1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Corona-Infektionen: Hohe Dunkelziffer

16. November 2021

Rund die Hälfte aller COVID-Fälle in Deutschland bleibt unentdeckt, sagen Experten. Statt fünf Millionen Infektionen soll es deshalb bereits zehn Millionen geben. Aber das ist nicht so schlimm, wie es erstmal klingt.

https://p.dw.com/p/434PR
Deutschland München | Fußgängerzone
Deutschland hat wohl erheblich mehr Corona-Infektionen, als die offiziellen Zahlen zeigenBild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

Die Zahlen klingen schon sehr hoch : In Deutschland erreicht die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Menschen jeden Tag neue Rekordwerte; zuletzt überschritt sie am Montag zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie die 300er-Marke. Insgesamt hat Deutschland mittlerweile laut Informationen des Robert-Koch-Instituts (RKI) gut fünf Millionen Corona-Infektionen zu verzeichnen.

Fünf Millionen ist eine extrem hohe Zahl. Aber Experten sagen, dass es in Wirklichkeit noch viel mehr Fälle sind.

Laut der bundesweiten Studie "Leben in Deutschland – Corona-Monitoring von Oktober 2020 bis Februar 2021" des RKI und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wurde etwa jede zweite Person, die sich im Studienzeitraum mit SARS CoV-2 infiziert hatte, nicht getestet und tauchte somit auch nicht in der offiziellen Statistik auf. "Die Zahl der Infektionen ist etwa doppelt so hoch wie aus den Meldezahlen für den genannten Zeitraum bekannt", heißt es in der Zusammenfassung.

Smartphone zeigt Inzidenzrate von 303
Am Montag lag die Inzidenzrate in Deutschland bei 303, am Dienstag war sie auf 312,4 gestiegen.Bild: Rüdiger Wölk/imago images

Eine Fortsetzung der Studie läuft noch bis Dezember dieses Jahres. Epidemiologe Hajo Zeeb schätzt schon jetzt, dass die Dunkelziffer weiter hoch ist. "Ich gehe davon aus, dass die uns bekannten Fälle zwischen der Hälfte und einem Drittel der tatsächlichen Zahlen ausmachen", sagt Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen, im DW-Gespräch.  

Wer keine Symptome hat, lässt sich nicht testen

Bei Corona-Fällen, die nicht registriert werden, sind die Betroffenen häufig asymptomatisch oder haben so milde Symptome, dass sie diese nicht ernst nehmen, erklärt Zeeb. Bei einem Halskratzen beispielsweise geht man nicht automatisch davon aus, dass man sich mit SARS CoV-2 angesteckt haben könnte.

Viele dieser unbemerkten Fälle kommen aus einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, sagt Zeeb. "Geimpfte haben tendenziell mildere Verläufe oder bemerken gar nicht, dass sie COVID haben", so der Epidemiologe. "Sie würden es nur mit einem Test merken."

Aber wer keine Symptome hat, kommt im Normalfall nicht auf die Idee, sich testen zu lassen (außer ein Negativ-Ergebnis ist beispielsweise für eine Reise erforderlich).

Deswegen sei es auch nicht entscheidend, ob die Bürger-Schnelltests nun kostenlos seien oder nicht, sagt Zeeb. Tatsächlich akkurate Zahlen könnte man nur erreichen, wenn man immer wieder stichprobenartig in der Bevölkerung testen würde, sagt Zeeb.

Hospitalisierungsrate entscheidender als genaue Fallzahlen

Stichprobenartiges Testen, auch von Personen, die keinerlei COVID-Symptome zeigen, wäre ein großer Aufwand. Wie wichtig wäre es, die Dunkelziffer zu drücken, also weniger COVID-Infektionen unbemerkt zu lassen? Oder anders gefragt: Ist es schlimm, dass wir nur von ungefähr der Hälfte aller Corona-Fälle wissen?

Nicht wirklich, sagen die Experten. "Die Dunkelziffer ist nicht so ein großes Problem", sagt Zeeb. Ein Faktor, der weitaus entscheidender sei, ist die Krankenhauseinweisungsrate.

Das bestätigt auch Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. "Der genaue Wert der Dunkelziffer ist für die Vorhersage der Krankenhausbelastung und für eine Abschätzung des Trends nicht relevant", sagte Priesemann der Nachrichtenagentur dpa.

Infografik Impfdurchbrüche

Um einzuschätzen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Pandemie einzudämmen, lohne eher ein Blick auf Hospitalisierung und die Belegung der Intensivstationen, als auf die Gesamtanzahl der Fälle, so die Physikerin. "Das ist ausreichend, um die Dynamik abzuschätzen." 

Geringes Long-COVID-Risiko 

Für die Gesellschaft sei die hohe Dunkelziffer also nicht von allzu großer Bedeutung. Stellt es für einzelne Betroffene ein Problem dar, wenn sie COVID hatten, ohne es zu bemerken? Zeeb hält das Risiko dafür, dass jemand, der während der akuten Erkrankung keinerlei Symptome hatte, später zum Beispiel unter Long COVID leidet, für gering.

"Bisher gibt es einen Zusammenhang zwischen schweren Symptomen und Long COVID", sagt der Forscher. "Wenn ich gar keine Symptome hatte, sind die Chancen günstig, dass ich auch kein Long COVID bekomme."

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker