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Politik

"EU-Perspektive Balkans ist keine Einbahnstraße"

13. Juni 2017

Die Tür in die EU ist für die Länder des Westbalkans nach wie vor offen. Aber die Verantwortung dafür, ob sie die Möglichkeit nutzen, liegt bei den Politikern der Region, betont Christian Hellbach vom Auswärtigen Amt.

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Belgien, Gebäude der EU-Kommision in Brüssel
Gebäude der EU-Kommission in BrüsselBild: picture-alliance/dpa/I. Kjer

Deutsche Welle: Einige Medien des westlichen Balkans berichten von einem neuen "Marshallplan" für die Region, den Deutschland im Rahmen des sogenannten "Berlin-Prozesses" initiiert hat. Was verbirgt sich dahinter?

Christian Hellbach: Außenminister Gabriel hat auf der Aspen-Konferenz Ende Mai in Berlin klar gemacht: Deutschland steht zur EU-Perspektive für die Länder des westlichen Balkans, schon aus eigenem Interesse. Wir wollen diese Länder in die EU führen. Es ist aber kein Geheimnis, dass die Annäherung des Westlichen Balkans an die EU sehr langsam vorankommt, weil nicht alle Akteure wirklich Interesse an nachhaltigen Reformen haben. Wir wissen, dass diese Reformen nicht ganz einfach sind und dass die Region mehr Unterstützung bei der Annäherung an die EU braucht. Wir wollen helfen, mit ganz konkreten Projekten.

Das kann aber keine Einbahnstraße sein. Bei zentralen Bedingungen, namentlich bei Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und beim Kampf gegen Verbrechen und Korruption kann es keinen Rabatt geben. Die Hauptverantwortung lag und liegt bei den politisch Verantwortlichen in den sechs Westbalkanstaaten, nicht bei der EU!

Was können diese Länder tatsächlich von Brüssel und Berlin erwarten?

Christian Hellbach Botschafter in Bosnien-Herzegowina
Diplomat Christian HellbachBild: Deutsche Botschaft, Sarajewo

Es gibt keinen Partner in der Region, der mehr leistet als die EU insgesamt und Deutschland bilateral. Wir unterstützen den Westbalkan seit vielen Jahren - politisch, finanziell, durch den Transfer von Know-how. Ganz zu schweigen von Investitionen und Handel. Wirtschaftlich ist der westliche Balkan längst ein Teil Europas. Und unterschätzen Sie nicht die Bedeutung dieses Versprechens: Die Staaten der Region können Mitglieder eines der politisch einflussreichsten und wirtschaftlich stärksten Clubs der Welt werden, wenn sie die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft erfüllen. Für potenzielle Investoren ist das ein echter Standortvorteil, ganz abgesehen von den Handelspräferenzen, die die Staaten des westlichen Balkan gegenüber der EU genießen. Und für die Menschen bedeutet die EU-Perspektive nicht nur Wohlstand, sondern auch Sicherheit und Gerechtigkeit, das, was man sich idealerweise unter Normalität vorstellt.

Woher soll das Geld kommen?

Das, was wir uns vorgenommen haben ist keine Aufgabe, die ein Staat alleine lösen kann. Sie ist auch nicht einfach mit Geld zu lösen. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der alle an einem Strang ziehen müssen: Wir Europäer gemeinsam mit dem Menschen auf dem Westlichen Balkan. Wir können und wollen helfen. Die notwendigen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen müssen die Länder des Westlichen Balkans aber schon selber anpacken. Und sie müssen verstehen, dass sie Reformen brauchen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen und ihren Bürgern eine Perspektive zu bieten und sie davon abzuhalten, auszuwandern. Anders gesagt: Auch wenn es keine EU oder keine Erweiterungspolitik gäbe, müssten sich die Länder des westlichen Balkan verändern. Im Gegensatz zu anderen Ländern und Regionen haben sie aber das Glück, dass die EU ihnen die Hand reicht und einen Teil der Kosten der Transformation auffängt.

Welche Bereiche sollen unterstützt werden?

Es geht darum, den Menschen in der Region ganz konkrete Vorteile zu bringen. Zum Beispiel mit Projekten, die die Beziehungen und die Zusammenarbeit der Staaten untereinander verbessern, so die Wirtschaftssituation verbessern sowie Arbeitsplätze schaffen. Dazu gehören auch länderübergreifende Infrastrukturprojekte, wie die Autobahnstrecke zwischen Serbien – Kosovo – Albanien. Es ist doch Wahnsinn, dass es so aufwändig ist, von Belgrad nach Pristina und Tirana zu reisen, obwohl diese Städte eigentlich nur einen Katzensprung voneinander entfernt sind. Wenn wir bei solchen Themen unterstützen können, merken die Leute: Es tut sich was.

