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Bundestag für Stammzellenimport unter Auflagen

Bernd Gräßler25. April 2002

Die langwierige und kontroverse Debatte in Deutschland über den Import von Stammzellen hat auch mit bösen Erfahrungen aus der Nazizeit zu tun. Ein Kommentar von Bernd Gräßler.

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Die deutsche Gesellschaft hat sich schwer getan hat mit dieser Entscheidung. Nach langer öffentlicher Diskussion hat der Bundestag dafür votiert, unter strengen Auflagen menschliche embryonale Stammzellen nach Deutschland zu importieren. Auch hierzulande können Mediziner nun bald herausfinden, warum diese Zellen so vermehrungsfreudig sind, wie ihre wunderbare Verwandlung zu Leber-, Herz- oder Hirnzellen funktioniert. Dies wird auch für die in Deutschland weit fortgeschrittene Alternative, nämlich die Forschung an sogenannten adulten (erwachsenen) Stammzellen nützlich sein. Bei beiden Forschungsrichtungen geht es um Therapien für unheilbar Kranke und, das darf nicht verschwiegen werden, um Patente, Marktanteile und Arbeitsplätze.

Ethisch umstritten ist jedoch nur die Forschung an embryonalen Stammzellen, weil dafür wenige Tage alte, künstlich befruchtete Eizellen getötet werden. Die besonders langwierige und kontroverse Debatte in Deutschland hat auch mit bösen Erfahrungen zu tun, die man hierzulande mit entfesseltem Forschergeist in der Nazizeit machen musste. Die Nationalsozialisten waren es, die Leben auf grausame Weise instrumentalisierten. Mit dem Verbrauch von Embryonen zu Forschungszwecken, so fürchten nicht wenige, könne man heutzutage wieder auf eine abschüssige Bahn geraten.

Der Bundestag geht nicht so weit, wie manche Parlamente in den europäischen Nachbarländern: sogenannte überzählige Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung anfallen, für die Stammzellengewinnung freizugeben. Den Vorwurf einer doppelten Moral - weil man davon profitiert, dass die Nachbarn es tun - wird man deshalb nicht vermeiden können. Doch immerhin soll deutscher Forscherbedarf nach embryonalen Stammzellen zu keinen weiteren Tötungen von Embryonen auch im Ausland anstiften. Importiert werden dürfen deshalb nur solche Zelllinien, die bis zum heutigen Tag bereits existieren und bestimmt sind ausschließlich für Grundlagenforschung.

Mit dieser Entscheidung weist die Politik der Biomedizin einen vorsichtigen Schritt in die Zukunft und verschafft sich eine Atempause inmitten einer immer schnelleren Entwicklung. Die schwierigsten Fragen dürften auch in der Stammzellforschung noch kommen: Was ist, wenn sich eines Tages eben nicht, wie erhofft, die adulten, sondern die embryonalen Stammzellen als einzig geeignet erweisen, Ersatzgewebe oder gar Ersatzorgane für bisher unheilbar Kranke zu züchten? Wird man dann auch in Deutschland Embryonen verbrauchen, um letztlich genügend Stammzellen zu produzieren, für Tausende von Kranken, die heute vergeblich auf ein Spenderorgan warten? Wird man dann die ehrenhafte Zurückhaltung beim Stammzellenimport aufgeben? Oder werden letztlich alle hehren Grundsätze über Bord geworfen, wie Pessimisten ahnen?

Die Diskussion in den letzten Monaten hat gezeigt, dass in der Gesellschaft eine große Sensibilität für die Abgründe der biomedizinischen Verheißungen herrscht. Übrigens auch bei den misstrauisch beäugten Wissenschaftlern, die nicht nur um öffentliche Gelder werben, sondern sich auch der öffentlichen Diskussion stellen. Sie selbst waren es schließlich, die sich freiwillig dieser Entscheidung des Parlaments unterwarfen, obwohl der Stammzellenimport per Gesetz nicht verboten ist. Das sollte Selbstvertrauen geben, dass eine demokratische Gesellschaft auch in Sachen Biomedizin nicht zwangsläufig auf jene schiefe Bahn geraten muss, auf der es kein Halten mehr gibt.