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Cecilia Bartoli - Die Musikforscherin

27. September 2005

Cecilia Bartolis neue CD heißt „Opera proibita“ und vereint Arien von Händel, Scarlatti und Caldara.

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CECILIA BARTOLIBild: Presse

Wir schreiben das Jahr 1703. In Rom regiert Papst Clemens XI., als die Stadt von einem verheerenden Erdbeben erschüttert wird. Da trotz der Verwüstungen keinerlei Opfer zu beklagen sind, werden vom Vatikan aus Dankbarkeit für die Dauer von fünf Jahren sämtliche Theateraufführungen verboten. Dies ist das letzte einer ganzen Folge von Dekreten, die eine tief greifende Veränderung im Musikleben der ewigen Stadt nach sich zogen. Bereits 1698 hatte Innozenz XII. alle öffentlichen Aufführungen verboten, und in den Heiligen Jahren 1700 und 1702 waren musikalische Darbietungen, die nicht in religiösen Ins-titutionen stattfanden, ebenfalls untersagt. Vor allem betroffen von diesem Verbot war das „dramma in musica“. Doch die Kunst fand eigene Wege, und so überlebte die Oper die schwierige Zeit getarnt als Oratorium.

Etwa 300 Jahre später. Es ist Anfang August, und der Sommer macht das, was er in diesem Jahr scheinbar am besten kann: Er lässt es regnen. Im Foyer des Hotel Brenner in Baden-Baden wartet eine schick gekleidete und gut gelaunte Cecilia Bartoli, um von ihrer neue Platte zu erzählen. Nach den äußerst erfolgreichen Alben mit unbekannten Arien von Gluck und Salieri hat die Sängerin erneut in der musikalischen Mottenkiste gekramt. Das Ergebnis trägt den programmatischen Titel „Opera proibita“ und enthält eben jene Kompositionen, die sich unter dem vatikanischen Verbot zu einer hybriden Kunstform entwickelten: dem Namen nach Oratorium, aber mit einer Musik, die deutlich in der theatralischen Tradition der Oper steht.

Der größte Unterschied zwischen diesen beiden Gattungen bestand in der meist deutlich kürzeren Aufführungsdauer des Oratoriums sowie in der Wahl der Libretti. In der musikalischen Grundstruktur als Abfolge von Rezitativen und Arien gab es hingegen keine größeren Divergenzen. Was taten nun Händel und seine Zeitgenossen, um das päpstliche Verbot zu umgehen? Zuerst einmal wählten sie als Grundlage für ihre Werke biblische oder allegorische Stoffe: etwa Barmherzigkeit, Hoffnung und Reue, wie Scarlatti in „Il Giardino di Rose“, oder die Keuschheit und Zurückweisung irdischer Freuden als zent-rales Thema in Caldaras „Oratorio per Santa Francesca Romana“. „Das war in den meisten Fällen allerdings schon die einzige Konzession, die man dem Vatikan zuliebe machte“, erzählt Cecilia Bartoli. „In der kompositorischen Ausführung der Texte waren die Künstler sehr viel weniger biblisch und schufen nicht selten sinnliche Werke in üppigen Orchesterfarben und mit hohen Anforderungen an die Virtuosität der Interpreten, die in ihrer Ausdrucksvielfalt, Gefühlstiefe und Intensität durchaus mit der Oper vergleichbar waren.“

Handelt es sich dabei überhaupt noch um religiöse Musik? „Einige der Werke tragen sicher einen religiösen Charakter. Aber vor allem sind sie sinnlich. Das eine schließt das andere ja auch nicht aus. In Rom steht zum Beispiel eine große Bernini-Skulptur von der Jungfrau Maria. Es handelt sich also um eine religiöse Darstellung, aber die Art und Weise, wie sie sich an die Brust fasst und den Blick nach oben richtet, ist so erotisch.“

