1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Welt des Jim Jarmusch

Jochen Kürten
1. April 2015

Er gilt als einer der Ahnen des amerikanischen Independent-Films, der US-Regisseur Jim Jarmusch. Seine Filme haben eine ganze Generation beeinflusst. Jetzt ist sein komplettes Werk auf DVD erschienen.

https://p.dw.com/p/1Ezrs
Jim Jarmusch Film "Stranger than Paradise"
Bild: Studiocanal/Arthaus

Wer Ende der 1970er Jahre begann ins Kino zu gehen, der kam um Jim Jarmusch nicht herum. Als Hollywood mit George Lucas ("Star Wars") und Steven Spielberg ("Der weiße Hai") die Ära des Blockbuster-Kinos einläutete, entwickelte sich am anderen Spektrum des US-Films Erstaunliches. Kleine, unabhängig von den großen Studios produzierte Filme mit schmalem Budget, oft mit unbekannten Schauspielern besetzt, eroberten ein junges und studentisches Publikum.

Später fassten Filmhistoriker die damals entstandenen Arbeiten von Regisseuren wie Jim Jarmusch und Hal Hartley, Steven Soderbergh und Spike Lee unter dem Begriff "Independent Kino" zusammen. Insbesondere Jarmusch wurde im Laufe der Jahre zu einer Ikone dieser Art von Kino, das fernab von Hollywood-Glamour und Starpower seine Geschichten erzählte.

Einflussreiches Debüt

Das 1980 uraufgeführte Debüt von Jarmusch, "Permanent Vacation", wurde zu einem der frühen Wegbereiter dieses Independent-Kinos. "Stranger than Paradise" und "Down by Law" festigten in den Folgejahren den Ruf des 1953 in Ohio geborenen Regisseurs. Und weil Jarmusch auch später den Verlockungen von Hollywood widerstand und Filme abseits des Mainstreams drehte, gilt der Regisseur mit dem auffallend weißen Haarschopf bis heute als kompromisslose Ausnahmeerscheinung im Filmland USA.

Jim Jarmusch mit den Schauspielern Tilda Swinton und Bill Murray
Jarmusch (l.), 2005 in Cannes an der Seite von Tilda Swinton und Bill MurrayBild: AP

Auch Jarmusch hat später mit Stars wie Johnny Depp oder Sharon Stone gearbeitet, seine Filme aber haben stets ihre künstlerische Eigenständigkeit bewahrt und sich klassischen Hollywood-Strategien verweigert. So wurden spätere Werke wie "Mystery Train" oder "Broken Flowers" auch auf großen Festivals gezeigt und ausgezeichnet. Doch seinen Ruf als Vater des Independent-Kinos konnte sich Jim Jarmusch erhalten.

Das hat vor allem mit seinen ersten drei Filmen zu tun, die nun in einer umfassenden DVD-Edition erschienen sind. In seinem Debüt "Permanent Vacation" heftete sich der Regisseur auf die Fersen seines jungen Hauptdarstellers Charlie Parker, der durch ein heruntergekommenes New York streift. Parker begegnet dabei allerlei Außenseitern der Gesellschaft, tritt mit ihnen in einen kurzen Dialog oder beobachtet diese nur. Am Ende verlässt der junge Mann New York und bricht zu einer Schiffsreise nach Paris auf.

Entdeckung in Deutschland

Jarmuschs Debüt wurde mit lediglich 12.000 Dollar produziert. Nach seiner Uraufführung in New York wurde er schon eine Woche später in Deutschland aufgeführt - beim Filmfestival in Mannheim, das sich rühmen darf, Jarmusch hierzulande bekannt gemacht zu haben. Seitdem hat der Amerikaner insbesondere beim jungen deutschen Publikum eine große Fangemeinde.

Jim Jarmusch Film "Permanent Vacation" Filmstill (Foto: Studiocanal/Arthaus)
Chris Parker als Allie in "Permanent Vacation"Bild: Studiocanal/Arthaus

Dazu trug auch bei, dass Jarmusch erste praktische Filmerfahrungen bei Wim Wenders machte. Als der 1980 "Nick's Film - Lightning over Water" über den im Sterben liegenden legendären US-Regisseur Nicholas Ray ("Johnny Guitar", "...denn sie wissen nicht, was sie tun") drehte, war Jarmusch dessen Produktionsassistent. Ray unterrichtete damals Film in New York und brachte beide zusammen. Der Deutsche wurde für einige Jahre zum filmischen Ziehvater des Amerikaners, unterstützte ihn beispielsweise mit übrig gebliebenem Filmmaterial.

