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Politik

Dalibor. Bosnien. Demokratie

Gilda-Nancy Horvath
13. November 2020

Er wollte Pilot werden. Heute ist Dalibor Tanic ein preisgekrönter Investigativjournalist und Chefredakteur des Online-Portals "Udar". In Bosien kämpft er gegen Korruption und für eine höhere Wahlbeteiligung.

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Bosnien und Herzegowina | Roma-Aktivist | Dalibor Tanic
Dalibor Tanic ist preisgekrönter Investigativ-JournalistBild: privat

Am liebsten hätte er Psychologie studiert. Doch die Erwartungen der Familie waren klar: Der ältere von zwei Söhnen, sportlich und überdurchschnittlich diszipliniert, sollte eine Respektperson werden, ein Staatsheld beim Militär. Diese Laufbahn schien ideal für ihn und tatsächlich war auch der junge Dalibor selbst dieser Idee  zunächst nicht abgeneigt: "Ich war einfach immer sehr ehrgeizig - egal, ob in der Schule oder beim Sport. Ich wollte immer der Beste sein, und oft ist mir das auch gelungen. Das war meine Superkraft." 

Ein Schelm, wer jetzt denkt, er hätte sich diesen Perfektionismus zugelegt, um die gängigen Vorurteile über Roma in realis zu widerlegen. Dies wäre aus seiner Sicht "eine abermalige Reduktion auf seine ethnische Herkunft".

Mit 22 verließ er den Pfad zu einer Karriere beim Militär: "Das war einfach nicht ich. Ich fühlte mich nicht wohl mit der Mentalität." Pilot wurde er keiner mehr, aber sein Wunsch, für mehr Gerechtigkeit einzutreten, blieb bestehen und führte Tanic später zum Journalismus, was seine Eltern nicht mit weniger Stolz erfüllte. 

Ehemann, Nachbar, Journalist, Mensch

Sein neues Umfeld versuchte, ihm das Label "Roma-Journalist" zu verpassen. Dalibor sollte sich auf Stories über "seine Leute" konzentrieren. Doch es kam wieder anders. Abermals erhob er sich über die Erwartungen seiner Umgebung. 2015 bekam er den Preis der Europäischen Union für investigativen Journalismus. Tanic hatte nach monatelangen, mühseligen und nicht ungefährlichen Recherchen ein ganzes Netzwerk staatlicher Korruption aufgedeckt. Trotzdem versuchten manche, ihn weiter als "Vorzeige-Roma" zu kategorisieren. Seine Haltung dazu ist klar: 

"Ich bin ein Ehemann, ein Nachbar, ein Journalist und vor allem bin ich ein menschliches Wesen."

Karte Bosnien
In Bosnien und Herzegowina finden am Sonntag (15.11.) Kommunalwahlen statt

Er wird etwas verlegen, seine Augen glänzen, als er über seine Frau spricht, mit der er gerade den zehnten Hochzeitstag feiert. Sie teilt seine Begeisterung für Barack Obamas "Yes We Can", glaubt so wie Dalibor daran, dass wir alle gemeinsam die Welt zu einem besseren Ort machen können. Kennengelernt haben die beiden sich passenderweise bei einer Konferenz für Menschenrechte. 

"Glauben an die Demokratie stärken"

An Wahlen teilzunehmen ist für Dalibor daher mehr als selbstverständlich - es ist die wichtigste Pflicht eines jeden Bürgers und einer jeden Bürgerin: 

"Du solltest Teil des politischen Prozesses sein. Ein Bürger, der wählt. Damit mehr Menschen wählen gehen, müssen wir ihnen zeigen, dass ihre Teilnahme am Prozess etwas bewirkt. Wir müssen das Vertrauen innerhalb der lokalen Communities stärken - ihren Glauben an die Demokratie, ihren Glauben daran, dass ihre Stimme einen Unterschied machen kann."

Dalibor sagt dies vor dem Hintergrund der anstehenden Kommunalwahlen in Bosnien. Wahlen inmitten einer Pandemie und einer latent-aggressiven Politverdrossenheit, die sich voraussichtlich in einer niedrigen Wahlbeteiligung offenbaren wird. Ein Grund mehr für den resilienten Aktivisten, die Bürgerinnen und Bürger mittels Engagement einer eigens aufgesetzten Kampagne zu aktivieren. "Es müssen auch auf einem langen Weg die ersten Schritte getan werden", sagt er inspiriert von dem weltbekannten Autor Yuval Noah Harari.

"Die Pandemie ist der perfekte Boden für Desinformation"

Im Alltag ist Dalibor ebenso praktisch wie philosophisch veranlagt, beherrscht "Neurolinguistisches Programmieren", kurz NLP - eine Technik zur Beeinflussung via Sprache. Diese Technik ist sehr beliebt im Marketing und wird bereits seit langer Zeit von Politikerinnen und Politikern verwendet, wenn Emotionen über Fakten erhoben werden sollen. Dalibor entschlüsselt mit seinem Wissen Propaganda, die sich als Nachrichten tarnt und gezielt Hass schürt. Während COVID-19 wurden Roma wieder einmal ganz bewusst angegriffen - und Tanic weiss auch, warum:

"Die Pandemie ist der perfekte Boden für Desinformation und die gezielte Auslotung moralischer und ethischer Grenzen. Genau an diesem Punkt müssen wir uns fragen, wie stark der Einfluss der Medien auf das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich ist."

Sarajevo Rathaus
Die "Vijećnica" ist das ehemalige Rathaus von Sarajevo und heute Sitz der Nationalbibliothek von Bosnien und HerzegowinaBild: DW/D. Dedović

Tanic ruft zu einer Versachlichung der Diskurse auf, zu einer Abrüstung der Emotionen und einer ordentlichen Portion Selbstkritik. Ob wir jemals in einer chancengleichen Gesellschaft leben werden, hängt seiner Meinung nach auch davon ab, wie stark wir uns unreflektiert beeinflussen lassen. Naturgemäß steht am Ende für den Journalisten Tanic eine Frage: 

"Sind wir bereit, dieser Welt entgegenzutreten und sie auf einer valideren Grundlage zu beurteilen als aufgrund von zehn-Sekunden Clips voller Hass und Propaganda?"

Dalibor Tanic (39) lebt in Bosnien und ist NLP-Master, Journalist und Aktivist. 2002 begann er seine journalistische Karriere als Redakteur beim Radio in Sarajevo. Später schrieb er für die Online-Magazine "Zurnal" und "Start B&H". 2015 gewann er den Preis der Europäischen Union für investigativen Journalismus in Bosnien-Herzegowina für die Aufdeckung staatlicher Korruption. Heute ist er Chefredakteur seines eigenen Online-Portals  "Udar"  ("Tor" auf Romanes) - ein Ergebnis seines jahrelangen Engagements im Monitoring und Reporting zur Situation der Roma in Bosnien und Herzegowina.

Auf romblog.net ist dieses Portrait dreisprachig publiziert: Deutsch, Englisch und Romanes.