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Chinas KP streitet über Wirtschaftsreformen

Shi Ming16. Juni 2006

Um Chinas Wirtschaftsreformen schwelt in der Kommunistischen Partei ein heftiger Streit. Der linke und der rechte Flügel scheinen sogar bereit, eine Spaltung zu riskieren.

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Präsident Hu Jintao und Ministerpräsident Wen Jiabao (v.l.)Bild: AP
China Wirtschaft Bauer in Schanghai
Arbeitsmigranten vom Land am Stadtrand von SchanghaiBild: AP

"Ohne Wenn und Aber am Reformkurs festhalten", lautet der Titel des Leitartikels in der Volkszeitung "Renmin Ribao". Doch der Autor verrät darin nicht wirklich, in welche Richtung der viel beschworene Reformkurs gehen soll. Auch wird in dem Artikel nicht erwähnt, ob es neben der angestrebten Wirtschaftsreform auch politische Reformen geben soll. Für den Chinakenner und Leiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Eberhard Sandschneider, belegt dieser Leitartikel vor allem, dass dies der Minimalkompromiss zwischen unterschiedlichen Fraktionen in der Kommunistischen Partei ist. "Erst wenn dieser Machtkampf gelöst sein wird, erst wenn die Positionen klar sind, kann man auch auf die gemeinsame Position des nächsten Parteitages im kommenden Jahr warten." Es sei unverkennbar, dass die politischen Strukturen immer weniger mit den sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen, die das Land neben seinen Erfolgen auch hervorbringe, fertig würden.

Schwaches Machtwort

Auf der einen Seite fordert der marxistisch orientierte linke Parteiflügel ein Ende der nach ihrer Auffassung kapitalistischen Orientierung bei der Reformierung der Wirtschaft. Auf der anderen Seite fordern die so genannten radikalen Liberalen genau das Gegenteil. Beide Flügel - so scheint es - sind möglicherweise sogar bereit, eine Spaltung der KP riskieren, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Damit könnten sie indirekt und längerfristig einem Mehrparteiensystem Tür und Tor öffnen.

Bentley Automesse in China
Bentley präsentiert sich auf einer Automesse in Kunming (2004)Bild: AP

Es hat den Anschein, dass der Versuch der KP-Führung, den offensichtlich hinter den Kulissen schwelenden Disput mit einem schwachen Machtwort zu beenden, die Beteiligten erst recht ermutigt, ihren Streit öffentlich auszutragen. Im Namen der Parteilinken greift Fang Ning, Leiter des Politikinstitutes der Akademie für Sozialwissenschaften in Beijing, die Privatisierung scharf an. In dem Streit spiele es gar keine Rolle mehr, ob man die marktwirtschaftliche Reform vorantreiben solle oder nicht, sagt Fang. "Viel wichtiger ist: Wie viel Marktwirtschaft es auch immer geben mag, es ist unmöglich ohne staatswirtschaftliche Anteile." So sei die jüngste Reform in Nordostchina in einem enormen Tempo vollzogen worden - während gravierende Probleme ignoriert worden seien. "Ein eigentlich kerngesundes Pharmaunternehmen in Staatsbesitz wird per Dekret verkauft. Es wird sozusagen marktwirtschaftlich gemanagt", sagt Fang. "Bald darauf vergiften sich an den Produkten des reformierten Unternehmens viele Konsumenten."

Allumfassende Führung

Für die Reformbefürworter hingegen hat sich die KP schon längst von einer echten Privatisierung verabschiedet. So wurde zum Beispiel im März 2006 auf der Parlamentssitzung die Abstimmung über das für die Privatisierung unabdingbare Eigentumsrecht fristlos vertagt. Dabei sorgen sich die Reformer vor allem darum, dass sich Partei und Staat mehr und mehr in das Wirtschaftsleben einmischen, indem beispielsweise in naher Zukunft Staatsämter wie auch Managerposten durch Parteikader besetzt werden müssen.

"Nach meinem Dafürhalten hat die KP Chinas seit ihrem 16. Parteitag einen Konsens erreicht, nämlich die Einsicht, sie müsse ihre allumfassende Führung wieder stärken. Sie müsse die politische Kontrolle wieder wasser- und luftdicht machen", sagt Cheng Xiaonong, wirtschaftspolitischer Experte der Auslandsopposition in Princeton. "So gesehen bedeutet das jetzt einen gewaltigen Rückschritt, Rückschritt von dem Prinzip einer Trennung zwischen der KP einerseits und der Regierungsarbeit andererseits."

Anpassung unvermeidbar

Von der marxistischen Linken wird dies keineswegs geleugnet. Der Politikwissenschaftler Fang Ning fordert dennoch "mehr Sozialismus" ein. Der Staat müsse bis zu einem gewissen Grad Eigentumsrechte besitzen und über sie verfügen. Nur so lasse sich entsprechend der Forderung von Präsident Hu Jintao gewährleisten, dass das gesamte Volk an den Früchten der Reform und Öffnung teilhaben kann. "Wenn alles nur privaten Bossen gehört, wie soll man das Volk daran beteiligen können?", fragt Fang. "Ich halte es für unabdingbar, dass der Staat direkt im Besitz und unter seiner Verfügungshoheit Vermögenswerte haben muss - gewinnorientiert oder nicht." Darüber hinaus müsse die Regierung nicht nur die makro-ökonomische Kontrolle innehaben. "Sie muss sogar der Marktwirtschaft richtig Herr werden. Denn letztlich wird in einer sozialistischen Marktwirtschaft der größte Stellenwert auf die Gerechtigkeit gelegt - gerecht nicht nur in Bezug auf die Chancen für alle, sondern auch im Ergebnis für alle."

Die Entscheidung, wo es lang geht, wird allerdings frühestens für das kommende Jahr erwartet, wenn der 17. Parteitag eröffnet wird. Bis dahin ist noch viel Zeit, zum Beispiel für Flügelkämpfe, die bereits heute ihre ersten Opfer fordern: So kontrolliert Chinas Staatsmacht immer mehr den Zugang zu den Ressourcen, von Bankkrediten über Wasser- bis hin zur Energieversorgung. Chinas Politik verlangt darüber hinaus mehr staatliche Eingriffe, angefangen bei den Steuereinnahmen bis hin zur Gesundheitskontrolle.

Im Internet hat die Diskussion über das ansonsten streng zensierte Thema bereits begonnen: Soll die KP in China weiterhin alleine regieren oder soll sie ein Mehrparteiensystem zulassen? Für Eberhard Sandschneider hingegen ist klar, wohin die KP Chinas steuert. "Sie will weiter an der Macht festhalten. Sie will weiter die Geschicke Chinas gestalten, muss aber gleichzeitig erkennen, dass nur im Sinne der Anpassung von politischen Strukturen an die veränderten Gegebenheiten in dem Land dauerhafte Stabilität zu erreichen ist", sagt Sandschneider. "Das ist die Falle, in die sich die Kommunistische Partei Chinas selbst hinein manövriert hat."