Gerade diese Ambiguität ist es, die kennzeichnend für die Werke der Zeit ist. So wurden etwa viele Kompositionen erst durch die Unterstützung von Kardinälen ermöglicht, indem diese für die Vorstellungen ihre privaten Räume zur Verfügung stellten und so das öffentliche Aufführungsverbot ihres eigenen Papstes umgingen. Außerdem mussten alle weiblichen Rollen von Kastraten gesungen werden, da es Frauen ausnahmslos untersagt war, eine Bühne zu betreten. Wie streng dieses Verbot gehandhabt wurde, illustriert Cecilia Bartoli mit einer kleinen Geschichte: „Bei der Uraufführung von Händels „La Resurrezione“ wurde die Rolle der Maddalena von der bekannten Sängerin Margherita Durastanti interpretiert. Als man im Vatikan davon erfuhr, mussten alle folgenden Aufführungen mit einem Kastraten besetzt werden. Und das, obwohl es eine Vorstellung in privatem Rahmen war.“

Dass es nun ausgerechnet eine Frau ist, die diese Musik wieder zurück ins öffentliche Bewusstsein bringt, ist daher ebenso kurios wie angemessen. Dabei stand am Anfang dieser Einspielung eigentlich eine Absage, erinnert sich die Sängerin: „In Zürich sollte ich mit Nikolaus Harnoncourt in Haydns ‚Armida‘ auftreten. Doch im letzten Moment hat er das Projekt gestoppt. Wir mussten also auf die Schnelle ein neues Stück für großes Ensemble ohne Chor finden. Da schlug ich vor, ein Oratorium von Händel auf die Bühne zu bringen, aus dem ich bereits einige Stücke gesungen hatte. Wir wissen zwar viel über Händel als Opernkomponisten, aber wenig über seine Zeit in Italien. Dadurch wurde ich neugierig und wollte mehr über diese Musik und die Zeit, in der sie geschrieben wurde, erfahren.“

So wurde aus der Sängerin einmal mehr die Musikforscherin, die ihre Neugierde und ihren Hunger nach musikalischer Kost jenseits der ausgetretenen Rossini- und Mozart-Partien in den Bibliotheken und Notenarchiven dieser Welt stillt. Dass trotz des geringen Bekanntheitsgrades der ausgegrabenen Werke fast jede ihrer Einspielungen Verkaufszahlen erreicht, die denen aus dem Bereich der Popular-Musik ähneln, hat sie nicht nur ihrer blendenden Technik, sondern auch ihrem vehementen Einsatz für vergessene Musik zu verdanken.

Unterstützt wurde sie auch dieses Mal von dem Musikologen Claudio Osele, mit dem sie seit der Zusammenarbeit an ihrem Vivaldi-Album ein äußerst produktives und zudem erfolgreiches Gespann bildet. Und Unterstützung konnte sie gebrauchen: „Vor allem bei den Kompositionen von Caldara“, erinnert sich die Sängerin an den langwierigen Entstehungsprozess der Aufnahme. „Einige dieser Stücke sind in den letzten 300 Jahren kein einziges Mal aufgeführt worden. Es war daher viel Arbeit, sie überhaupt wieder ans Tageslicht zu befördern. Auch in Deutschland sind wir dabei fündig geworden, genauer gesagt in Münster. Außerdem haben wir Handschriften Caldaras in Wien gefunden, wo er einige Zeit gelebt und gearbeitet hat.“

Sind die entsprechenden Werke erst einmal gefunden – bei „Opera proibita“ hat das immerhin zwei Jahre gedauert – folgt der nächste Schritt zur Rehabilitation. Aus der Vielzahl der Stücke müssen diejenigen ausgewählt werden, die zur Stimme Cecilia Bartolis passen. Zwar wurden die Arien alle für die hohe Stimmlage der Kastraten geschrieben, aber auch hier gab es die Unterscheidung in Sopran und Alt. Das ist der Zeitpunkt, an dem sich die Sängerin aktiv in die Produktion der Platte einbringt. Wer sich den Findungsprozess allerdings als problemlose Routine vorstellt, wird schnell eines Besseren belehrt, denn „in den meisten Fällen handelt es sich um die Autographe. Wir haben also keine gedruckten Noten, und das macht die Sache ziemlich knifflig: Man muss etwa die Handschrift des Komponisten entschlüsseln oder Ungewisses zur Notation und zur Schlüsselung klären. Immer mit der Frage: Was könnte das in diesem speziellen Kontext bedeuten?“

