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Ein Strippenzieher, kein Aufklärer

4. November 2016

Seit sieben Monaten ist Reinhard Grindel DFB-Präsident, der DFB-Bundestag bestätigt ihn im Amt. Sein Aufstieg zu Deutschlands Fußball-Boss ist ebenso steil wie unerwartet - aber es regt sich Kritik.

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Deutschland | Reinhard Grindel präsentitert das UEFA Euro 2020 Logo
Sein Ziel im Blick: Reinhard Grindel will die EM 2024 nach Deutschland holenBild: Getty Images/Bongarts/A. Beier

Reinhard Grindel weiß, womit er punkten kann. Eine Europameisterschaft nach Deutschland zu holen ist sein erklärtes Ziel und "das große Leuchtturmprojekt des DFB", wie er es nennt. Als Politiker ist ihm die Strahlkraft, die von einem solchen Coup (der im Übrigen gar nicht so unwahrscheinlich ist) ausgeht, natürlich bewusst. "Es wird den Fußball in Deutschland in eine Dynamik versetzen", versprach Grindel den Delegierten des 42. DFB-Bundestages kurz vor seiner Wiederwahl. Was er freilich nicht sagte: Eine erfolgreiche Bewerbung soll auch die Kritiker des Deutschen Fußball-Bundes zum Schweigen bringen. Und davon gibt es derzeit einige.

Denn Grindel übernahm den größten Sportfachverband der Welt vor sieben Monaten in turbulenten Zeiten, und der DFB steckt eigentlich noch immer darin fest. Denn die Affäre um die möglicherweise gekaufte WM 2006 in Deutschland hat den Verband viel Glaubwürdigkeit gekostet. Die Aufklärung verlief schleppend, und auch Grindel konnte oder wollte nicht immer dazu beitragen. Wofür brauchte der damalige WM-Organisator Franz Beckenbauer 6,7 Millionen Euro? Das Geld ging der Aktenlage nach an den ehemaligen FIFA-Funktionär Mohamed Bin Hammam - aber warum? Und warum fordert der DFB sein Geld nicht zurück? Fragen, auf die Grindel keine Antworten gibt. Und auch der vom DFB in Auftrag gegebene Bericht der Anwaltskanzlei Freshfields lieferte nicht die umfassenden Erkenntnisse, wie sich mancher das erhofft hatte. 

Warum Grindel nicht auf Distanz zu Niersbach geht? Er braucht ihn noch.

Dabei war die Aufklärung des Sommermärchen-Skandals eines der Antrittsversprechen des neuen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel. In seiner Grundsatzrede vor dem DFB-Bundestag meldete Grindel "Vollzug" mit Blick auf die Aufarbeitung des Falls. Erklärt der DFB-Boss damit die Affäre für beendet? Es wäre eine Fehleinschätzung. Denn die Ermittlungen von FBI, Schweizer Bundesanwaltschaft und Frankfurter Staatsanwaltschaft könnten durchaus neue Erkenntnisse liefern. Zudem stellte unlängst das Arbeitsgericht Frankfurt in einem Verfahren um die Entlassung eines DFB-Mitarbeiters fest, dass der Verband bei der Aufarbeitung gar nicht so rigoros vorging, wie Grindel behauptet. So habe der DFB beispielsweise seinen Ex-Präsidenten Wolfgang Niersbach "nicht sanktioniert", und auch Grindel ging bisher nicht eindeutig auf Distanz zu seinem Amtsvorgänger. 

Schweiz Zürich FIFA Außerordentlicher Kongress Wolfgang Niersbach
Befleckt, aber vernetzt: Wolfgang Niersbach wird offenbar noch gebraucht und vielleicht deshalb "nicht sanktioniert".Bild: Reuters/A. Wiegmann

Vielleicht ja, weil er Niersbachs Kontakte braucht. Insbesondere für eine Bewerbung wie die um die EM 2024 benötigt Grindel eine breite Unterstützung im Kontinentalverband UEFA. Dabei könnte der in den Gremien der UEFA noch immer geschätzte Niersbach durchaus nützlich sein, während Grindel sein internationales Netzwerk erst noch ausbauen muss.

Denn Reinhard Grindel ist kein typischer Fußball-Funktionär. Der 55-Jährige ist nicht Fußball-Weltmeister geworden. Er ist weder Torschützenkönig noch Bundesliga-Veteran. Reinhard Grindel ist vor allem eines: Politiker. Na gut, drei Jahre lang fungierte der zweifache Familienvater auch als Schatzmeister beim Deutschen Fußball-Bund. Aber so richtig angekommen war er in der großen, weiten Fußballwelt noch nicht, kritisierten viele seine Amtsübernahme im April. Seine frühere Doppelrolle als DFB-Funktionär und Mitglied des Sportausschusses im Deutschen Bundestag wurde ihm noch dazu oft zur Last gelegt. Dennoch war Grindel der einzige Kandidat für die Nachfolge des zurückgetretenen Wolfgang Niersbach und wurde folgerichtig auch zum neuen DFB-Präsidenten gewählt.

Politiker, Jurist, Journalist

Grindel wurde am 19. September 1961 in Hamburg geboren, wuchs dort auf und absolvierte als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung an der Hamburger Universität ein Jurastudium. Während des Studiums verdiente er sein Geld unter anderem als freier Journalist, danach bekam er eine Festanstellung bei Radio Schleswig-Holstein im Ressort Politik. Es folgten journalistische Stationen in Bonn und in den ZDF-Studios in Berlin und Brüssel, wo er jeweils als Redaktionsleiter tätig war.

