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Das ist der Gipfel

Darius Cierpialkowski19. Juli 2006

"Gipfel der Ohnmacht", "Gipfel heißer Luft", "Gipfel der Kompromisse". Die meisten Zeitungen, Fernseh- und Radiosender bezeichnen das Ergebnis des G8-Gipfels in St. Petersburg inhaltlich als Flop.

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Die wirklich bemerkenswerten Dinge passieren bei politischen Großereignissen natürlich hinter den Kulissen. Doch den Massenmedien entgeht heutzutage nichts. Der analytische Verstand des politischen Korrespondenten dringt auch in die schwierigste Materie ein. Der Journalist, hört, schaut, denkt und … produziert eine Schlagzeile.

"Ein Gipfel heißer Luft"

Wunderbar auf den Punkt gebracht. Damit kann nur die G8-Journalistenkantine gemeint sein. Ein Melting Pot für 3000 Korrespondenten, Kameraleute und Techniker aus aller Welt. Unter einem weißen Zeltdach, nass geschwitzt, stritten sie sich um Würstchen, Salate, Süppchen und russische Pelmeni (gefüllte Teigtaschen). Die kilometerlangen Schlangen sind leicht zu erklären, Getränke und Speisen waren gratis. 30 Tonnen Lebensmittel soll die preisbewusste Medienschar an vier Tagen vertilgt haben. Ihr unstillbarer Hunger konnte höchstens mit der enormen Hitze am ersten Gipfeltag und mit der bitteren Kälte am Abschlusstag konkurrieren. Die Schlagzeile "Ein Gipfel heißer Luft" trifft also mindestens zu 50 Prozent zu.

"Gipfel der Ohnmacht"

Dieser Punkt ist schnell erklärt. Da das Gastgeberland Russland ein Land des Wodkas ist, wurde Wein und Bier wie selbstverständlich schon zur Mittagszeit in beträchtlichen Mengen ausgeschenkt. Kaum war ein Gläschen ausgetrunken, wurde dem glückseligen Medienvertreter das nächste alkoholische Gratisgetränk gereicht. Betrunkene Journalisten und Medientechniker zierten daher das G8-Gelände. Manche schliefen seelenruhig in den Ecken, andere torkelten leicht. Doch das stört die verantwortungsvolle Arbeit eines guten Journalisten keinesfalls. Im Gegenteil, mit dem Alkoholpegel steigt auch die geistige Kraft. So ist auch die wunderbare Schlagzeile "Gipfel der Ohnmacht" zu verstehen. Sie entstand wahrscheinlich nach einem langen Arbeitstag und zehn Gläsern Bier, wer weiß?

"Gipfel der Peinlichkeiten"

Damit ist vor allem George W. Bush gemeint, der in einem lockeren Gespräch mit Tony Blair, den Mund im wahrsten Sinne des Wortes, sehr voll nahm und dem britischen Premier folgende Worte zum Nahost-Konflikt zuschmatzte: " … die Hisbollah solle dazu bewegt werden, diesen Sch... zu beenden, dann ist die Sache gelöst". Premier Blair, ganz Gentleman lächelte dazu freundlich.

Gastgeber Wladimir Putin stand dem in Nichts nach, als er, angesprochen auf den Zustand der Demokratie in Russland, während einer Pressekonferenz mit seinem Freund, dem US-Präsidenten, seelenruhig in die Kameras erklärte: "Eine Demokratie wie im Irak braucht Russland jedenfalls nicht." Einige Journalisten bezeichneten diese Äußerung als taktlos, andere, hauptsächlich die mit russischem Pass, lachten lauthals.

"Gigantische, sinnfreie Veranstaltung"

Zu dieser Formulierung ließen sich Schweizer Zeitungskollegen hinreißen. In der Tat hat es wenig Sinn, wenn etwa der Fernsehkorrespondent zu seinem Aufsagerort Hunderte Meter durch Starkregen, Schlamm und Wasserpfützen watet. Dann aus der heimatlichen Regie im fernen Berlin die ernste Ermahnung hört, die Krawatte sitze nicht ordentlich. Dass die zuvor stundenlang gewienerten G8-Gipfelschuhe vor lauter Dreck nicht mehr als solche zu erkennen sind, stört die Kollegen von der Regie und die Fernsehzuschauer natürlich weniger. Die Schuhe sind ja nicht im Bild.

Gipfel am Ende

"Das beste wäre, die G-8 einen sanften, schnellen Tod sterben zu lassen." Eine solch finale Aussage haben sich andere Zeitungskollegen einfallen lassen. Verbitterung klingt bei dieser Zeile durch. Vielleicht sind sie bei den G8-Gratisgeschenken oder dem Rotwein zu kurz gekommen ... Die G8-Pelmeni und der G8-Weißwein haben jedenfalls prima geschmeckt.