Zu den Problemen der Vorbereitung kommen dann noch die der Ausführung hinzu. Cecilia Bartoli weiß dabei aus eigener Erfahrung, wie schwer das Erbe der Kastraten auf den Schultern heutiger Sänger lasten kann: „In dem Moment, in dem man dieses Repertoire singt, ist es klar, dass man eine flexible, elastische und agile Stimme benötigt. Mit einem Wort: Man braucht eine sattelfeste Technik. Denn das ist es, was sie hatten: eine perfekte Technik, die es ihnen erlaubte, mit der Stimme zu spielen. Für eine Frau bedeutet das, dass sie ihr Instrument absolut beherrschen muss. Das ist nicht leicht, aber dieses Wort existiert ohnehin nicht in unserem sängerischen Vokabular.“

Die Anstrengungen nimmt die Mezzo-Sopranistin allerdings gerne auf sich, bietet sich ihr dadurch doch eine willkommene Abwechslung von all den Standardrollen, all den Rosinas, Cenerentolas und Cherubinos. Der Vorteil des unbekannten Repertoires liegt für sie vor allem darin, beides machen zu können – „eine Fiorilla ebenso wie eine unbekannte Arie von Gluck, Mozart oder eben Caldara.“

Müsste sie sich dennoch zwischen Opernsängerin und Musikforscherin entscheiden, wäre diese Frage für sie ebenso schwierig zu beantworten wie die nach ihrem Lieblings-Pasta-Gericht. Aber da Cecilia Bartoli als Römerin nicht nur eine Expertin für die verschollene Musik ihrer Heimatstadt, sondern eben auch für Pasta ist, hat sie nach ihrem musikalischen Menü-Vorschlag mit einer Mischung aus Händel, Scarlatti und Caldara doch einen Tipp für das passenden Essen. „An einem Sommertag wie heute würde ich Pasta mit Fisch empfehlen. Eine gute Wahl wäre zum Beispiel ,trenete con aragostelle‘.“ Aber auch hier ist sie neugierig und liebt die Abwechslung: „Morgen kann das schon wieder ganz anders aussehen!“

Biographie

Bereits die Eltern der am 6. Juni 1966 geborenen Cecilia Bartoli, Angelo Bartoli und Silvana Bazzoni, waren Sänger. Das Talent schien der kleinen Cecilia somit in die Wiege gelegt zu sein. Erstem Unterricht bei der Mutter folgte im Alter von neun Jahren der erste öffentliche Auftritt als Hirtenjunge in Puccinis „Tosca“ in ihrer Heimatstadt Rom. Nicht ahnend, dass ihr Lebensweg sie in eine gänzlich andere Richtung als die des italienischen Verismo führen sollte, begann sie als Teenagerin ein Studium am Conservatorio di Santa Cecilia. Als die Sängerin mit 19 Jahren an einer Talentshow im italienischen Fernsehen teilnahm, sah Riccardo Muti den Auftritt und lud sie zu einem Vorsingen an der Scala ein. Kurz darauf bat Herbert von Karajan die junge Künstlerin, bei den Salzburger Osterfestspielen mitzuwirken, was durch den Tod des Maestro verhindert wurde. Ein weiterer Fernsehauftritt brachte dann den endgültigen Durchbruch: Als Cecilia Bartoli in einer Sendung des französischen Fernsehens zu Ehren von Maria Callas auftrat, wurde Daniel Barenboim auf sie aufmerksam und gab den Startschuss zu ihrer internationalen Karriere. Zu den Höhepunkten dieser ersten Jahre gehörten Zerlina an der Scala unter Riccardo Muti, Cherubino in Salzburg unter Nikolaus Harnoncourt und Cenerentola unter Riccardo Chailly. Aber auch als Lied- und Konzertsängerin hat sich die mit vier Grammys dekorierte Cecilia Bartoli einen Namen gemacht. Besonderes Aufsehen erregten ihre Projekte mit dem Musikologen Claudio Osele, mit dem sie unbekannte Werke erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Seit 1988 hat die Sängerin einen Exklusiv-Vertrag mit Decca.

CD

Opera proibita – Arien von Händel, Scarlatti und Caldara; Les Musiciens du Louvre, Mark Minkowski (2005)

Decca/Universal CD 475 7029 (72’)