Deutschland Fußball-Nationalmannschaft von Trinidad und Tobago vor dem Landhaus Wachtelhof in Rotenburg (Foto: picture-alliance/dpa/I. Wagner)
Das Nationalteam Trinidad und Tobagos logierte 2006 in Rotenburg - der Beginn der Fußballkarriere GrindelsBild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

Bereits mit 16 Jahren trat Grindel in die CDU ein, "weil ich gegen die Schulpolitik des damaligen SPD-Senats in Hamburg gekämpft habe", wie auf seiner Homepage zu lesen steht. "Politik war immer meine Leidenschaft." Nachdem er bereits seit 2002 Mitglied des Bundestages war, gelang ihm 2013 erstmals der direkte Einzug ins deutsche Parlament, wo er stellvertretender Vorsitzender des Sportausschusses wurde. Dass diese Karriereschritte ihren Tribut forderten, erzählten einige Weggefährten den Medien, wo Grindel als "karriereorientierter Machtmensch" gilt und "als jemand, der griffig formulieren kann, der aber gerne alles im Griff haben will und schnell fordernd bis aufbrausend wird". Während seiner Abgeordnetenzeit gab es manch poltrigen Auftritt. Zu Beginn erwarb er sich als CDU-Innenexperte einen Ruf, den der Begriff 'Hardliner' durchaus trifft" (Süddeutsche Zeitung").

Einziger Kandidat

Erste Kontakte zum DFB knüpfte Grindel während der WM 2006, als die Nationalmannschaft Trinidad und Tobagos in Rotenburg beherbergt war. In der Stadt an der Wümme wohnt Grindel heute. "Meine Mutter ist hier aufgewachsen, mein Großvater hat in der Mittelschule in Rotenburg Mathematik unterrichtet. Es bedeutet mir viel, die Region im Deutschen Bundestag zu vertreten, aus der meine Familie stammt", heißt es auf seiner Homepage. Grindel lernte zu dieser Zeit DFB-Präsidiumsmitglied Karl Rothmund kennen, Präsident des Niedersächsischen Fußballverbandes, und vertiefte die Beziehungen - sowohl in Niedersachsen als auch beim DFB: Als Beauftragter für "Anti-Korruption" gehörte Grindel von 2010 bis 2013 der "Kommission Nachhaltigkeit" beim DFB an, danach wurde er Nachfolger des aus Altersgründen ausgeschiedenen Schatzmeisters Horst R. Schmidt. Zuvor hatte ihn Rothmund zum Vizepräsidenten im Niedersächsischen Fußballverband gemacht.

Weil Wolfgang Niersbach im Zuge des Skandals um die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland von seinem Amt als DFB-Präsident zurücktrat, wurde ein passender Nachfolge-Kandidat gesucht. Die Wahl fiel relativ zügig auf Grindel - er wurde nach dem Treffen der 21 Landesverbands- und fünf Regionalpräsidenten am 17. November 2015 als einziger Kandidat nominiert. Die mächtigen Regionalverbände düpierten damit die Bundesliga, die zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht hinter Grindel stand. Einigen ging das Ganze zu schnell, zuerst wolle man in Ruhe den Skandal aufarbeiten - immer wieder hört man auch den Vorwurf der mangelnden Alternativen. Grindel war zur Stelle und zog im Hintergrund bereits eifrig die Strippen. Seine Mandate im Deutschen Bundestag sowie seine Funktion in dessen Sportausschuss legte er nieder.

Mutlu: Grindel ein "Funktionär auf Tauchstation"

Özcan Mutlu Bündnis 90/Die Grünen Berlin (Foto: Soeren Stache/dpa)
Grindel-Kritiker Özcan MutluBild: picture-alliance/dpa

Das genüge aber nicht, kritisierte Özcan Mutlu, Sprecher für Sportpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, vor der DFB-Wahl im April gegenüber der DW. Der Grünen-Abgeordnete forderte für den DFB einen "echten" Neuanfang: "Als amtierender Schatzmeister hat sich Grindel in Sachen Aufklärung und Transparenz nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Mit Grindel wählen die Mitglieder einen Funktionär, der auf Tauchstation gegangen ist, als es darauf ankam." So etwas wie die WM-Vergabe 2006 dürfe sich nie wiederholen. "Es sieht so aus, als wäre dem DFB hier der Kompass abhanden gekommen", so Mutlu, der von Grindel mehr Aufklärung im Sommermärchen-Skandal erwartet.

Auch wenn er in dieser Frage noch Antworten schuldig bleibt, eines hat Reinhard Grindel bisher erreicht: Die Unterstützung für ihn im deutschen Fußball ist gewachsen. Das zeigte nicht nur seine einstimmige Wiederwahl, sondern auch die Tatsache, dass die Liga inzwischen hinter ihm steht. Bezeichnete ihn Liga-Chef Reinhard Rauball zu Beginn noch als "Übergangsspitze", so klingt das nun ganz anders: "Er hat bewiesen, dass er dieses Amt ausfüllen kann und dabei die Interessen des gesamten deutschen Fußballs im Auge hat", so Rauball. Der Politiker Grindel scheint es geschafft zu haben, sein Thron wackelt nicht mehr. Ob sein Kalkül aufgeht, die WM-Affäre möglichst bald und überstrahlt von der EM-Bewerbung zu den Akten zu legen, bleibt aber abzuwarten.