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CERN: Die Suche nach der dunklen Materie

Cornelia Borrmann9. Juni 2014

In den kommenden Jahren wollen CERN-Forscher im Large Hadron Collider nie zuvor gesehene Bausteine der Materie erzeugen. Und das Rätsel einer großen Frage in der Astrophysik lösen: die Natur der Dunklen Materie.

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Dunkle Materie im All
Bild: picture-alliance/dpa

CERN - Next Generation: Die Suche nach der geheimnisvollen dunklen Materie

Es klingt schier unglaublich - aber alles, was Astronomen mit ihren Teleskopen heute sehen - Sterne, leuchtende Nebel, Staubwolken und Planeten - all das macht nicht einmal fünf Prozent des Universums aus! Der verbleibende Teil ist größtenteils unsichtbar, und nur an seiner Schwerkraftwirkung zu erkennen:

Zum Beispiel die sogenannte Dunkle Energie. Knapp siebzig Prozent des Kosmos bestehen daraus, wie neue Messungen des Europäischen Satelliten PLANCK zeigen. Sie scheint gleichmäßig verteilt zu sein und wirkt abstoßend - treibt das Weltall also immer schneller auseinander.

Das restliche Universum macht die Dunkle Materie aus. Ihr Anteil am Universum liegt bei rund 25 Prozent. Mit ihrer anziehenden Wirkung hält sie Galaxien und Galaxienhaufen zusammen. Vergleichbar mit Schaum auf der Wasseroberfläche, konzentriert sich die sichtbare Materie dort, wo auch die Dunkle Materie am dichtesten ist.

CERN - Next Generation: Die Suche nach der geheimnisvollen dunklen Materie

Indizien für Dunkle Materie

Dass es diesen mysteriösen Stoff geben muss, haben Forscher schon in den 1930er Jahren entdeckt. So fand der Schweizer Physiker und Astronom Fritz Zwicky heraus, dass die sichtbare Materie des Coma-Haufens bei weitem nicht ausreicht, um das aus mehr als 1000 Einzelgalaxien bestehende Cluster zusammen zu halten.

Großräumige Himmelsdurchmusterungen wie der Sloan Digital Sky Survey haben die kosmischen Strukturen, die durch die Anordnung von Galaxien und Galaxien-Haufen entstehen, untersucht - und weitere Indizien für die Existenz der Dunklen Materie geliefert.

Mit speziellen Programmen wie der Millennium-Simulation können Astrophysiker kosmische Strukturen virtuell wachsen lassen und die Entwicklung des Weltalls im Computer nachbilden. Der Rechner wird zur Zeitmaschine, der Ewigkeiten zu Sekunden schrumpft - Prozesse, die sich in der Natur über Millionen oder gar Milliarden Jahre vollziehen. Zum Beispiel die Entstehung sogenannter Filamente - großräumiger kosmischer Strukturen, die aus vielen Galaxien oder Galaxie-Haufen bestehen - werden so in ihrer Dynamik beobachtbar. In den über Monate gerechneten Simulationen dauern sie nur wenige Augenblicke.

Bei ihren kosmologischen Schöpfungsexperimenten können die Forscher die Mischung der Bestandteile ihrer Universen immer wieder verändern. Und es zeigt sich: nur bei dem in der Theorie beschriebenen Anteil an Dunkler Materie bilden sich auch im virtuellen Kosmos so ähnliche Strukturen, wie Astronomen sie in der Natur heute sehen.

Was ist Dunkle Materie?

Das kosmische Rätsel im Fokus der Teilchenphysik

Teilchenphysiker haben schon unterschiedliche Vorstellungen entwickelt, woraus der unsichtbare mysteriöse Stoff bestehen könnte. Als eine viel versprechende Variante gelten die sogenannten WIMPs - Weakly Interacting Massive Particles, oder auch schwach wechselwirkende massive Teilchen. Das sind noch unbeobachtete Elementarteilchen, die nur der Schwerkraft und der schwachen Wechselwirkung unterliegen.

Mögliche Kandidaten ergeben sich aus Theorien mit der hypothetischen Super- Symmetrie. Diese sagen eine Erweiterung der Teilchenvielfalt vorher, die das Standardmodell beschreibt. Das Standardmodell ist eine Art Baukasten für das Universum. Es enthält zwölf Elementarteilchen, aus denen alle Atome der uns bekannten Materie bestehen. Und auch wir Menschen.

Theoretische Grundlagen

Mit der Entdeckung des Higgs-Bosons am Large Hadron Collider (LHC) am CERN wurde das letzte noch fehlende Teilchen im Standard-Modell nun nachgewiesen und die Theorie experimentell bestätigt. Das heißt: Die im Standardmodell beschriebenen Eigenschaften der einzelnen Materiebausteine stimmen mit der Natur hervorragend überein.

Die Suche nach der Weltformel der Physik

Das ist der sichere Grund, von dem aus nach neuen Phänomenen wie der Supersymmetrie gesucht wird, die eine Beschreibung der Dunklen Materie liefern kann.

Vorstoß in unbekannte Teilchenwelten

In den kommenden Jahren wollen die Physiker am LHC in Energiebereiche vordringen, die nie zuvor auf der Erde erzeugt wurden. Dazu werden sie größere Protonen-Pakete stärker beschleunigen und öfter zusammenstoßen lassen. So dass im Zentrum der riesigen Detektoren ein noch heißerer Feuerball entsteht, aus dem sich dann winzige Partikel bilden - die Bausteine der Materie. Je höher die erzeugte Energie, desto schwerer können die neu entstehenden Partikel sein.

Die Forscher hoffen, dann auch das leichteste der in der Supersymmetrie vorhergesagten neuen Teilchen sehen zu können. Dieses Teilchen könnte der so lange gesuchte Bestandteil der Dunklen Materie sein. Denn es entsteht - so die Theorie - bei deren Zerfall.

Schon jetzt modellieren Wissenschaftler des Münchner Max-Planck-Instituts für Physik im Computer, wie sich Dunkle Materiepartikel in ihren Detektoren am LHC aufspüren lassen. "Diese Simulationen helfen uns, herauszufinden, wonach wir später in den riesigen Datenströmen suchen müssen" erklärt Hubert Kroha.

Infografik CERN-Forscher wollen Dunkle Materie aufspüren

Portal ins Unbekannte

Dabei spielt außer der Supersymmetrie auch das erst jüngst am CERN entdeckte Higgs-Boson eine wichtige Rolle. Es könnte der Griff sein, mit dem die Physiker auch die Dunkle Materie zu fassen kriegen. Denn das Higgs-Boson gibt allen Elementarteilchen ihre Masse.

Und vor allem über die Schwerkraft wirkt ja auch die Dunkle Materie. "Das Higgs-Boson könnte mit der Dunklen Materie wechselwirken", sagt Hubert Kroha. Und den Forschern Informationen zu deren Eigenschaften liefern. Die Fachwelt spricht deshalb auch vom sogenannten Higgs-Portal zur Dunklen Materie.

Wenn Protonen im ATLAS-Detektor des CERN zusammenprallen

Das Unsichtbare aufspüren

Die Dunkle Materie selbst werden die Physiker in ihren Detektoren nicht sehen können. Sie erkennen sie nur an fehlender Energie. Denn die Dunkle Materie hinterlässt keine Spuren wie die anderen Materiebausteine, die beim Zusammenprall der Protonen entstehen.

Wie viel Energie erzeugt wird, wenn zwei Protonen zusammenprallen, das wissen die Physiker sehr genau. Auch die Energie der dabei entstehenden Materiebausteine können sie präzise vermessen. Und deren Weg durch die einzelnen Schichten des riesigen ATLAS-Detektors.

Bei den meisten Zusammenstößen spritzen die Materiebausteine fast gleich verteilt in alle Richtungen davon. Und die Materiebausteine ergeben zusammen so viel Energie wie bei der Kollision der Protonen gebildet wurde.

Wenn bei einer Kollision ein Ungleichgewicht in der gemessenen Energieverteilung entsteht und die sichtbaren Teilchen viel weniger Energie haben als beim Zusammenprall der Protonen gebildet wurde, dann könnte das ein Hinweis auf Dunkle Materie sein. Mit Hilfe von Modellen, die alle möglichen Reaktionen der Teilchen beschreiben, können die Physiker dann Licht ins Dunkel bringen und herausfinden, woraus die Dunkle Materie besteht.

Wenn Dunkle Materie aus Teilchen besteht

Sollte es den Forschern am LHC gelingen, nachzuweisen, dass die Dunkle Materie aus Teilchen besteht und deren Natur zu entschlüsseln, dann kämen sie einem lange gehegten Traum ein großes Stück näher - der sogenannten Weltformel. Einer Theorie, die alle vier Grundkräfte der Natur vereint - die Gravitation, die starke Wechselwirkung (die die Atomkerne zusammenhält), die schwache Kernkraft (eine Voraussetzung für die Radioaktivität) und den Elektromagnetismus.

Schon Einstein hatte danach gesucht, doch vergeblich. Diese Weltformel, die Mikrokosmos und Makrokosmos, Quantenwelt und Relativitätstheorie vereint, könnte neue Einblicke eröffnen in die ganz frühe Geburtsphase unseres Universums. In den Ursprung allen Seins.