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Interview mit Carla del Ponte

Mirjana Kühne-Veljkovic29. November 2012

Carla Del Ponte hat als Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag die erste Anklage gegen den früheren kosovarischen UCK-Kämpfer und Ministerpräsidenten Haradinaj erhoben.

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Carla del Ponte (Foto: REUTERS/Jerry Lampen/Files)
Carla del PonteBild: Reuters

Deutsche Welle: Frau Ponte, Sie waren acht Jahre lang die Chefanklägerin des Haager Tribunals, Ramush Haradinaj, der ehemalige Chef der UCK, ist gerade freigesprochen worden. Er war der Kriegsverbrechen angeklagt. Ursprünglich hatte das Tribunal 20 Jahre Haft für ihn gefordert. Niemand ist überrascht – nicht in Serbien und auch nicht in Kosovo. Sind Sie überrascht, Frau Ponte?

Carla Del Ponte: Nein, ich bin nicht überrascht. Haradinaj wurde schon einmal freigesprochen, dies ist jetzt der zweite Prozess. Ich habe die Untersuchung verfolgt und die Anklageschrift verfasst, die von einem Richter des Jugoslawien-Tribunals bestätigt wurde, und dann habe ich gesehen, dass es während des Prozesses schwierig war, die Beweise vorzutragen, das heißt Zeugen, die nicht erschienen sind, andere Zeugen, die ihre Aussagen geändert haben. Das war das Problem, und er wurde das erste Mal freigesprochen. Dann hat das Appellationsgericht gesagt, das geht nicht, man muss dem Gericht die Beweise vortragen und hat eben einen zweiten Prozess angeordnet. Und ich glaube, dieser zweite Prozess hatte dieselben Schwierigkeiten: Haradinaj wurde freigesprochen, weil die Beweise dem Gericht nicht vorgetragen wurden.

Wie erklären Sie sich, dass manche Zeugen verschwunden, einige sogar angeblich umgebracht worden sind?

Ich habe Kenntnis davon, aber ich war dann nicht mehr in Den Haag und weiß nicht, was diese Ermittlungen, die im Kosovo durchgeführt wurden, ergeben haben.

Das ist natürlich eine schwerwiegende Entscheidung, besonders für Serbien. Wie kann man jetzt den Serben erklären, dass das Haager Tribunal Gerechtigkeit übt? Viele glauben, dass nur Serben verurteilt würden. Viele haben Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Tribunals…

Ja, das stimmt. Ich habe Verständnis für Serbien, aber man sollte – vor allem im Fall Haradinaj – Serbien genau erklären, wie es dazu gekommen ist, dass dem Gericht eben nicht alle Beweise vorgetragen werden konnten und es daher zu einem Freispruch kam.

Was mich mehr stört ist das Gotovina-Urteil (am 16.11.12. wurde der kroatische Ex-General Ante Gotovina vom UN-Kriegsverbrechertribunal freigesprochen, Anm. d. Red.) Das hat mich sehr erstaunt, und natürlich hat Serbien mit seiner Reaktion Recht, denn ich selbst war schockiert. Er wurde erstinstanzlich verurteilt, die Beweise sind da. Aber die Situation ist natürlich für die internationale Justiz bedenklich.

Rasim Ljajic, der Präsident des Rates für Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal in Serbien hat schon gesagt, dass er jede Zusammenarbeit mit dem Tribunal beenden wird – außer technischer Zusammenarbeit. Was bedeutet das?

Ich glaube, das bedeutet nicht viel. Technische Kooperation heißt eben, dass Zeugen nach Den Haag gehen, vor Gericht auftreten. Die Beweise sind seit Jahren gesammelt worden und ich glaube, dass es praktisch keinen Unterschied macht: Technische Kooperation wird reichen, um diese letzten, noch anhängigen Prozesse weiter zu führen.

Zu einem anderen Problem: Seit dem Freispruch von Gotovina verschlechtern sich die Beziehungen zu Kroatien, die Treffen werden abgesagt. Jetzt besteht die Gefahr, dass der Dialog mit Pristina aufhört. Das bedeutet, die Entscheidungen des Tribunals haben negative Auswirkungen auf die Beziehungen auf dem Balkan.

Dazu kann ich mich natürlich nicht äußern, das ist ja eine politische Erwägung. Die Arbeit vom prosecutor office wurde gemacht, wurde richtig gemacht. Für die Urteile und für das Weitere sind andere verantwortlich. Ich glaube, man kann sagen, dass das prosecutor office richtig gearbeitet hat und gut gearbeitet hat.

Und wie geht es weiter mit dem Haager Tribunal?

Die letzten Prozesse sind jetzt anhängig und ich glaube, 2014 wird das Tribunal geschlossen. Es ist sozusagen im Endspurt.

Carla Del Ponte ist Staatsanwältin. Sie stammt aus der Schweiz und war von 1999 bis 2007 die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichthofes für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag.