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Care Migration

13. April 2011

Das Projekt "Care Migration" in Neuss am Niederrhein bringt Deutsche und Migranten zusammen. So können die Zuwanderer sowohl ihre Deutschkenntnisse festigen, als auch Kontakte zu Einheimischen knüpfen und pflegen.

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Treffen der Teilnehmer des Projektes "Care Migration" (Foto: Despina Kosmidou)
Bild: Despina Kosmidou

Samstagmorgen in Neuss am Niederrhein, einer Nachbarstadt von Düsseldorf: Zwei Freundinnen unterhalten sich bei einem gemütlichen Frühstück in der geräumigen Küche. Die Deutsche Birgit Pünder und die Aserbaidschanerin Tarana Allahyarova sitzen am reichlich gedeckten Tisch und naschen: mal an den deutschen Brötchen mit Rhabarbermarmelade, mal an den russischen Pirogen mit Weißkohl, mal am kaukasischen Gebäck. Die Frauen sprechen über alles Mögliche – über Wetter und Politik, über Kinder und über Sommerpläne. Es ist kaum vorstellbar, dass sich Birgit und Tarana erst seit einem Jahr kennen. Sie haben sich im Rahmen des Projektes "Care Migration" getroffen.

Neues kennen lernen und Vorurteile abbauen

Das Konzept der Initiative ist so gestaltet, dass sich ein Deutscher und ein Migrant kennen lernen. Wenn die Chemie stimmt, entwickelt sich daraus eine Freundschaft. Man unternimmt etwas zusammen, lernt die andere Kultur kennen und kann dadurch Vorurteile abbauen.

Tarana Allahyarova und Birgit Pünder mit Projektleiterin Despina Kosmidou (Foto: Despina Kosmidou)
Tarana Allahyarova und Birgit Pünder mit Projektleiterin Despina KosmidouBild: Despina Kosmidou

"Bei uns hat es geklappt", schwärmt Birgit Pünder. Die 47-jährige Lehrerin aus Neuss hat sich immer schon für andere Kulturen interessiert, deswegen meldete sie sich vor einem Jahr, als neue Teilnehmer für das Projekt "Care Migration" gesucht wurden. Ihre Freundin, die Aserbaidschanerin Tarana Allahyarova, kam aus einem anderen Grund zu der Initiative. Für sie war es in erster Linie wichtig, Deutsch zu sprechen.

Nachdem der Sprachkurs zu Ende war, hatte die heute 42-Jährige festgestellt, dass sie sich sehr selten auf Deutsch unterhält. "Beim Arztbesuch ist keine Unterhaltung möglich. Das dauert zwei bis drei Minuten und das war es. Unter den Nachbarn sind auch fast keine Deutschen, die Konversation mit ihnen ist kurz: Wie geht es dir? Und Tschüss!", ist die Aserbaidschanerin empört.

Wie kommt man in Kontakt miteinander?

So wie Tarana Allahyarova geht es vielen Migranten, die nach einem Deutschkurs kaum Gelegenheit finden, ihre frisch erworbenen Sprachkenntnisse praktisch anzuwenden und Kontakte zu Deutschen zu knüpfen. Genau an diesem Punkt setzt "Care Migration" an. Das Projekt wurde von Despina Kosmidou ins Leben gerufen. Seit ihrer Kindheit lebt die gebürtige Griechin in Deutschland und hat früher bei der Caritas in Neuss als Deutschlehrerin gearbeitet.

"Wenn sich zwei Menschen treffen, selbst wenn es zwei Deutsche oder zwei Russen oder zwei Portugiesen sind, ist es immer noch schwierig, wenn man sich nicht kennt, ins Gespräch zu kommen", ist Despina Kosmidou überzeugt. Und die Migranten haben ein doppeltes Problem: Neben der Angst, sich falsch auszudrücken, wissen sie einfach nicht, worüber man sprechen könnte, ohne in ein Fettnäpfchen zu treten.

Interkulturelles Training als Einstieg

Despina Kosmidou ist überzeugt: Nicht der fehlende Wille hindert die Migranten daran, mit den Einheimischen in Kontakt zu treten. Es gibt einfach zu wenige gemeinsame Begegnungsorte. Außerdem – so Kosmidou – seien nicht alle Deutschen offen für Freundschaften mit Zuwanderern. Vor drei Jahren rief sie ihr Projekt unter dem englischen Namen "Care Migration" ins Leben.

Teilnehmerinnen des Projektes "Care Migration" kochen gemeinsam (Foto: Despina Kosmidou)
Teilnehmerinnen des Projektes "Care Migration", Verein zur Förderung von Sprache und Mehrsprachigkeit e.V., NeussBild: Despina Kosmidou

Seitdem melden sich Menschen verschiedenster Nationalität: von Polen und Russen über Iraker und Marokkaner bis hin zu Migranten aus Sri Lanka.Neue Teilnehmer lernen sich zunächst bei einem Vorbereitungskurs kennen, an dem jeweils zehn Deutsche und zehn Ausländer teilnehmen. Durch das interkulturelle Training können Berührungsängste abgebaut werden. "Man hat als Mensch vielleicht bestimmte Vorstellungen, und vielleicht hemmt das den Kontakt zu einer Person aus einer anderen Kultur", weiß die Projektleiterin. "Der Vorbereitungskurs führt zu der anschließenden eins-zu-eins-Beziehung, die dann in eigener Regie durchgeführt wird. Außerdem gibt es jeden Monat Treffen, bei denen sich Deutsche und Migranten aller Staffeln an einem Ort versammeln und austauschen."

"Unser Ding ist das Gespräch"

Auch Birgit Pünder und Tarana Allahyarova lernten sich beim interkulturellen Training kennen. Beide fanden sich auf Anhieb sympathisch, erinnert sich die 47-jährige Deutsche: "Wir haben sofort festgestellt, dass wir auf der gleichen Wellenlänge liegen und auch in ähnlichen Situationen sind." Nicht nur, dass beide Frauen drei Kinder haben, die mehr oder weniger im gleichen Alter sind, beide sind auch Lehrerinnen von Beruf. Die frisch gebackenen Freundinnen treffen sich seit einem Jahr regelmäßig, mal zum gemeinsamen Kochen, mal zum Theaterbesuch, mal zum Spaziergang. "Aber primär ist unser Ding eigentlich das persönliche Gespräch," so Pünder.

Auch der Rhein-Kreis Neuss ist von "Care Migration" begeistert. Das Projekt wurde deshalb vergangenen Herbst mit dem Preis für Integrationsarbeit ausgezeichnet.

Autorin: Nadja Baeva
Redaktion: Hartmut Lüning