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Theater vor Gericht

Sabine Damaschke3. Februar 2015

Bertolt Brechts "Baal" im Vietnam-Krieg - gegen diese Interpretation des deutschen Skandalregisseurs Frank Castorf ziehen die Brecht-Erben jetzt vor Gericht. Der Prozess wird spannend, meint Theaterjurist Rolf Hemke.

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Proben zu Frank Castorfs "Baal"-Inszenierung im Residenztheater München. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/Matthias Horn/Residenztheater München/dpa

Mit seinem Theaterstück über den rücksichtslosen, saufenden und herumhurenden Dichter Baal löste Bertolt Brecht 1923 einen Skandal aus. Die erste Berliner Aufführung endete im Tumult. Eine ähnliche Aufmerksamkeit hat sich auch das "Enfant terrible" des deutschen Theaters, Regisseur Frank Castorf, für seine Inszenierung des berühmten Stücks am Residenztheater München gewünscht. Es ist ihm gelungen.

Allerdings nicht, weil das Publikum empört auf die über vierstündige Inszenierung eines bösen und asozialen Baal in diversen Fernost-Kriegen reagiert hätte. Vielmehr waren die Erben Brechts entsetzt - und zwar so sehr, dass sie die Aufführung des Stücks nun verbieten lassen wollen. Als Vertreter der 84-jährigen Barbara Brecht-Schall, die bis 70 Jahre nach dem Tod ihres Vaters das Verfügungsrecht über dessen Werke hat, beantragte der Suhrkamp-Verlag beim Landgericht München eine einstweilige Verfügung.

Verbot der Aufführung "albern"

Dieser Rechtsstreit kann sich hinziehen, denn das Residenztheater will, so Sprecher Ingo Sawilla gegenüber der DW, die Aufführungen keinesfalls stoppen. "Wir stehen ganz hinter der Inszenierung von Frank Castorf, und es wäre eine Katastrophe für uns, wenn wir das Stück nicht mehr spielen dürften." Das Residenztheater gehe fest davon aus, dass die nächsten Aufführungen stattfinden.

Castorf selbst nennt die Suhrkamp-Klage "gestrig und albern". Intendant Martin Kušej betont in einer Stellungnahme, der Suhrkamp-Verlag habe sich bewusst für eine Vergabe der Aufführungsrechte entschieden und das Residenztheater habe bereits weit vor Probenbeginn die literarische und szenische Erarbeitung der Inszenierung kenntlich gemacht. Der Suhrkamp-Verlag wiederum weist das zurück. Trotz mehrfacher Aufforderung sei dem Verlag und den Erben die endgültige Spielfassung bis heute nicht vorgelegt worden, hieß es. Beide Seiten wollen sich zum laufenden Verfahren nicht weiter äußern.

Regisseur Frank Castorf findet die Klage des Suhrkamp-Verlags albern. (Foto: dpa)
Streitbar und stur: Regisseur Frank Castorf sieht keinen Grund für ein Verbot seiner InszenierungBild: picture-alliance/dpa/Tobias Hase

Deutsches Urheberrecht bevorzugt Autoren

Rückendeckung bekommt das Theater vom Berliner Theatertreffen 2015, das Castorfs Stück als eine der "zehn bemerkenswertesten Inszenierungen" im Mai zeigen möchte. Auch der Deutsche Bühnenverein stellt sich hinter die Inszenierung. Es hätte für den Verlag und die Erben doch klar sein müssen, dass ein Regisseur wie Frank Castorf das Stück interpretiere, erklärte Geschäftsführer Rolf Bolwin in den Medien. Die rigorose Haltung, dass an Theaterstücken nichts verändert werden dürfe, ergebe sich weder aus dem Urheberrechtsgesetz noch werde sie dem deutschen Regietheater von heute gerecht.

Damit betont Bolwin eine eher theaterfreundliche Sicht. Das deutsche Urheberrecht sei stark auf der Seite der Autoren, erklärt hingegen Rolf Christoph Hemke, Theaterjurist und Dramaturg am Theater an der Ruhr, im Gespräch mit der DW. Das Gesetz sehe vor, dass der Urheber das Recht habe, eine Entstellung seines Werkes zu verbieten. Allerdings heiße es dort ebenfalls, so Hemke, dass Änderungen, "zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen" könne, zulässig seien.

Dramaturg und Theaterjurist Rolf Christoph Hemke verfolgt den Rechtsstreit mit Interesse. (Foto: privat)
Dramaturg und Theaterjurist Rolf Christoph Hemke verfolgt den Rechtsstreit mit InteresseBild: privat

"Dieser Spielraum ist eher eng ausgestaltet, wurde in den letzten Jahrzehnten aber von der deutschen Rechtsprechung zugunsten der Theaterregisseure ausgedehnt", so der Jurist. Die recht weitgehende Freiheit werde von den Verlagen meist stillschweigend akzeptiert. Mit prominenten Ausnahmen. "Es ist bekannt, dass die Erben von Bertolt Brecht, Tennessee Williams und Samuel Beckett recht streitbar sind."

Rechtsstreit endet meist glimpflich

Mit den Williams-Erben hatte Castorf bereits vor 14 Jahren zu tun. Sie klagten gegen seine Inszenierung "Endstation Sehnsucht". Wie üblich nutzte der Regisseur das Werk eher als Zitaten-Fundgrube, als dass er es werkgetreu inszenierte. Letztlich einigte man sich vor Gericht darauf, dass Castorf es weiterhin auf die Bühne bringen darf, allerdings unter dem geänderten Titel "Endstation Amerika".

Ein striktes Aufführungsverbot habe es in Deutschland bisher selten gegeben, erklärt Hemke. Meist einigten sich Autoren oder ihre Erben mit den Theatern und Regisseuren darauf, dass einzelne Textstellen oder der Titel geändert werden oder vor der Aufführung eine Gegendarstellung des Autors verlesen wird.

Szene aus Frank Castrofs Inszenierung von Williams "Endstation Sehnsucht". (Foto: AP)
Auch Castorfs Interpretation von "Endstation Sehnsucht" landete vor GerichtBild: AP

Bis vor den Bundesgerichtshof schaffte es bisher nur ein Fall. 1967 hatte der Regisseur Alfred Kirchner die Salon-Operette "Maske in Blau" am Bremer Theater mit dem Radetzky-Marsch und der Erkennungmelodie der TV-Serie "Stahlnetz" inszeniert. Daraufhin folgte ein dreijähriger Rechtsstreit mit dem Berliner Bühnenverlag "Felix Bloch Erben". Zuletzt gaben die Richter den Erben recht und verboten die Aufführung.

Streitbar: Brecht-Erben und Castorf

Verglichen mit anderen Ländern gehörten Urheberrechtsverstöße auf deutschen Bühnen eher zum guten Ton, meint Hemke. Im angelsächsischen Raum inszenierten Regisseure oft aus ökonomischem Druck, aber auch aus Angst vor Autorenklagen lieber "werkgetreu".

Darüber, wie der Rechtsstreit zwischen Frank Castorf und dem Residenztheater München sowie dem Suhrkamp-Verlag und den Brecht-Erben ausgehen wird, wagt Hemke aber keine Prognose. "Sowohl die Brecht-Erben als auch Frank Castorf sind sicherlich streitbare Leute", sagt der Theaterjurist. "Das kann sich hinziehen."