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Wannseekonferenz: Die perfide Planung des Massenmords

20. Januar 2022

In einer stattlichen Villa bei Berlin wurden am 20. Januar 1942 Details zum Völkermord an den europäischen Juden besprochen. Auch 80 Jahre danach lässt einen das Protokoll der Wannseekonferenz erschaudern.

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Haus der Wannseekonferenz
In dieser Villa am Wannsee in Berlin trafen sich 1942 Spitzenbeamte der NazisBild: DW/N.Wojcik

80 Jahre Wannseekonferenz

Manchmal hilft der Zufall. Im März 1947 müssen sich Beamte des Auswärtigen Amtes vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal verantworten, da macht Robert Kempner einen bedeutenden Fund. 

In der Masse der schriftlichen Hinterlassenschaft der Nazizeit erregt ein Deckblatt die Neugier des stellvertretenden Hauptanklägers. Ein Stempel in roter Farbe ist deutlich lesbar: "Geheime Reichssache". Es folgen 15 Seiten unter dem harmlos nüchternen Titel "Besprechungsprotokoll". Es ist der Beleg für  die systematische Ermordung der europäischen Juden,  die Aufzeichnung über die sogenannte Wannseekonferenz am 20. Januar 1942. Es ist die 16. Protokollabschrift. Und es ist die einzige erhaltene von insgesamt 30.

Jung, gebildet, ehrgeizig

Zur Mittagszeit dieses 20. Januar folgen 15 Männer einer Einladung von Reinhard Heydrich, Chef des gefürchteten Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), in die noble Industriellenvilla im schicken Berliner Wannsee, einem Vorort Berlins. Draußen herrschen zwölf Grad minus, und was in der Villa in gut zwei Stunden besprochen wird, lässt dem Zeitgenossen noch heute das Blut gefrieren. Gekommen sind SS-Offiziere, Staatssekretäre und Führungskräfte der NS-Verwaltung. Es sind nicht die bekannten Namen, aber fast alle sind jung und gebildet. Jeder zweite ist promoviert. Vor allem aber sind sie ehrgeizig.

Haus der Wannseekonferenz
Alles bürokratisch korrekt: Auszug aus den Gesprächsaufzeichnungen vom 20. Januar 1942Bild: DW/N.Wojcik

Für weniger historisch Interessierte gilt die Wannseekonferenz als Beschluss-Gremium für den Holocaust. Was in doppelter Hinsicht falsch ist. Erstens wurde an diesem Tag gar kein Beschluss gefasst. Es wurde "informiert". Und zweitens hatte der Völkermord an den Juden schon begonnen.

Heydrich hatte Vertreter aller relevanten Institutionen - etwa des Auswärtigen Amtes und des Verkehrsministeriums - am Tisch. Es ging um die Koordination der geplanten Deportationen und Massenmorde. Und es ging darum, alle beteiligten Zuständigkeitsbereiche unter Heydrichs Leitung zu stellen. Der erste Satz des Protokolls belegt das schon. "Bestellung zum Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage", ein Karrieresprung für Heydrich.        

Eine halbe Million jüdische Opfer schon vor der Konferenz

Der 20. Januar 1942 war entgegen häufiger Behauptungen nicht der Beginn der organisierten Massenmorde an den Juden. Der sogenannten "Endlösung der Judenfrage" waren schon Monate vorher Hunderttausende zum Opfer gefallen. Vor allem in den Gebieten der Sowjetunion, die deutsche Truppen seit Sommer 1941 besetzt hielten. Die Deutschen hatten 500.000 Juden, darunter auch Kinder und Frauen, bis zur Wannseekonferenz schon getötet. Zumeist starben sie durch Kugeln von Erschießungskommandos. 

Judentransporte Auschwitz
Auf dem Weg in die Gaskammern: Juden kurz vor der Abfahrt nach AuschwitzBild: picture-alliance/ZUMAPRESS.com

Vorboten für die Vernichtungsabsichten an den Juden gab es lange vorher. Hitler führte schon am 30. Januar 1939 eindeutiges Vokabular im Munde, als er im Kriegsfalle dem - wie es im Nazi-Jargon hieß - "internationalen Judentum" die Vernichtung prophezeite. Als der Krieg gegen die Sowjetunion ("Unternehmen Barbarossa") am 22. Juni 1941 begann und weite Teile des Riesenreiches überrannt wurden, befanden sich nach nur wenigen Monaten Millionen von nicht-deutschen Juden im Machtbereich Nazi-Deutschlands.

Der Historiker und Holocaust-Experte Michael Wildt sieht darin eine Zäsur in der Verfolgungspolitik gegenüber den Juden. Vertreiben und zur Emigration zwingen - das war bei mehr als elf Millionen Juden, die im Wannseeprotokoll erfasst wurden, nicht mehr möglich. "Um sich der Juden zu entledigen, wurden (die Pläne) entsprechend monströser, gigantischer", so Wildt.

Eichmann, der Kronzeuge

Richtig konkret, wie die Juden aus der Welt geschafft werden sollten, ist das 15-Seiten-Protokoll nicht. Die "Evakuierung nach dem Osten" ist missverständlich und legt dennoch nahe, was gemeint ist: die Vernichtung. Adolf Eichmann, leitender Mitarbeiter Heydrichs und Teilnehmer der Wannseekonferenz, gestand das Jahre später unumwunden ein. Nach seiner spektakulären Entführung aus Argentinien durch den israelischen Geheimdienst sagte er im Prozess in Jerusalem 1961 auf die Frage, was man in der Villa besprochen habe: "Da sind die verschiedenen Tötungsarten besprochen worden."                  

Deutschland Österreich Geschichte Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich in Wien
Der Chef und sein Umsetzer für den Holocaust: Heinrich Himmler und Reinhard HeydrichBild: AP

Auch wenn in dem einzig erhaltenen Protollexemplar Tarnformulierungen wie "entsprechend behandelt" verwandt wurden, ist das Dokument eine Ausnahme in Sachen Eindeutigkeit der Absichten, ist sich der Historiker Peter Longerich sicher. Weil, so seine Begründung, über die Teilnahme an der Konferenz das Jahrhundertverbrechen von allen mitgetragen wurde: von der SS, dem Justiz-, Innen- sowie Außenministerium, der Rüstungsindustrie und nicht zuletzt der Partei. Und dennoch hatten führende Nazis nach 1945 die Chuzpe zu behaupten, von allem nichts gewusst zu haben, wie Reichsmarschall Hermann Göring oder Alfred Rosenberg, einer der führenden NS-Ideologen und Minister für die besetzten Ostgebiete.

Reinhard Heydrich, der nur wenige Monate nach der Konferenz einem Attentat zum Opfer fiel, verfolgte neben der Ermordung der europäischen Juden noch einen weiteren Plan. Sollte die Sowjetunion besiegt werden, plante der Spitzen-Nazi den massenhaften Einsatz von Juden als Straßenarbeiter im Osten. "Wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird", ist auf Seite sieben des Protokolls in Bürokratensprache zu lesen. Der verbleibende "Restbestand" müsse "entsprechend behandelt" werden.

Dies ist eine aktualisierte Version eines früheren Artikels.

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Volker Wagener Redakteur und Autor der DW Programs for Europe