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Gegen gefährliche Rituale

12. Februar 2010

5000 Mädchen aus Migrantenfamilien droht Verstümmelung, wenn sie Urlaub in den Herkunftsländern machen. Genitalbeschneidung und Zwangsverheiratung sollen darum ins Strafgesetzbuch, auch wenn sie im Ausland stattfinden.

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Porträt des somalischen Ex-Models Waris Dirie (Foto: AP)
Ex-Model Waris Dirie - Opfer und Kämpferin gegen GenitalverstümmelungBild: AP

Frauenrechtsorganisationen fordern es seit längerem: Zwangsheirat und Genitalverstümmelung sollen auch in Deutschland eigene Straftatbestände werden. Schließlich sind auch hier jährlich viele Migrantinnen Opfer dieser überkommenen Rituale. Der Bundesrat, die Vertretung der Länder, beschloss deshalb Gesetzentwürfe, nach denen sowohl die verstümmelnde Beschneidung als auch die Zwangsverheiratung von Frauen einen eigenständigen Platz im Strafgesetzbuch bekommen sollen. Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn sagte am Freitag (12.02.2010), damit werde ihre Verwerflichkeit deutlicher. Genitalverstümmelung soll mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren geahndet werden. "Dies bereitet auch möglichen Fehlvorstellungen ein Ende, dass Eltern in eine solche Verstümmelung ihrer Töchter wirksam einwilligen könnten", erklärte Hahn.

Sitzungssaal des Bundesrates in Berlin (Foto: AP)
Der Bundesrat hat beschlossen, nun ist der Bundestag gefragtBild: AP

Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes begrüßte die Gesetzesinitiative der Bundesländer. Die vor allem in Afrika, aber auch in einzelnen Ländern Asiens und Lateinamerikas praktizierte Verstümmelung weiblicher Genitalien gilt seit 1995 international als Menschenrechtsverletzung. In Deutschland wird sie als Körperverletzung verfolgt; andere europäische Länder ahnden sie bereits als eigenständiges Verbrechen. Auch das Europa-Parlament hat die Bekämpfung der Genitalverstümmelung in Europa beschlossen.

Unvermeidbarer Konflikt

In Deutschland sind laut Terre de Femmes rund 20.000 Opfer bekannt. Bis zu 5000 Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund laufen hierzulande außerdem Gefahr, dieser schmerzhaften und gefährlichen Prozedur bei einem Aufenthalt in ihrem Heimatland unterzogen zu werden.

Deshalb sollten künftig auch Auslandstaten strafbar sein, wenn das Opfer zur Zeit der Tat seinen Wohnsitz in Deutschland hatte, betonte Minister Hahn. Achtung vor fremden Kulturen könne nicht bedeuten, körperliche und psychische Misshandlungen zuzulassen. Erfolgreiche Integration erfordere, die Geltung des Strafrechts in allen Teilen der Gesellschaft durchzusetzen - auch wenn dem überkommene Traditionen bestimmter Bevölkerungsgruppen entgegenstünden. Mädchen und Frauen aus Migrantenfamilien hätten ein Recht auf den Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit, begründete Hahn den Antrag von Hessen und anderen Bundesländern, der die Zustimmung der Ländervertretung fand.

Ähnliches gilt für die Bekämpfung von Zwangsehen, denen viele Migrantinnen ausgesetzt sind. Auch hier will der Bundesrat einen eigenständigen Tatbestand mit Strafen von mindestens sechs Monaten einführen und außerdem die Rechte von Zwangsverheirateten stärken.

Mehr Aufklärung gefordert

Die Gesetzentwürfe des Bundesrates benötigen die Zustimmung des Parlaments, wo alle Parteien strikt gegen Zwangsehen und Genitalverstümmelung sind. Doch die Angelegenheit hat eine Kehrseite. Laut Ausländerrecht haben Strafen von drei Jahren und mehr für tatbeteiligte Eltern zwangsläufig deren Ausweisung aus Deutschland zur Folge, und dies wiederum könnte die betroffenen Töchter von einer Anzeige abhalten.

Der Gesetzentwurf des Bundesrates berücksichtigt dies und setzt die Mindeststrafe auf zwei Jahre fest. Sozialdemokraten und Grüne drängen daneben vor allem auf mehr Anstrengungen, um Migrantenfamilien durch Aufklärung von ihren überkommenen Ritualen abzubringen.

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Kay-Alexander Scholz