1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Corona als Chance für Integration und Demokratie

9. Dezember 2020

Auch in der Corona-Krise haben einer Studie zufolge Menschen mit Migrationshintergrund großes Vertrauen in den deutschen Staat. Doch die Rassismus-Diskussion hat Spuren hinterlassen.

https://p.dw.com/p/3mU10
Deutschland Köln Symbolfoto Maskenpflicht
Bild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopress/picture-alliance

Das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte hat sich verbessert. Das zeigt das Integrationsbarometer des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Trotz staatlicher Einschränkungen durch die Corona-Pandemie habe sich das Klima insgesamt leicht zum Positiven verändert, heißt es. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft sei hoch. Während der Pandemie sei vor allem bei Menschen mit Migrationshintergrund das Vertrauen in die Politik und Demokratie gestiegen.

Das Bild einer gut gelungenen Integration wird allerdings durch die Erfahrung von Rassismus und Alltagsdiskriminierung - auch durch die Polizei - getrübt. Das SVR-Integrationsbarometer stellt zwar fest, dass insgesamt das Vertrauen in die Sicherheitskräfte mehrheitlich positiv ausfällt. Aber wer einmal negative Erfahrungen wegen seiner Herkunft gemacht hat, bleibt misstrauisch. Diese "Defizite muss man offen benennen und beheben", sagt Soziologin Claudia Diehl, die die Studie in Berlin vorstellte.

Deutschland Claudia Diehl SVR
Soziologin Claudia Diehl vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR)Bild: SVR/Setzpfandt

Das SVR-Integrationsbarometer befragt alle zwei Jahre repräsentativ Zuwanderinnen und Zuwanderer und auch Menschen ohne Migrationshintergrund zu wichtigen Faktoren der Integration wie zum Beispiel Arbeit, Bildung, soziale Beziehungen und Nachbarschaft. Neben mehreren Stiftungen war dieses Mal auch das Bundesinnenministerium an der Erhebung unter mehr als 15.000 Menschen beteiligt.

Einwanderungsland Deutschland

Rund 21 Millionen Menschen, also rund ein Viertel der Einwohner Deutschlands, hat eine Migrationsgeschichte. Das heißt, sie selbst oder mindestens ein Elternteil besitzt nicht durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Gut die Hälfte von ihnen, insgesamt gut 10 Millionen, besitzen einen deutschen Pass und dürfen somit an allen Wahlen teilnehmen.

Die aufgeheizten Debatten um Zuwanderung und Integration der Jahre 2015 und folgende scheinen vergessen. Das sogenannte "Flüchtlingsthema" ist in den Hintergrund geraten. Längst wird integriert statt polemisiert.

Angela Merkel in Berlin Besuch Flüchtlingsunterkunft Registrierungszentrum Selfie mit Flüchtlingen Deutschland
Selfies von Geflüchteten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel wurden 2015 zum Symbol der WillkommenskulturBild: picture-alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

So kann es nicht verwundern, dass auch Menschen ohne Migrationshintergrund das Zusammenleben leicht besser einschätzen als noch vor zwei Jahren. Vor allem liegt das daran, dass die befragten Männer das Klima positiver beurteilen.

Im "Honeymoon" mit der Demokratie

Die Interviews für das Integrationsbarometer wurden zwischen November 2019 und August 2020 geführt - also auch in der Zeit der Pandemie mit dem ersten Lockdown im März. Die Zufriedenheit mit der Demokratie und der Politik insgesamt stieg in dieser Phase sogar noch an. Im Zeitraum nach dem Inkrafttreten der bundesweiten Corona-Maßnahmen gaben nur noch rund 27 Prozent der Deutschen ohne Zuwanderungsgeschichte an, mit der Demokratie unzufrieden zu sein. Bei Menschen mit Migrationshintergrund fällt die Veränderung hin zu mehr Demokratiezufriedenheit zwar moderater aus, allerdings waren diese vorher schon zufriedener.

Infografik SVR-Integrationsbarometer 2020 Demokratie in Deutschland DE (Sperrfrist: 9.12.20, 10:30)

Am höchsten ist jedoch die Zufriedenheit mit der Demokratie, der Politik und der Regierung in Deutschland in der Herkunftsgruppe "übrige Welt". Als häufigste Herkunftsländer nennen die Forscher Länder wie Syrien, Russland, Irak, Iran und Afghanistan. In jüngerer Zeit Zugewanderte (Aufenthaltsdauer "bis zehn Jahre") geben zu fast 90 Prozent an, "zufrieden" oder "sehr zufrieden" damit zu sein, wie Demokratie in Deutschland funktioniert.

Dabei zeigt sich, dass erst kürzlich nach Deutschland Zugewanderte - sowohl vor als auch nach dem Lockdown - mit der Demokratie hierzulande zufriedener sind als Menschen, die schon länger in Deutschland leben. Soziologin Diehl spricht vom "Honeymoon-Effekt", der "bei denen besonders hoch ist, die erst kurz in Deutschland leben". Der Effekt gilt vor allem für Menschen, die erst kürzlich aus autoritär regierten Ländern eingereist sind, wo demokratische Grundrechte nicht viel gelten.

Der Fall George Floyd löst neue Rassismus-Debatte aus

Ende Mai 2020 wird der Afroamerikaner Georg Floyd bei einer gewaltsamen Festnahme durch Polizisten im US-amerikanischen Minneapolis getötet. Das Video des Vorfalls sorgte auch in Deutschland für große Empörung und eine breite Diskussion über Rassismus durch die Polizei. Racial Profiling ist ein zentraler Begriff der Debatte. Es bezeichnet das auf äußerlichen Merkmalen basierende Handeln von Polizei-, Einwanderungs- oder anderen Sicherheitskräften. Auch in Deutschland passiert das. Von "einer substantiellen Minderheit" spricht Claudia Diehl: "Unter den türkischstämmigen Menschen machen diese Erfahrung circa ein Drittel der Befragten."

Deutschland Berlin | Thema Umbenennung Haltestelle Mohrenstraße
Solidarität mit dem getöteten US-Amerikaner George Floyd in BerlinBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Menschen mit Migrationshintergrund, die angeben, aufgrund ihrer Herkunft in den vergangenen fünf Jahren diskriminiert worden zu sein, vertrauen der Polizei zwar immer noch mehrheitlich - aber deutlich seltener als der Durchschnitt. Nur 35 Prozent haben volles Vertrauen in die Polizei.

Infografik SVR-Integrationsbarometer 2020 Vertrauen in die Polizei DE (Sperrfrist: 9.12.20, 10:30)

Die SVR-Studie stellt dem deutschen Staat, seinen Institutionen und der Demokratie insgesamt ein positives Zeugnis aus. Aber immer noch müssen Zugewanderte in Deutschland mit Diskriminierung rechnen. Fazit der Soziologin Claudia Diehl: "Es gibt noch Spielraum nach oben für ein noch positiveres Integrationsklima."

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online