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Bürgerliche und Sozialdemokraten vor Wahlen in Schweden gleichauf

Steffen Leidel16. September 2006

Den Schweden geht es eigentlich ganz gut. Kein Grund also für einen Regierungswechsel, könnte man meinen. Doch die Hochburg der Sozialdemokraten wankt. Das bürgerliche Lager hat gute Chancen bei der Parlamentswahl.

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Der Ausgang der Wahlen ist völlig offenBild: AP

Was ist eigentlich mit den Schweden los? Die Wirtschaft blüht, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Unternehmen machen hohe Gewinne, die Staatskassen sind voll, und der Durchschnittsbewohner ist auch noch glücklich. Und trotzdem kann sich der sozialdemokratische Regierungschef Göran Persson nicht sicher sein, am Sonntag wieder gewählt zu werden.

Kurz vor der Reichstagswahl liegt Perssons Partei zusammen mit dem Grünen und der Linkspartei bei Umfragen mit der bürgerlichen "Allianz" des konservativen Herausforderers Fredrik Reinfeldt so gut wie gleichauf. Manch ein Schwede versteht seine Welt nicht mehr. So fragt der Verleger und Publizist Svante Weyler in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung: "Sind die Schweden verrückt geworden? Oder nur undankbar?".

Es sei schon eine "komische Situation", konstatiert Uwe Optenhögel von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (Fes) in Stockholm: "Vielleicht haben die Schweden den Eindruck, es geht ihnen so gut, dass sie mal die bürgerliche Parteien ausprobieren wollen", sagt er augenzwinkernd. Viel riskieren würden die Wähler nicht.

Langweiliger Wahlkampf

Schweden Wahlen Göran Persson und Fredrik Reinfeldt
Die Rivalen: Reinfeldt und PerssonBild: AP

"Die große Kampflinie zwischen den beiden Lagern gibt es nicht. Der Wahlkampf war eher langweilig", sagt Bernd Henningsen, Professor am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität in Berlin. Und auch der Fes-Mitarbeiter Optenhögel hat keinen Richtungswahlkampf erkennen können. "Für die Sozialdemokraten war der Wahlkampf schwierig, da keine Polarisierung möglich war".

Rein innenpolitische Themen standen im Vordergrund. "Es ging um klassische Sozialstaatsthemen wie die demographische Entwicklung der Gesellschaft oder die Privatisierung des Gesundheitswesens. Auch die zunehmende Jugendarbeitslosigkeit wurde erörtert", sagt Optenhögel. Außenpolitik kam so gut wie nicht vor: "Trotz der wichtigen Entscheidungen, die bevorstehen, wie die Verfassungsfrage, blieb das Thema EU ausgeklammert", sagt Henningsen. Die Schweden scheinen außerdem nach wie froh, nicht für den Euro gestimmt zu haben. Sie haben davon bisher eher profitiert. "Indem Schweden seine Währung abgewertet hat, machte es seine Exportprodukte billiger und damit konkurrenzfähiger", sagt Optenhögel.

Junger Rivale fordert amtsmüden Polit-Dinosaurier

Die Taktik von Reinfeldt, dem jungen und dynamischen Rivalen des amtsmüde wirkenden politischen Dinosauriers Persson scheint aufzugehen. Der 41-Jährige hat die alte Weisheit verinnerlicht, dass die Schweden im Grunde alle Sozialdemokraten sind. Von Forderungen nach radikalen Steuersenkungen und einem Sozialabbau rückte er ab und gab sich sozialdemokratischer als es den Sozialdemokraten lieb sein kann. In Reden bezeichnete er seine Partei, die "Moderaten", gerne als "neue Arbeiterpartei".

Seit fast 80 Jahren bestimmen die Sozialdemokraten fast ununterbrochen die Geschicke des Landes. Kritik an den Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates ist tabu. "Die Bürger haben ein positives Bild vom Staat und sind auch bereit hohe Steuern zu zahlen, da sie mit den staatliche Dienstleistung zufrieden sind", sagt Optenhögel. Bis zu 57 Prozent Steuern zahlen die Schweden, ohne Murren.

Bürgerliches Lager geeint

Henningsen sieht die Stärke des bürgerlichen Lagers darin, dass es zum ersten Mal geeint antritt. Reinfeldt habe seine Partei, die Moderaten, mit der liberalen Volkspartei, dem Zentrum und den Christdemokraten zu einer Allianz zusammengeführt. "Das ist neu", sagt Henningsen.

Wie die Wahlen ausgehen, ist völlig offen. Eine Affäre, die in schwedischen Medien schon mit dem Watergate-Skandal verglichen wurde, scheint das bürgerliche Lager nicht besonders zurückgeworfen zu haben. Ein Mitglied aus der Jugendorganisation der Liberalen war zwischen Januar und März 78 Mal in das Computer-Netz der Sozialdemokraten eingedrungen, um deren Wahlkampfstrategie auszuspionieren. Zumindest Parteisekretär Johan Jakobsson wusste seit März davon, schwieg aber. Er musste gehen. "Die Affäre war sicher ein Schock", sagt Henningsen. Er erwartet jedoch keine großen Verluste für das bürgerliche Lager insgesamt. "Die liberale Volkspartei wird sicher verlieren, doch ihre Wähler werden einfach zu einer anderen der konservativen Parteien wechseln".

Ein Modellland bleibt Schweden sowohl für Henningsen als auch für Optenhögel. Der Fes-Mitarbeiter baut derzeit ein Büro für die Stiftung in Stockholm auf. "Wir wollen uns inspirieren lassen von den Erfolgen Schwedens bei den Sozialreformen. Wir überlegen inwiefern wir die in die festgefahrene deutsche Debatte einbringen können."