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Corona: Der Kontakt bleibt eingeschränkt

27. Oktober 2021

Ende November soll die "Corona-Notlage" in Deutschland enden. Wird dann alles wieder normal? Vermutlich nicht. Denn entscheidend für die Einschränkung von Kontakten ist die individuelle Risiko-Bewertung, sagen Forscher.

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Deutschland | Frau mit Mundschutz | Symbolbild Depression
Viele Menschen fühlen sich in der Pandemie einsamBild: picture-alliance/dpa/F. Hoermann

Kein Kino. Kein Konzertbesuch. Und kein Kaffee mit der Kollegin. Auch nach anderthalb Jahren Corona-Pandemie schränken viele Deutsche ihre Kontakte stark ein. Das zeigt der "Kontaktmonitor" einer Forschungsgruppe rund um den Komplexitätsforscher Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität Berlin, der auch das Robert Koch-Institut berät, die nationale Gesundheitsbehörde Deutschlands. 

Brockmann und seine Mitarbeitenden haben anonymisierte GPS-Daten von mehr als einer Million Handys in Deutschland ausgewertet. Befanden sich zwei Geräte für mindestens zwei Minuten am selben Ort, einer als acht Quadratmeter groß definierten Fläche, dann zählten sie das als Kontakt. Vor Beginn der Pandemie hatte jeder Handynutzer im Schnitt etwa 20 solcher Kontakte pro Tag. 

Langsamer Anstieg erwartet

"Jetzt liegt der Wert nur etwa halb so hoch", sagt Brockmann im DW-Gespräch. "Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt es daran, dass wir eben noch nicht so häufig wieder in Restaurants gehen und noch nicht so häufig irgendwelche Events besuchen, wo viele Kontakte stattfinden." Die Zahl der Kontakte steige zwar wieder an in Richtung Normalzustand, "aber das passiert nur sehr langsam", so Brockmann. "Viel langsamer, als die Kontakte in der ersten Corona-Welle reduziert wurden."

Innerhalb von zwei Wochen fiel damals, im März 2020, die Zahl der durchschnittlichen Kontakte rapide ab. Und damit auch die Ansteckungsrate, die angibt, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Am 25. März 2020 stellte der Bundestag eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" fest - da hatten die Deutschen ihre Kontakte schon auf durchschnittlich weniger als neun pro Tag reduziert. 

"Obwohl das nicht die größte Welle war, haben die Menschen sehr schnell, sehr intensiv reagiert, weil da eine unbekannte Pandemie vor der Tür stand. Ein unbekanntes Virus", sagt Brockmann. Die persönliche Risiko-Wahrnehmung habe also eine große Rolle gespielt. "Eine viel größere als zum Beispiel die politischen Maßnahmen, die Lockdown-Maßnahmen."

"Ende aller Maßnahmen"

Die könnten nun langsam auslaufen. Die mögliche künftige Regierung aus SPD, Grünen und FDP will die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" am 25. November beenden. "Schulschließungen, Lockdowns und Ausgangssperren wird es jedenfalls mit uns nicht mehr geben und sind auch in der aktuellen Situation unverhältnismäßig", sagte Dirk Wiese, Fraktionsvize der SPD im Bundestag. 

Infografik Kontakte in Corona-Pandemie in Deutschland eingeschränkt DE

Bis Frühling nächsten Jahres sollen die Bundesländer jedoch Maßnahmen wie Abstandsregeln oder die Maskenpflicht beibehalten dürfen. Aber: "Es gibt ein absolutes Ende aller Maßnahmen und alle Maßnahmen enden spätestens mit dem Frühlingsbeginn am 20. März 2022", so Marco Buschmann, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP.

Die Gesellschaft wird träge

Unabhängig von politischen Maßnahmen wird sich das individuelle Verhalten aber auch in Zukunft zumindest in Teilen an der eigenen Risiko-Wahrnehmung orientieren. Wenn also die Fallzahlen sinken, dann treten die Menschen wieder stärker in Kontakt zueinander. "Wenn aber die Inzidenz durch die Decke schießt, wie es auch jetzt passiert, werden Menschen vorsichtiger sein, weil sie zurecht Angst vor einer Infektion haben" sagt Brockmann. Er spricht von einem "Hin und Her zwischen Verhalten und Inzidenz". 

Deutschland | Coronavirus - Pressekonferenz Neuregelung der Pandemie-Notlage
Marco Buschmann (FDP), Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Dirk Wiese (SPD, rechts im Bild) wollen die Pandemie-Notlage beendenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Allerdings habe sich diese Reaktion nach anderthalb Jahren Pandemie verlangsamt. "Es gibt auch Müdigkeits-Erscheinungen. Die Gesellschaft wird irgendwann träger, wenn sie sich an die Situation gewöhnt hat."

Zuletzt stieg die Inzidenz in Deutschland rasch an: Laut Robert Koch-Institut wurde in den vergangenen sieben Tagen bei durchschnittlich 130,2 Menschen je 100.000 Einwohnern eine Corona-Infektion festgestellt. Binnen 24 Stunden kamen gut 28.000 neue Infektions- und 126 Todesfälle hinzu.

Experte rät zu Abstand und Maske

Angesichts der hoch ansteckenden Delta-Variante des Corona-Virus rät Brockmann weiter dazu, Abstand zu halten und einen Gesichtsschutz zu tragen. Dies gelte auch für Geimpfte. Denn die hätten zwar einen Schutz vor schwerer Erkrankung. "Aber die Wahrscheinlichkeit, angesteckt zu werden ist nicht um einhundert Prozent reduziert, sondern es gibt immer noch ein Restrisiko, das Virus weiter zu tragen, ohne dass man es merkt."

Für ihre Modelle nutzen Brockmann und seine Kolleginnen schon heute nicht nur anonyme Handy-Daten, sondern auch Daten aus Fitness-Trackern, die Nutzer freiwillig zur Verfügung stellen. Aus ihnen können die Forschenden ablesen, wie viele Menschen unter Fieber leiden – und haben damit einen Schätzwert für die Zahl der Corona-Kranken in Deutschland. Dies wird nun erweitert. Im Rahmen der so genannten Datenspendekönnen Nutzer nun auch an wissenschaftlichen Studien teilnehmen. 

Freiwillige Datenspende mit dem Smartphone

Über ihr Smartphone können die mehr als eine halbe Million freiwilligen Datenspenderinnen und Datenspender an Umfragen teilnehmen, mit denen auch psychologische Aspekte der Pandemie abgefragt werden. Der Berliner Komplexitätsforscher Brockmann arbeitet mit der Psychologie-Professorin Cornelia Betsch zusammen. 

Solche interdisziplinären Ansätze haben es in Deutschland anders als in den USA oft sehr schwer. Doch für Brockmann ist dieser Ansatz entscheidend: "Die Pandemie an sich ist ein psychologisches Phänomen, in erster Linie." Das betrifft die zwischenmenschlichen Beziehungen, also die Kontakte von Menschen untereinander und jetzt die im europäischen Vergleich hohe Impfzurückhaltung der Deutschen in dieser Phase der Pandemie.

Mit ihrer Arbeit wollen die Forscher helfen, dass sich die Fehler der deutschen Politik der vergangenen eineinhalb Jahren nicht wiederholen. Am Ende müsse aber die Politik handeln. Eines schreibt der Forscher der Berliner Humboldt-Universität den Verantwortlichen ins Stammbuch: "Kommunikation ist das Wichtigste in einer Pandemie."