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Schritt zur Selbständigkeit

Bekim Shehu/Auron Dodi6. September 2012

Mit dem Ende der "überwachten Unabhängigkeit" für das Kosovo sind die Probleme im Land längst nicht gelöst. Vor allem nicht die im Norden. Was bedeutet das Ende der Überwachung für die Bürger?

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Deutsche Einsatzkraefte des Beobachtungstrupps "City Coy" der Kosovo Force-Truppen (KFOR) stehen auf der Festung von Prizren (Foto: dapd)
Bild: dapd

Viereinhalb Jahre lang war der Niederländer Pieter Feith zuständig für die Überwachung der Unabhängigkeit des Kosovo. Nun soll das Internationale Zivilbüro in Pristina am Montag (10.09.2012) unter seiner Leitung geschlossen werden. Seine Hauptaufgabe war: die Umsetzung des Status-Plans für das Kosovo, der von Martti Ahtisaari verfasst wurde. Mit dem Plan des UN-Sondergesandten bekam das Land 2008 das Recht auf eine eigene Verfassung, eine eigene Flagge und Hymne. Weiter wurde es möglich, eine "multiethnische, professionelle" Armee zu gründen sowie Grenzkontrolleinheiten, Nachrichtendienste und Polizei zu unterhalten. Außerdem wurde dem Kosovo das Recht zugesprochen, internationale Abkommen abzuschließen und "nach der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen zu streben". Die Rechte der serbischen Minderheit sollten gewährleistet werden, Albanisch und Serbisch die offiziellen Sprachen sein.

Ausgestattet mit einem Veto-Recht war das Büro Feiths mächtiger als jede andere Institution des unabhängigen Staates. Der Niederländer konnte jedes Vorhaben und jedes Gesetz blockieren, das im Widerspruch zu dem Ahtisaari-Plan stand. Doch dazu kam es nie. Am Ende seiner Mission bescheinigte Pieter Feith dem Kosovo Anfang Juli, eine "moderne, multiethnische" Demokratie geworden zu sein. Die Bedingungen für die Beendigung der Überwachung seien erfüllt, stellte der Internationale Lenkungsausschuss in Wien fest, dem die meisten EU-Staaten sowie die USA und die Türkei angehören.

Der Ahtisaari-Plan ist mittlerweile fester Bestandteil der kosovarischen Gesetzgebung geworden und hat zu einer territorialen Neuorganisation des Landes geführt: In Gebieten mit serbischer Mehrheit wurden fünf neue Gemeinden gegründet, Albanisch und Serbisch offizielle Sprachen des neuen multiethnischen Staates, das kulturelle und religiöse Erbe der Minderheiten wird durch besondere Gesetzte geschützt. Es sind vor allem die Fortschritte beim Schutz der Rechte der nichtalbanischen Minderheiten, in erster Linie die der serbischen Minderheit, die dem Kosovo die Erlangung uneingeschränkter Souveränität ermöglichen sollten. Doch für viele Bürger ist die gegenwärtige Lage nicht zufriedenstellend.

Enttäuschung und Unzufriedenheit

Der 40-jährige Arben Veselaj hat seine Jugend im Kosovo unter dem Regime von Slobodan Milosevic verbracht. Sein Traum war es, in einem unabhängigen Land zu leben. Dieser Traum ging für ihn und andere Albaner 2008 in Erfüllung. Trotzdem ist er heute nicht ganz glücklich, das unabhängige Kosovo hat er sich anders vorgestellt. "Niemals hatte ich gedacht, dass unser Staat so weit entfernt von den Interessen seiner Bürger sein wird. Mir kommt es fast so vor, als ob sich mit dem unabhängig werden eine neue negative Einstellung etabliert hat.“ Früher habe man die serbischen Institutionen gehasst, weil sie die Institutionen des Besatzers gewesen seien. "Und dieses Gefühl ist geblieben", glaubt Veselaj.

Kosovo ist für den Lektor ärmer geworden, auch weil die wirtschaftliche Entwicklung stagniere. Die Steuerlast sei größer geworden, es gebe Korruption im öffentlichen Dienst und im Gesundheitswesen. Deshalb bedeutet die Abschaffung der internationalen Überwachung des Kosovo für ihn lediglich eine emotionale Erfüllung.

Der problematische Norden

Die Stärkung der Minderheitenrechte gehörte zu den Kernelementen in den Empfehlungen des finnischen Ex-Präsidenten Ahtisaari für Kosovo. Xhelal Hama, 55 Jahre alt, ist Lehrer. Er gehört zu der bosniakischen Minderheit Kosovos und lebt in dem südlichen Teil der Stadt Mitrovica, im Norden des Kosovo. Er erinnert sich an die Erklärung der Unabhängigkeit vor viereinhalb Jahren. Rückblickend waren für ihn die Jahre seitdem eine Erfolgsgeschichte. Denn sonst würde die Überwachung der kosovarischen Institutionen noch nicht enden, sagt Hama.

