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Deutsche Firmen lieferten Chemikalien nach Syrien

Marcus Lütticke20. September 2013

Deutschland hat mehrere Jahre lang Chemikalien nach Syrien geliefert, die zur Herstellung von Kampfstoffen gebraucht werden. Offiziell wurden sie jedoch zivil genutzt. Die Politik streitet nun über Ausfuhrbestimmungen.

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"Vorsicht - leicht entflammbar!" - Speziell gekennzeichnete Fracht am Dienstagabend (Foto: Frank May7dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es gibt viele Dinge, die sind nicht eindeutig gut oder schlecht. Mit einem Laserpointer beispielsweise kann man bei Vorträgen zeigen, worüber man gerade spricht. Man kann aber auch einen Piloten damit blenden und so die Sicherheit im Luftverkehr massiv gefährden. Es kommt also immer auf die konkrete Anwendung an.

Was das Beispiel Laserpointer im Kleinen verdeutlicht, sind auf internationaler Ebene die sogenannten Dual-Use-Güter. Exportartikel, die sowohl zur Kriegsführung und zum repressiven Gebrauch genutzt werden können als auch für ausschließlich zivile Zwecke. Der Export dieser Güter ist nicht generell verboten, sondern wird nach der europäischen Dual-Use-Verordnung von der Bundesregierung nach vorheriger Prüfung im Einzelfall genehmigt.

Kampfstoff oder Zahnpasta?

Auf Anfrage der Linken im Bundestag bestätigte die Regierung, dass in den Jahren 2002/2003 und 2005/2006 solche Dual-Use-Güter auch nach Syrien exportiert wurden. Es geht um 93.040 Kilogramm Fluorwasserstoff, 6400 Kilogramm Natriumfluorid und 12.000 Kilogramm Ammoniumhydrogenfluorid. Alle drei Substanzen können für die Produktion des Nervengiftes Sarin eingesetzt werden. Es gibt aber auch zahlreiche zivile Anwendungen für diese Chemikalien, beispielsweise zur Herstellung von Zahnpasta oder in der Ölindustrie.

Politisch zu verantworten hatten die Exporte die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und später die große Koalition aus SPD und CDU unter Angela Merkel. Die Kanzlerin sagte in einer ersten Stellungnahme, "nach allen Erkenntnissen, die mir zur Verfügung stehen" seien die Chemikalien für zivile Zwecke genutzt worden. Alles weitere gelte es nun zu prüfen.

Zivile Nutzung wahrscheinlich

Der Chemiewaffenexperte Ralf Trapp bestätigte im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass die betreffenden Chemikalien zur Herstellung von Sarin genutzt werden können. Allerdings seien viele weitere Stoffe für die Produktion von chemischen Kampfstoffen notwendig. Die Beschaffung dieser Rohstoffe auf dem Weltmarkt sei relativ einfach. Theoretisch hätte Syrien sie auch selber herstellen können, obwohl das Land keine bedeutende chemische Industrie habe.

Ibrahim Mohamed, Syrien-Experte der Deutschen Welle, hält eine zivile Nutzung der aus Deutschland exportierten Chemikalien in Syrien für plausibel. "Wenn diese Chemikalien an private Industrieunternehmen in Syrien verkauft wurden, gehe ich stark davon aus, dass sie für zivile Zwecke genutzt wurden." In Syrien gebe es neben der bereits erwähnten Ölindustrie auch Pharmaunternehmen und metallverarbeitende Industrie, die diese Chemikalien nutzen.

Ähnlich äußerte sich auch der Umweltjournalist Werner Eckert. "Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass man ausgerechnet in einem so mit Skrupeln behafteten Gebiet wie Europa solche Allerweltsstoffe einkauft, um sie zu Giften zu machen." Viel leichter sei es da für die syrische Regierung, in China die Rohstoffe für die C-Waffen-Produktion einzukaufen. "China fragt nicht nach der Verwendung. Da gibt es dieses komplizierte Genehmigungsverfahren erst gar nicht."

Streit über Exportkontrollen

Von Seiten der deutschen Politik gibt es eine auf den ersten Blick etwas paradox wirkende Beurteilung des Sachverhalts. Politiker der Grünen fordern nun strengere Kontrollen und Auflagen für den Export solcher Dual-Use-Güter. Und das, obwohl die eigene Partei zwischen 1998 und 2005 an der Regierung beteiligt war. Tobias Lindner, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen, wirft im DW-Gespräch die Frage auf: "Warum hat man in ein Land exportiert, dass nicht der UN-Chemiewaffenkonvention beigetreten ist?" Gleichzeitig betont er, dass nach den damals geltenden Vorschriften wohl alles korrekt gelaufen sei. Nur hätten die Vorschriften schon damals strenger sein sollen.

Martin Lindner von der FDP, die derzeit in Berlin mitregiert, verteidigt dagegen die für die Exporte geltenden Richtlinien, obwohl seine Partei in den betreffenden Zeiträumen in der Opposition war: "Kein anderes Land in der Europäischen Union geht mit diesem Thema so sorgsam um wie wir. Und als Wirtschaftspolitiker muss ich natürlich schon darauf achten, dass wir als Export-Nation hier unsere Interessen wahren", so Lindner. SPD und Grünen wirft er vor, heuchlerisch mit dem Thema umzugehen.

Wirtschaftlich bedeutsam waren die betreffenden Exporte jedoch nicht. Der Gesamtwert der Chemikalien betrug etwa 174.000 Euro. Zum Vergleich: Die deutsche Wirtschaft exportierte im letzten Jahr Güter im Wert von 1,1 Billionen Euro.