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PolitikEuropa

Corona verstärkt Rassismus in Katalonien

Barber Ferrán dh
10. Juli 2020

Zum wiederholten Mal steht ein ganzer ein Landkreis in Katalonien wegen des Coronavirus unter Quarantäne. Vor allem afrikanische Arbeitsmigranten sind betroffen. Rassistische Kommentare sind an der Tagesordnung.

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Spanien Katalonien | Artikelbilder zu "Rassismus und lockdown in Katalonien"
Strikte Sicherheitsmaßnahmen: Über 200 Polizisten kontrollieren an den diversen Checkpoints der RegionBild: DW/F. Barber

Quim Torras Ankündigung kam völlig unerwartet. Kataloniens Regionalpräsident hatte am vergangenen Wochenende die Anweisung erteilt, dass sämtliche Straßen nach Lleida, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, sowie 38 weitere Städte des betroffenen Landkreises Segrià geschlossen werden sollten. Wer keinen festen Wohnsitz vorweisen konnte, musste die Region innerhalb von vier Stunden verlassen.

Grund für die weitreichende Entscheidung: ein sprunghafter Anstieg der Corona-Infizierten in der Region. Allein in der vergangenen Woche war die Zahl innerhalb weniger Tage um knapp 1.000 Fälle nach oben geschnellt, Gesundheitsexperten fürchteten eine Verdreifachung der Fälle innerhalb kurzer Zeit. 

Exodus und Panik 

Seit Torras' Ankündigung befindet sich nun die gesamte Region im Krisenmodus, kurz nach seiner Entscheidung folgte ein regelrechter Exodus hunderter Menschen, die die Gegend per Auto und Zug Knall auf Fall verlassen mussten: "Das kam teilweise einer Massenpanik gleich," erinnert sich ein Mitarbeiter am Bahnhof von Lleida.

Karte - Lleida, Spanien - DE

Zwar hat sich die Situation seit dem Wochenende wieder etwas beruhigt, allerdings wirken die Sicherheitsmaßnahmen für die rund 200.000 Bewohner der Region an einigen Stellen immer noch martialisch: Die gesamte Gegend ist von Checkpoints durchzogen, die von über 200 Polizisten bewacht werden.

Nur denjenigen, die über gültige Arbeitspapiere verfügen, ist es erlaubt, das Gebiet zu betreten oder zu verlassen. Hinzu kommt: Ältere Menschen sind angehalten, ihre Häuser nur zum Einkaufen zu verlassen, Zusammenkünfte von mehr als zehn Leuten sind verboten. 

Alba Verges, Chef der katalanischen Gesundheitsbehörden, hat wiederholt klar gemacht, dass die Maßnahmen jederzeit verschärft werden könnten – sollten die Infektionszahlen zunehmen. Eine Drohung, die angesichts des mehrere Monate anhaltenden drakonischen Lockdown in Spanien bei den meisten Bewohnern schlimmste Erinnerungen weckt.

Übernachten in Kartons

Einer, der es nicht pünktlich ausreiste, war Muhammad Bennani, ein Tagelöhner aus Marokko. Er liegt erschöpft auf einer Bank im Busbahnhof der Stadt. Erst kurz vor der Bekanntgabe der Behörden sei er aus dem über 200 Kilometer entfernten Benicarló mit dem Bus angereist. Es habe eine knappe Stunde gedauert, bis er realisiert habe, dass er in der Falle sitzen würde: "Ich bin nach Lleida gekommen, um mir hier in der Region Arbeit zu suchen. Eigentlich wohne ich mit meiner Familie in Benicarló. Und jetzt halten mich die Behörden davon ab, dorthin zurückzukehren."

Spanien Katalonien | Artikelbilder zu "Rassismus und lockdown in Katalonien"
Ein afrikanischer Tagelöhner schläft während der Quarantäne auf einer Bank in der Stadt LleidaBild: DW/F. Barber

Muhammad Bennani ist nicht der einzige Tagelöhner in Lleida. Viele von ihnen harren unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Stadt aus: Zu Hunderten übernachten sie derzeit auf Kartons, zusammengepfercht unter den Arkaden alter Gebäude, in besetzten Häusern oder – die beste Alternative – in von den Behörden freigegebenen Hotels.

Selbst wer Arbeit hat, geht es nicht viel besser: Denn in Katalonien sind insbesondere ausländische Arbeitsmigranten vom Coronavirus betroffen. Viele von ihnen arbeiten eng aneinandergedrängt in Schlachtbetrieben. Und auch diejenigen, die an der frischen Luft auf Obstplantagen arbeiten, sind vor dem Virus nicht sicher.

Obstkammer Spaniens

Denn es sind vor allem die beengten Wohnverhältnisse in den Unterkünften der Saisonarbeiter, wo häufig bis zu 50 Menschen in einem provisorischen Schlafquartier untergebracht sind, die dem Virus geradezu ideale Bedingungen verschaffen.

Die prekäre Lage der Saisonarbeiter, von denen die meisten ohne legale Papiere arbeiten, ist nicht neu. Der Landkreis Segrià, aus dem ein Großteil des für den europäischen Markt produzierten spanischen Obstes kommt, wirkt wie ein Magnet auf Arbeitsmigranten.

Seit über 25 Jahren sind es vor allem afrikanische Tagelöhner, die zur Erntesaison kommen. Für viele von ihnen ist das Geld, das sie in den Sommermonaten verdienen, das wichtigste Einkommen des Jahres. Auch deswegen hatten während der Corona-Pandemie viele von ihnen in Lleida ausgeharrt und das Risiko auf sich genommen, sich mit dem Virus anzustecken.

Spanien Katalonien | Artikelbilder zu "Rassismus und lockdown in Katalonien"
Hunderte der afrikanischen Feldarbeiter müssen während der Quarantäne unter menschenunwürdigen Bedingungen hausenBild: DW/F. Barber

Bei einigen Bewohnern in Lleida ist die Sorge groß, dass die Krankheit von den Gastarbeitern auf die einheimische Bevölkerung überspringt. Das Virus hat die Stigmatisierung der afrikanischen Arbeiter verschärft, die häufig für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht werden. Rassistische Kommentare in den Sozialen Medien sind an der Tagesordnung. 

Alltäglicher Rassismus

Nogay Ndiaye kann über solche Vorfälle nur den Kopf schütteln. Der Senegalese ist in einer Genossenschaft tätig, die sich für die Rechte der Arbeitsmigranten stark macht. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass sich der Virus unter den Arbeitern auch deswegen ausbreiten konnte, weil sich Politik und Behörden jahrelang nicht um deren Belange gekümmert hätten.

Niemand habe sich darum geschert, auch nur die einfachsten Hygienemaßnahmen oder ein Mindestmaß an humanen Lebensbedingungen zu garantieren: "Diese Menschen sind auf der Straße zurückgelassen und vergessen worden. Niemand aus der Politik war in der Lage, ihnen sichere und menschenwürdige Lebensbedingungen zu garantieren."

Statt die Politik des Laissez faire zu korrigieren, würde man jetzt auch versuchen, den Migranten die Schuld für die Ausbreitung des Virus in die Schuhe zu schieben, meint Nogay Ndiaye: "Dabei sind sie doch nicht die Täter, sondern die Opfer in dieser ganzen Geschichte".