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Coronavirus: Verwirrung um Ibuprofen

3. Juni 2020

Britische Forscher hoffen, dass ein Typ von Ibuprofen den Krankheitsverlauf bei COVID-19 mildern kann. Eine Studie soll auch Klarheit in einen Wissenschaftler-Streit bringen, ob der Wirkstoff mehr schadet oder hilft.

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Eine Packung Ibuprofen liegt vor einer Abbildung des Coronavirus auf einem Tisch
Bild: picture-alliance/dpa/L. Mirgeler

Britische Forscher hoffen, dass ein Typ von Ibuprofen den Krankheitsverlauf bei COVID-19 mildern kann. 

Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf könne so vielleicht eine künstliche Beatmung erspart bleiben, da diese häufig schwere Komplikationen hervorruft, die bis zum Tode führen können.

Zuvor war die britische Arzneimittelkommission zu dem Ergebnis gekommen, dass Ibuprofen bei COVID-19 Erkrankungen unbedenklich sei, Fieber senken und grippeähnliche Symptome mildern könne.

Seit März gibt es eine lebhafte Fachdiskussion, ob Ibuprofen bei COVID-19 mehr hilft oder mehr schadet. 

Vertraute Medikamente mit gefährlichen Nebenwirkungen?

In der aktuellen Corona-Pandemie sind insbesondere Menschen mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes gefährdet. Nicht nur, weil ihr Organismus geschwächt ist, sondern möglicherweise auch, weil sie Medikamente nehmen, die bei einer Infektion mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 einen schweren Verlauf begünstigen, so ein Verdacht.

Etwa ein Viertel der Menschheit hat zu hohen Blutdruck, in vielen industrialisierten Ländern wie Deutschland sind sogar ein Drittel der Bevölkerung betroffen. Und viele nehmen blutdrucksenkende Mittel wie jene ACE-Hemmer oder Sartan, die mutmaßlich bei einer Infektion mit dem neuen Coronavirus schwere Verläufe begünstigen.

Auch Diabetes-Medikamente wie der Insulin-Sensitizer Thiazolidindione (Glitazon) und das bekannte Schmerzmittel Ibuprofen stehen im Verdacht, ausgerechnet jenen ACE2-Rezeptor hochzuregulieren, der SARS-Viren den Eintritt in die Zellen ermöglicht.

Dies ist allerdings bislang nur eine unbestätigte Theorie, eine verlässliche Studie fehlt. Darauf verwies zwar auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), trotzdem sollten  Infizierte Ibuprofen nicht ohne ärztlichen Rat einnehmen und stattdessen Paracetamol einnehmen, warnte WHO-Sprecher Christian Lindmeier am noch am 17. März in Genf.

Um die Verwirrung komplett zu machen, machte die WHO zwei Tage später dann einen Rückzieher. Man habe noch mal die behandelnden Ärzte konsultiert:

Lesen Sie hier:  Coronavirus, Grippe oder Erkältung: Wie erkenne ich den Unterschied?

Was sagen führende deutsche Virologen?

Angesichts der fehlenden Fakten und Daten hatten sich führende deutsche Virologen nur sehr zurückhaltend über mögliche negative Effekte durch Ibuprofen geäußert. Ähnliches gilt auch für die zu dieser Wirkstoffgruppe zählenden Acetylsalicylsäure-Präparaten (ASS; Aspirin) und Diclofenac. "Wir wissen wenig über die Pathogenese des Virus Sars-CoV-2. Es gibt dazu bisher keine klinischen Daten," sagte damals der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM).

Auch der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité hatte seine Zweifel. Zwar sei das Virus neu, aber andere Coronaviren kenne man schon länger. Und auch bei diesen gebe "es keinen Hinweis darauf, dass Ibuprofen-Einnahme da irgendetwas verschlechtern würde. Ich glaube, das wüsste man inzwischen, wenn das so wäre", so Drosten.

Alle Experten raten allerdings dringend davor ab, dass Patienten aus lauter Panik eigenmächtig ihre ACE-Hemmer oder Sartan-Therapie absetzen und auf andere Wirkstoffe ausweichen.

Woher stammt der Verdacht?

Grundlage für den aktuellen Verdacht, dass ACE-Hemmer und auch Ibuprofen einen ähnlich negativen Effekt haben könnten, war ein Artikel, der am 11. März 2020 im Lancet Respiratory Medicine erschienen war.

Darin erklärten die drei Autoren L. Fang, G. Karakiulakis und M. Roth, dass ACE-Hemmer und Sartane, aber eben auch Thiazolidindione und Ibuprofen den COVID-19-Verlauf verschlimmern könnten. Ausdrücklich haben die Autoren dies allerdings als Hypothese formuliert.

Tatsächlich konnte bei Tests mit Ratten bereits nachgewiesen werden, dass ACE-Hemmer und Angiotensin-1-Rezeptorblocker tatsächlich ACE2 in Herzzellen hochregulieren. Und bei Tests mit Diabetes-kranken Ratten wurde ein Einfluss von Ibuprofen auf das Regulierungssystem festgestellt.

Aber all diese Erkenntnisse reichen nicht für eine wirklich allgemeingütige Aussage, dafür fehlt es bislang an verlässlichen Daten und Belegen.

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Wie dringt das Coronavirus in die Zellen ein?

Um all diese Zusammenhänge zu verstehen, muss man sich mit den wirklich komplexen biochemischen Prozessen beschäftigen, die im Körper ablaufen. 

Auf Zelloberflächen befinden sich ACE-Rezeptoren, an die das ACE-Enzym bindet. Genau dieses transmembranäre Enzym ACE2 (Angiotensin Converting Enzyme 2) nutzen SARS-Viren und auch das neue SARS-CoV-2 als Rezeptor, um in ihre Wirtszellen zu gelangen und ihre Replikation zu starten. Das weiß die Wissenschaft seit der SARS-Epidemie 2002/2003.

Zwar binden die therapeutisch genutzten ACE-Hemmer nicht an ACE2 an, sondern fangen das Angiotensin Converting Enzyme (ACE) ab und blockieren es so. Damit aber bleiben die ACE-Rezeptoren frei und daran können dann die Viren andocken und eindringen, so die Vermutung. Möglicherweise erhöhen die Zellen sogar die Anzahl an ACE2-Rezeptoren, wenn das ACE-Enzym abgefangen wird. Dann hätten die gefährlichen Viren sogar noch mehr Angriffspunkte.

Bei einem Virus-Befall würde durch eine ACE2-Downregulation die natürliche Schutzfunktion verloren gehen, die Medikamente würden so einen schweren Verlauf der neuen Lungenkrankheit COVID-19 zusätzlich begünstigen. Laut der in Lancet formulierten Hypothese soll Ibuprofen einen ähnlichen Effekt haben.

Nach Ansicht der Befürworter dieser noch unbestätigten Hypothese könnte dies der Grund sein, warum etwa in Italien die Sterblichkeitsrate so hoch ist, weil dort im Vergleich sehr viele ACE-Hemmer genutzt werden. Aber auch für diese These fehlen bislang verlässliche Daten. 

Diesen Artikel hat die Redaktion aufgrund neuer Studien seit seiner Erstveröffentlichung am 20. März 2020 aktualisiert.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund