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Der Ethnologe Markus Höhne über die Lage in Somalia

29. August 2011

Somalia kämpft nicht nur gegen den Hunger, sondern versinkt auch immer tiefer in einem Bürgerkrieg. DW-WORLD.DE sprach mit dem Somalia-Experten Markus Höhne über den Zusammenhang zwischen Hunger und Terror.

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Markus Höhne (Foto: Markus Höhne)
Somalia-Experte Markus Höhne ist Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Ethnologische ForschungBild: Markus Höhne

DW-WORLD.DE: Herr Höhne, Somalia hat schon einige schwere Dürreperioden erlebt, aber was sich zurzeit in dem Krisenland abspielt, das nennen viele Beobachter die schlimmste Hungerkatastrophe seit 60 Jahren. Welche Gebiete sind besonders betroffen?

Markus Höhne: Es sind besonders Gebiete in Südsomalia betroffen. Gebiete, die seit Jahren im Krieg sind. Dieser Krieg im Süden ist 2006 wieder eskaliert und hat zu neuen Instabilitäten geführt. Und das zusammen mit einer sich anbahnenden Dürre hat zu dieser Katastrophe geführt. Die Region Gedo zum Beispiel, die Regionen Bay und Bakol und auch Gegenden um Mogadischu sind am schlimmsten betroffen.

Wer kämpft denn eigentlich gegen wen in diesem Bürgerkrieg?

Es sind auf der einen Seite islamische Milizen, vor allem Al-Shabaab, die gegen eine von außen eingesetzte Übergansregierung mit dem Namen Transitional Federal Government (TFG) kämpfen. Das TFG wurde 2006 bis 2008 massiv militärisch von Äthiopien unterstützt und seit dem Abzug der äthiopischen Truppen im Januar 2009 wird das TFG vornehmlich von den Truppen der Afrikanischen Union unterstützt. Die haben eine sogenannte Friedensmission in Somalia unter dem Namen AMISOM, die allerdings keine richtige Friedensmission ist, sondern den Auftrag hat die Übergangsregierung gegen die Milizen von Al-Shabaab zu schützen. Aber man kann nicht erwarten, dass die Übergangsregierung in absehbarer Zeit effektiv regiert. Es wird immer noch eine Regierung mit extremen Defiziten sein.

Al-Shabaab-Milizen nahe Mogadischu (Foto: AP)
Terror in den Hungergebieten: Die Dürre hat auch die Al-Shabaab- Milizen geschwächtBild: AP

Über die Hungergebiete hat die Regierung ja kaum Kontrolle. Hier herrschen die Al-Shabaab-Milizen und versperren den großen Hilfsorganisationen den Zugang. Warum lässt Al-Shabaab die Menschen in Somalia absichtlich hungern?

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Al-Shabaab als Ganzes die Menschen absichtlich hungern lässt. Ich denke, Al-Shabaab ist eine durchaus heterogene Bewegung, innerhalb derer es Extremisten gibt, die die Hungerkatastrophe in Somalia als Propaganda des Westens bezeichnen. Das ist natürlich extrem zynisch. Aber ich denke, innerhalb von Al-Shabaab gibt es auch durchaus Kräfte, die an einer pragmatischen Zusammenarbeit mit westlichen Hilfsorganisationen interessiert sind. Die können sich allerdings vielleicht im Augenblick nicht durchsetzen, weil Al-Shabaab gleich an mehreren Fronten kämpft.

Al-Shabaab ist einfach geschwächt, nicht nur durch die aktuelle Offensive der Übergangsregierung und der Afrikanischen Union, sondern auch durch die Hungerkatastrophe. Ihnen laufen ihre eigenen Leute weg. Also ich denke die Organisation ist zerrissen, man kann nicht mehr von einer geschlossenen Al-Shabaab sprechen, sondern man muss differenzieren.

