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Politik

Eine letzte Frist für CETA

27. Oktober 2016

Kaum war der Gipfel mit Kanada abgesagt, ging alles ganz schnell. Belgien ist jetzt doch bereit, das Handelsabkommen zu unterschreiben. Nächster Aufzug im CETA-Drama. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Symbolfoto europäisch-kanadisches Freihandelsabkommen, CETA
Bild: picture-alliance/K. Ohlenschläger

Der Vorsitzende des Europäischen Rates, Donald Tusk, der sich seit Tagen mit nichts anderem als den CETA-Verhandlungen herumschlägt, bleibt vorsichtig. "Ich kontaktiere den kanadischen Premier erst, wenn wirklich alle in Europa zugestimmt haben", teilte Tusk in Brüssel mit. Zwar haben sich jetzt die Regierungschefs der belgischen Regionen und der föderale Premierminister auf eine gemeinsame Position zum europäischen Handelskommen mit Kanada geeinigt, aber jetzt müssen noch die Parlamente der Regionen und Sprachgemeinschaften den mühsam erarbeiteten Text absegnen. Die Frist dafür: Freitag um Mitternacht. Außerdem müssen auch noch die übrigen 27 EU-Staaten dem belgischem Papier zustimmen. Das passiert in einer Sondersitzung der ständigen EU-Botschafter in Brüssel. Da die belgische Erklärung nur eineinhalb Seiten umfasst, dürfte das nicht allzu lange dauern, hoffen EU-Diplomaten in Brüssel.

Kanada Justin Trudeau
Ungewiss: Wann geht der Flieger für TrudeauBild: Reuters/C. Wattie

Abwarten in Kanada

Auch jenseits des Atlantiks blieb der Optimismus verhalten. Ein Sprecher der kanadischen Handelsministerin Chrystia Freeland, die letzten Freitag selbst vergeblich in die wallonische Hauptstadt Namur gereist war, sagte in Ottawa: "Wir sind bereit zu unterschreiben, wenn Europa dazu in der Lage ist." Kanada wolle das "fortschrittliche" Abkommen, das Arbeitsplätze und Wachstum schaffen werde, nach wie vor. Vor der EU-Kommission in Brüssel hatte es am Donnerstag sogar eine kleine Demonstration für das CETA-Abkommen gegeben. Die Demonstranten verteilten "CETA now"-Aufkleber. Aus dem englischen Wort für Nein hatten sie durch das Anfügen eines W das Wort "jetzt" gemacht.

Erleichterung in Belgien

Am frühen Donnerstagmorgen hatten die EU und Kanada den eigentlich für heute geplanten Gipfel in Brüssel abgesagt. Feierlich hätte das umfassende Handelsabkommen unterzeichnet werden sollen, wie das seit Monaten geplant war. Daraus wurde nichts, weil vor allem die französisch-sprachige Region Wallonie im Süden Belgiens die notwendige Zustimmung zur Unterschrift Belgiens nicht geben wollte. Nur Stunden nach der Absage des Gipfels gelang dann der Kompromiss. "Das hätte man vielleicht auch ein wenig früher hinbekommen können", mäkelten EU-Diplomaten in Brüssel. "Ich bin glücklich, dass wir es geschafft haben", sagte der belgische Premierminister Charles Michel, der vor seinen Kollegen und Kolleginnen in der EU wegen des abgesagten Gipfeltreffens ziemlich blamiert da steht. Noch glücklicher schien der wallonische Regierungschefs Paul Magnette zu sein. Er triumphierte, er habe der Wallonie und der Welt einen großen Dienst erwiesen.

Belgien Gespräche zu CETA In Brüssel Paul Magnette
Triumph? Magnette streute Sand ins GetriebeBild: Reuters/Y. Herman

In belgischen Medien hieß es, der Sozialist Magnette wollte dem liberalen Michel außerdem zeigen, dass die sozialistische Partei, die nicht mehr in der Föderalregierung vertreten ist, immer noch viel Einfluss habe. An der Substanz des Handelsabkommens mit dem befreundeten Kanada ändert die belgische Erklärung nichts. Es handelt sich lediglich um die nochmalige Zusicherung, dass Verbraucher- und Arbeitnehmerrechte geschützt werden und öffentliche Gerichte über CETA-Streitigkeiten entscheiden werden. Außerdem wird den belgischen Regionen zugesichert, dass sie CETA im schlimmsten Falle auch wieder kippen können. Diese Passage des Textes war bis zum Schluss unter EU-Juristen noch umstritten.

Auch Deutschland hatte Wünsche

Die Kanadier waren geduldiger als jeder andere Partner, bescheinigte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. "Jetzt ist eine große Hürde genommen und das ist auch gut so", sagte er in Barby in Sachsen-Anhalt. Gabriel hatte letzte Woche bei einer Sondersitzung der Handelsminister noch deutsche Wünsche nach einer Zusatzerklärung durchgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte Klarstellungen verlangt und nach kurzem Streit in der EU auch bekommen. So kann das Gericht CETA ebenfalls noch stoppen.

Luxemburg Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD)
Gabriel: Keiner hat so viel Geduld wie KanadaBild: DW/B. Riegert

Der Vertrag tritt, wenn er vom Europäischen Parlament Anfang 2017 ratifiziert wird, erst einmal vorläufig in Kraft. Danach muss er von allen 28 Mitgliedsstaaten (noch inklusive Großbritannien) ratifiziert werden. Auch dann haben nicht nur nationale Parlamente, sondern je nach Staatsaufbau auch einige regionale Parlamente wie in der Wallonie erneut die Möglichkeit das ganze Verfahren anzuhalten. Die deutschen CETA-Gegner von "campact" frohlockten in einer Pressemitteilung, dass die Ratifizierung auch noch in der deutschen Länderkammer, dem Bundesrat, scheitern könne. Grüne und Linke, die an verschiedenen Landesregierungen beteiligt sind, seien gegen die Billigung von CETA, sagte der Geschäftsführer der Gruppe, Felix Kolb.

Gezerre um CETA, Lehren für die EU: Barbara Wesel berichtet aus Brüssel

Nicht noch einmal

Ursprünglich sollte der Wirtschaftsvertrag mit Kanada in alleiniger Zuständigkeit der Europäischen Union bleiben. Dann hätte eine Ratifizierung durch die Europäische Union ausgereicht. Doch gegen dieses "EU-only"-Verfahren wehrten sich vor allem Frankreich und Deutschland. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel verlangte Ende Juni, CETA als  ein "gemischtes Abkommen" anzusehen, das von allen EU-Mitgliedern einzeln ratifiziert werden muss. Alles andere sei "unglaublich töricht", kritisierte Gabriel damals die EU-Kommission. Die Auseinandersetzung um CETA hat gezeigt, dass die Europäische Union über Verfahren und Zuständigkeiten noch einmal verschärft nachdenken sollte, ansonsten könnte die Glaubwürdigkeit der EU international stark sinken. "Es ist klar, dass wir uns eine solche Blockade nicht noch einmal leisten können", meinte der Fraktionsvorsitzende der Konservativen im Europäischen Parlament, Manfred Weber. "Solche Verfahren hindern uns, geschlossen zu handeln," mahnte Weber.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union