Aber auch die Region selber muss mehr tun, um die großen Chancen der Digitalisierung der Wirtschaft zu nutzen. Dank der Möglichkeiten der Industrie 4.0. verlegen viele Industrien ihre Produktion zurück nach Europa. Dieser Effekt wird verstärkt durch politische Unsicherheiten an vielen Standorten in der Welt. Hier muss sich der westliche Balkan dringend als attraktive Region in Stellung bringen, um Gewinner dieser Entwicklung zu werden. Voraussetzung dafür sind eine leistungsstarke IT-Infrastruktur und gemeinsame Standards in der Region. Es geht um IT-Konnektivität. Damit nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht und am Ende niemand satt wird, schlagen wir einen IT-Gipfel in der Region vor, um alle diese Fragen gemeinsam anzugehen.  

Berlin Südosteuropa-Konferenz des Aspen Instituts
Außenminister Sigmar Gabriel: Deutschland steht zur EU-Perspektive für die Länder des westlichen BalkansBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Außerdem müssen wir unbedingt etwas tun, um der Jugend eine Perspektive zu bieten, denn die massive Auswanderung junger Menschen, die wir zurzeit beobachten, ist eine Zeitbombe, die wir entschärfen müssen. Daher sind Investitionen in Bildung und Ausbildung wichtig, auch weil dies für Investoren interessant ist.

In welchem Zusammenhang steht das Konzept mit dem so genannten Common Market in der Region, den EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn für den Berlin-Prozess protegiert?

Die Initiative verfolgt dasselbe Ziel, das heißt ungenutztes wirtschaftliches Potential nutzbar zu machen, damit es den Menschen vor Ort besser geht. Um die schwierige soziale Lage vieler Menschen auf dem Balkan schnellstmöglich zu verbessern sollten wir jede Chance nutzen, die sich bietet. Dazu gehört die verbesserte regionale Kooperation im Wirtschaftsbereich. Die einzelnen Länder im Westbalkan sind alleine für viele potentielle Investoren zu klein. Wenn sich die Region jedoch gemeinsam "anbietet", lohnt es sich, in die Region zu kommen. Das schafft Jobs und Einkommen. Hierbei können die Staaten jetzt Fortschritte machen, unabhängig davon, wie schnell oder langsam die nächsten Schritte im Erweiterungsprozess vorangehen. Daher unterstützt Deutschland die Pläne von Kommissar Hahn zur Schaffung eines Regionalen Wirtschaftsraums nachdrücklich.

Die Unterstützung der Westbalkan-Staaten ist sicher geboten. Doch drängt sich gelegentlich der Eindruck auf, dass Berlin und Brüssel zugunsten von Stabilität und Westorientierung Grundwerte wie Medienfreiheit ignorieren und manipulative bis korruptionsanfällige Verhaltensweisen dulden? Erweist man damit nicht der demokratischen Entwicklung einen Bärendienst, indem man auf immer autoritärer agierende Balkanpolitiker setzt? Wie lösen Sie den Widerspruch auf?

Es gibt zweifelsohne in Staaten des Westbalkans Defizite im Bereich Medien- und Pressefreiheit und vor allem bei Rechtsstaatlichkeit und Justiz. Auch die weit verbreitete Korruption ist ein schwerwiegendes Problem. Korruption hat immer etwas Ungerechtes, sie erleichtert Ausbeutung, sie verhindert Fortschritt, weil ihre Nutznießer vom Status quo profitieren und Reformen verhindern wollen. Hiervor verschließen wir die Augen nicht, ganz im Gegenteil. Die Themen Rechtstaatlichkeit, Justizreform, Korruptionsbekämpfung und freie Meinungsäußerung zählen zu den "fundamentals" der EU-Annäherung. Je weiter die EU-Annäherung fortschreitet, desto mehr rücken diese Themen in den Mittelpunkt. Klar ist, dass letztlich kein Land Mitglied der EU werden kann, das die Standards der EU in diesem Bereich nicht erfüllt. Hier wird es keine Rabatte und kein Augen-Zudrücken geben. Dies wissen die Entscheidungsträger in der Region sehr genau.

Das Gespräch führte Adelheid Feilcke

Christian Hellbach ist Sonderkoordinator für den Westbalkan, die Türkei und die EFTA-Staaten im Auswärtigen Amt.