Es laufen weltweit Spendenaktionen, damit mehr Lebensmittel und mehr Hilfsgüter nach Somalia gebracht werden können. Kann der Bevölkerung auf diese Weise geholfen werden?

Ich denke schon, dass es einen extremen Bedarf an Nothilfe gibt, der auch noch lange nicht gedeckt ist. Es gibt Spenden aus der Bevölkerung, das ist extrem gut. Auch Regierungen, EU, internationale Gemeinschaft und die USA wollen große Millionenbeträge bereitstellen. Die decken allerdings meiner Information nach immer noch nicht die Bedürfnisse ab.

Dann ist da natürlich die Frage, wie diese Gelder vor Ort eingesetzt werden und ob sie wirklich die Hungernden erreichen. Man kann nicht davon ausgehen, dass jeder gespendete Euro wirklich bei den Bedürftigen ankommt. Nichtsdestotrotz muss man wahrscheinlich sagen, dass es keine echte Alternative gibt, als immer noch zu helfen. Ich glaube, dass die Tragödie in Bezug auf Somalia ist, dass man keinen langfristigen politischen Plan hat, der auch mal ergebnisoffen sein kann.

Wie könnte denn so ein politischer Plan für ein stabiles Somalia aussehen?

Ich würde denken, dass man zum Beispiel mal von der Idee absieht, dass es eine zentralstaatliche Struktur für ganz Somalia geben muss. Zum Beispiel ganz Nordsomalia, was ungefähr so groß ist wie die BRD, ist sehr friedlich und dort ist auch diese Hungerkatastrophe nicht eskaliert. Sondern dort gibt es die Republik von Somaliland, die sich schon 1991 für unabhängig erklärt hat, nicht anerkannt wird als Staat, aber sehr gut funktioniert als De-Facto-Staat. Und es gibt im Nordosten Puntland, was ein autonomes Gebilde ist.

Karte Puntland (Karte: AP/DW)
Vorbild Nordsomalia?: Puntland ist relativ stabilBild: DW

Das sind zum Beispiel zwei Ansätze, wo man sehen konnte, dass in Somalia durchaus politische Ordnung auch großflächiger möglich ist. Und ich denke, ein ähnliches Modell könnte auch in Südsomalia funktionieren. Aber da müsste man einfach mal sagen: Wir fördern Leute, die vor Ort akzeptiert sind und die eine friedliche politische Agenda haben. Das ist möglich, wenn man zum Beispiel auch Leuten, die eine islamische Agenda haben, mal offen gegenüber tritt und sagt: Ihr habt bestimmte religiöse Orientierungen und solange ihr keine terroristischen Ziele verfolgt, dann können wir mit euch zusammenarbeiten.

Würde das auch bedeuten, mit gemäßigten Al-Shabaab-Mitgliedern zu verhandeln?

Man muss natürlich mit diesen Begriffen 'gemäßigt' und 'moderat' sehr vorsichtig sein. Was wir in Somalia insgesamt haben, auch in Teilen der Übergangsregierung, sind extrem konservative Muslime. Also für unser westliches Verständnis sind es im Wesentlichen schon Fundamentalisten, die da oft am Werk sind. Und aus politischen Gründen unterscheidet man die Moderaten von den Extremisten. Aber nach dieser aktuellen Katastrophe, wenn man noch mal über Somalia neu nachdenken will, muss man glaube ich realistisch sein. Es gibt einfach sehr konservative islamische Strömungen, die sich auch in den letzten Jahren militarisiert haben. Aber man muss auch mit denen reden. Man muss nicht mit den Leuten reden, die Al-Kaida angehören, aber man muss mit denen reden, die ein genuines Interesse an Somalia haben und da sind nun mal auch Leute dabei, die jetzt noch in Al-Shabaab sind.

Markus Höhne ist Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung in Halle und hat seine Doktorarbeit über Staats- und Identitätsbildung in Somalia geschrieben.

Das Interview führte Julia Hahn
Redaktion: Jan-Philipp Scholz