Doch viele seiner Mitbürger leben in Nordmitrovica, in dem von den Serben kontrollierten Teil der Stadt. Es ist der Teil der Stadt, in dem es kaum Fortschritte mit der Umsetzung des Ahtisaari-Planes gegeben hat. "Die Probleme sind dieselben wie die in den letzten 13 Jahren geblieben. In erster Linie meine ich damit die Sicherheit für meine Mitbürger in Nordmitrovica." Unter den Auseinandersetzungen Nordmitrovicas leiden auch die Bosniaken.

Am Ende seiner Mission zeigte sich Pieter Feith in Wien dennoch zuversichtlich, dass die Probleme in Nordmitrovica gelöst werden. Die dortigen Serben scheint die Erlangung der vollen Souveränitätsrechte für das Kosovo jedoch wenig zu beeindrucken. Die Menschen dort seien entschlossen, sich weiterhin so zu benehmen, wie in den letzten 13 Jahren, sagt Marko Jaksic, Kosovo-Serbe und Abgeordneter im Parlament Serbiens. "Im Nordkosovo gibt es die Institutionen des serbischen Staates. Das Volk ist entschlossen, in dem Staat Serbien zu leben und die Verfassung Serbiens zu respektieren, die das Kosovo als Teil dieses Staates sieht."

Weiterhin internationale Präsenz im Kosovo

Rada Trajkovic ist eine der bekanntesten Vertreterinnen der Kosovo-Serben. Als Abgeordnete im kosovarischen Parlament vertritt sie die Gemeinde Gracanica, die nach der Unabhängigkeit Kosovos infolge des Ahtisaari-Plans gegründet wurde. Für sie kommt das Ende der Überwachung zu früh. Denn im Kosovo gebe es weiterhin Kriminalität und Korruption. "Mit dem Ende der Überwachung möchte die internationale Gemeinschaft den kosovarischen Institutionen mehr Macht in Nordkosovo geben." Doch von einem Ende der internationalen Präsenz in Kosovo kann nicht die Rede sein, solange wir hier EULEX und die Friedenstruppe KFOR haben."

Damit meint Trajkovic die zurzeit 5000 Tausend Soldaten der NATO-geführten Truppe KFOR, die in Kosovo ihre Arbeit fortsetzen werden. Sowie die 1250 internationalen Juristen und Polizisten, die Rahmen der EU-Mission EULEX das Kosovo weiterhin unterstützen sollen. Die kosovarische Präsidentin, Atifete Jahjaga, bat in einem Brief an die EU am Montag (03.09.2012), das EULEX-Mandat um zwei Jahre zu verlängern. Die Verfassung Kosovos erlaubt die Tätigkeit von internationalen Missionen mit exekutiven Kompetenzen in Kosovo.

Das heißt, dass die internationalen Richter, Staatsanwälte und Polizisten ihre Arbeit in Kosovo wie bisher fortsetzen werden. Sie werden weiterhin internationale Immunität genießen, ihre Arbeit werden sie künftig aber an der Verfassung Kosovos orientieren müssen. Der Ahtisaari-Plan, der bisher als die eigentliche Verfassung Kosovos fungiert hat, verliert diese Funktion.

"Ein historischer Tag"

"Die Verfassung Kosovos wird nun das wichtigste juristische Dokument für Kosovo. Der Ahtisaari-Plan wird zwar Teil der Gesetze. Doch die Vorlagen, die dem Ahtisaari-Plan Vorrang gegenüber der Verfassung gegeben haben, werden nicht mehr gültig sein", erklärt der 53-jährige Arsim Bajrami, kosovarischer Rechtsexperte, der die Legislation für das Ende der Überwachung der Unabhängigkeit mit vorbereitet hat.

Der Jurist weiß, dass es sich um einen juristisch-formellen Abschluss der Überwachung handelt, da es eine internationale Präsenz in Kosovo auch künftig geben wird. Für einen Staat, der von internationalen Geldern unterstützt wird, hält er dies sogar für notwendig. Dennoch sei für ihn die Erlangung der vollständigen Souveränität Kosovos "ein historischer Tag".

Ein deutscher Soldat mit einer Dorfbewohnerin (Foto: dpa)
Die KFOR-Soldaten bleiben im KosovoBild: dapd
Der finische Politiker und Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari (Foto: dpa)
Der finische Politiker und Friedensnobelpreisträger Martti AhtisaariBild: picture alliance / dpa