Später schrieb Wenders: "Mein Eindruck von Jim war: Er wusste genau, was er wollte. So still er vielleicht erschien, so unbeirrbar würde er seinen Weg gehen. Eine wichtige Voraussetzung, ein guter Regisseur zu werden, hatte er jedenfalls: eine große Liebe und Kenntnis der Rockmusik. Die halbe Miete, wenn Sie mich fragen."

Musik als Wegbegleiter

So war es auch kein Zufall, dass der Musiker und Schauspieler John Lurie im zweiten Film Jarmuschs ("Stranger than Paradise") eine Hauptrolle übernahm. Lurie sollte dann auch im dritten Film "Down by Law" neben Tom Waits wieder auftreten. "Stranger than Paradise" entwickelte sich Anfang der 1980er zum absoluten Kultfilm, weil er, wie die anderen Frühwerke des Amerikaners auch, den Nerv eines jungen Publikums traf.

Jim Jarmusch Film "Dawn by Law" Filmstill (Foto: Studiocanal/Arthaus)
Berauschende Bildkompositionen: Für "Down by Law" stand Robby Müller hinter der KameraBild: Studiocanal/Arthaus

Mit dem linkisch-coolen Auftritt seiner männlichen Darsteller konnten sich viele junge Zuschauer identifizieren. Gerade, weil in den Filmen kaum etwas Dramatisches geschieht, weil die Protagonisten meist nur rumhängen, wurden Jarmusch-Filme zu einer ganz spezifischen Kinoerfahrung für viele.

Jarmusch schaute einfach auf seine Protagonisten, und wenn diese zumeist fast nichts taten, dann zeigte der Regisseur dieses Nichts auch: "Ich glaube, die Leute neigen dazu, Dinge zu sehr zu dramatisieren - besonders im Film", sagte Jarmusch später. "Sie wollen, dass es die ganze Zeit spektakulär zugeht, und sie wollen einen Plot haben, Verwicklungen. Aber das Leben hat keinen Plot, und nicht jeder Augenblick ist dramatisch." Vielen Zuschauern gefiel das.

Jim Jarmusch Film "Stranger than Paradise"
Bild: Studiocanal/Arthaus

Kunstwillen und Coolness

Das Nichtstun, die scheinbare Langeweile, die wenig dramatischen Handlung, die spärlichen Dialoge und die ausgesuchten Bildkompositionen, all das wurde Kult. Der Publizist Georg Seeßlen drückte es so aus: "Jede Einstellung könnte man auch als Kunstdruck ins Wohnzimmer hängen. Jede Dialogzeile könnte Eingang in einen Lyrik-Band finden." Auf manche Zuschauer wirkte gerade dieses gekonnt inszenierte Understatement wie eine modische Attitüde. In seinem Buch über die American-Independent-Szene schrieb der amerikanische Filmkritiker Geoff Andrew über Jarmuschs Debüt: "'Permanent Vacation'" wirke "seltsam gestelzt und erscheint sehr stark als Produkt seiner Zeit… So hängt dem Film doch ein Hauch des Modischen an."

Zwischen Mode und Kult

Beide Sichtweisen sind richtig - und sie treffen auch auf Jarmuschs spätere Arbeiten zu. Unbestreitbar hat Jim Jarmusch dem unabhängig produzierten US-Film eine ganz eigenständige Note beigefügt, ästhetisch und inhaltlich. Dass er dabei selbst zur Mode der Zeit beitrug, kann man ihm nicht vorwerfen.

Das komplette Werk des Regisseurs inklusive seiner Kurzfilme liegt jetzt in einer Jim Jarmusch-Edition vor. Enthalten sind darin auch viele Dokumentationen über den Filmemacher und sein Werk. Anbieter ist "Studiocanal/Arthaus".