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Das Land der reichen Kinder

Marc-Cristoph Wagner20. September 2008

Dänemark ist Europas Musterschüler in Sachen Kinderarmut. In keinem anderen europäischen Land geht es den Kindern finanziell so gut wie in Dänemark. Das Ergebnis einer gelungenen Sozialpolitik?

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Eine dänische Tagesmutter geht mit drei Kindern in Kastrup spazieren.
Kinderbetreuung statt Kinderarmut - Erfolgsmodell DänemarkBild: picture-alliance/dpa

Es ist kurz nach sieben Uhr morgens. Jesper Sörensen zieht seinem Sohn Daniel Jacke und Schuhe an. Seine Frau Lene steht daneben mit dem neun Wochen alten Baby auf dem Arm. Kurz darauf sind Vater und Sohn aus der Tür, Jesper Sörensen bringt seinen dreijährigen Sohn in den Kindergarten. Danach fährt er selbst zur Arbeit.

Ein scheinbar bekanntes Bild: Der Mann geht arbeiten, die Frau bleibt daheim. Doch eben nur scheinbar, denn schon nach wenigen Monaten Babypause wird Lene Sörensen in ihren Job als Steuerberaterin zurückkehren. Über Kinderbetreuung müssen sich Jesper und Lene Sörensen keine Sorgen machen. Für den Kitaplatz garantiert der dänische Staat. Lene Sörensen ist darüber sehr froh. Putzen, einkaufen, abwaschen: Auf Dauer kann sich die junge Mutter das Dasein als Hausfrau nicht vorstellen. "Jetzt mit dem Baby, in den kommenden acht, neun Monaten, ist das okay", sagt sie, "aber dann muss ich wieder raus, ich brauche neue Herausforderungen".

Computertastatur statt Wickeltisch

Mutter mit Kind
In Dänemark sind Kinder kein ArmutsrisikoBild: bilderbox.com

Gemächlich schiebt Lene den Kinderwagen vor sich her. Das Baby ist müde. Lene will ein paar Schritte mit ihm spazieren gehen - zum Strand am Öresund ist es nicht weit. Ein Problem damit, dass jemand anderes den Kinderwagen schiebt, wenn sie wieder ins Büro geht, hat sie nicht.

Ihren Sohn Daniel gaben sie und ihr Mann mit elf Monaten zu einer Tagesmutter, und die kleine, die gerade friedlich im Kinderwagen schlummert wird in acht Monaten in die Krippe gehen, täglich von halb acht bis nachmittags um halb vier. "Sie haben dort ein anregendes Umfeld und sie können mit anderen Kindern spielen", sagt Lena, das findet sie gut.

Die hohe Erwerbstätigkeit der Frauen und die staatliche Betreuung des Nachwuchses gelten als die zwei wesentlichen Gründe dafür, dass die Kinderarmut in Dänemark so gering ist wie nirgends sonst in Europa, das besagt eine Studie des UN-Kinderhilfswerks UNICEF. Das Einkommen der Frauen erhöht zum einen das Familienbudget. Zum anderen bekommen es die staatlichen Kitas früh mit, wenn Kinder vernachlässigt werden.

"Hilfe zur Selbsthilfe"

Dass Eltern die Möglichkeit haben, trotz Kindern ihr eigenes Geld zu verdienen, sei eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Kinderarmut zu verhindern, findet die zuständige Wohlfahrtsministerin Dänemarks, Karen Jespersen von der rechtsliberalen Partei Venstre-Partei. Die staatlichen Maßnahmen, für die sie eintritt, zielen nicht auf eine rein finanzielle Unterstützung der Eltern ab. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Eltern eine Ausbildung machen und einen Job bekommen", sagt Jaspersen. "Ungleichheit löst man nicht, indem man die Sozialhilfe oder andere staatliche Leistungen anhebt. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe."

Allerdings ist auch in Dänemark nicht alles Gold, was glänzt. Darin stimmen Oppositionspolitiker und Sozialexperten überein. Das Land habe in den vergangenen Jahren einen Wirtschaftsboom mit historisch niedriger Arbeitslosigkeit von weniger als drei Prozent erlebt. Gleichzeitig seien die Immobilienpreise in astronomische Höhen gestiegen. "Die Kluft zwischen Arm und Reich ist seit Mitte der 90er-Jahre deutlich angestiegen", so Sozialexperte Torben Tranæs, Forschungschef bei der anerkannten Rockwool-Stiftung.

Allerdings gibt er auch zu, dass Armut immer relativ sei: Als arm gelte, wer sich nur die Hälfte dessen leisten kann, was den anderen Menschen in Dänemark im Schnitt möglich ist. Deshalb spiele sich Armut heute auf einem ganz anderen materiellen Niveau ab als noch vor 40 Jahren.