten. Wir wohnen alle in alten Häusern und mieteten eine schöne große Hochhauswohnung mit Blick über die Stadt. Hochhäuser, dachten wir, sind stille Häuser.

Unser Büro liegt im zehnten Stock. Wir hatte gerade alles eingerichtet, da bemerkten wir laute Musik. Und fanden heraus, dass es in unserem Hochhaus ein Tonstudio gibt, dass Proberäume an Hobbybands vermietet. Manchmal spielen dort drei Gruppen gleichzeitig und auf unseren Schreibtischen zittern die Kaffetassen zu den dröhnenden Bässen. Die Hausverwaltung beteuert, dass wir die einzigen Mieter sind, die sich bisher beschwert haben.

Wir waren bei der Polizei, bei Rechtsanwälten, sogar beim Nachbarschaftskomitee der Kommunistischen Partei. Zwecklos. Ein chinesischer Freund riet: "Der einfachste Weg ist, dass ihr die Isolation für das Tonstudio kauft."

Stille ist unerträglich

Chinesen haben ein ganz eigenes Verhältnis zu Lärm, das habe ich inzwischen erkannt. Wenn man im Taxi sitzt und schweigt, drehen die Taxifahrer immer gleich die Musik an oder fangen an zu hupen, weil sie die Stille nicht ertragen können.

Ich habe inzwischen meine eigene Strategie gefunden, um mich auf meine Arbeit zu konzentrieren und die Umwelt auszublenden. Wenn ich schreiben muss, lege ich jetzt Musik auf, ganz laut, bis ich nur noch das hören kann, was ich will. Die Nachbarn haben sich noch nicht beschwert.