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Bulgarien: Neue Auftragsmorde sorgen für Schlagzeilen

16. Mai 2007

Die hohe Zahl von Auftragsmorden in Bulgarien war bereits vor dem Beitritt des Landes zur Europäischen Union einer der Kritikpunkte aus Brüssel. Nun sorgen zwei neue Fälle für Aufregung.

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Zahl der Morde höher als in Rest-EUBild: APGraphics

Am Montag (14.5.) wurde der Präsident des bulgarischen Fußball-Erstligaklubs Lokomotive Plovdiv, Alexander Tassev, in einem Vorort von Sofia tot aufgefunden. Einige Tage vorher töteten Unbekannte einen hochrangigen Regionalpolitiker in der Stadt Nessebar an der Schwarzmeerküste. Beide Opfer galten als erfolgreiche Unternehmer mit Kontakten zur Unterwelt.

Zwei Schüsse in den Kopf

Der 45-jährige Alexander Tassev wurde mit zwei Schusswunden am Kopf in seinem luxuriösen Mercedes in Boyana - einem Prominenten-Vorort der bulgarischen Hauptstadt Sofia - tot aufgefunden. Neben Interessen im Fußball-Geschäft war er als Unternehmer auch im Handel mit Treibstoffen, im Bau, in der Möbelindustrie sowie im Handel mit Kirschen tätig, wo er als Monopolist galt. Bulgarische Medien behaupten, der Ermordete habe enge Kontakte zu Drogenbossen gepflegt, und laut polizeilichen Quellen könnte seine Ermordung in Zusammenhang mit einem gescheiterten Kokain-Geschäft gebracht werden.

Vor zwei Jahren wurde auch der Vorgänger Tassevs bei Lokomotive Plovdiv ermordet. Georgi Iliev, Bruder des vor zwölf Jahren ermordeten Mafiabosses Vassil Iliev, wurde 2005 an der bulgarischen Schwarzmeerküste erschossen. Auch er galt als Unternehmer mit einem Mafia-Hintergrund.

Mordrate wie in den USA

Die Ermordung Tassevs war der zweite Auftragsmord in den letzten fünf Tagen in Bulgarien. Letzte Woche wurde Dimitar Jankov, Gemeinderatsvorsitzender der kleinen Schwarzmeerstadt Nessebar, mit sechs Kopfschüssen in seinem Auto tot aufgefunden. Beteiligt an mehr als 20 Firmen, gehörte Jankov zu den erfolgreichsten Unternehmern an der bulgarischen Schwarzmeerküste.

Bulgarischen Medien zufolge sind in den letzten 17 Jahren - also seit dem Ende des Kommunismus - rund 260 Auftragsmorde in Bulgarien begangen worden. Tichomir Bezlov ist Experte beim Sofioter Zentrum für Demokratieforschung. Er erklärt: "Vor der Wende 1989 wurden in Bugarien 180 bis 190 vorsätzliche Tötungen jährlich registriert. Dann aber nahm diese Zahl sehr rasant zu, und 1995 hatten wir fast 500 vorsätzliche Morde im Jahr. Das sind 5,4 Ermordete pro 100.000 Bürger. Das entspricht einer Mordrate wie in den USA."

Unruhige Vergangenheit

Im Jahr 1995, als sich die Ermordungen verfünffachten, regierten im Land die ehemaligen Kommunisten, die nach der Wende als Sozialisten auftraten. Die fehlenden Reformen und das Absinken des Landes in die Kriminalität führten Ende 1996 zu Massendemonstrationen und Proteste in ganz Bulgarien. Unter dem Druck der Massen wurde die sozialistische Regierung gezwungen zurückzutreten.

In dieser finsteren Zeit in Bulgarien wurden einige der Symbolfiguren aus der bulgarischen kriminellen Szene umgebracht: 1995 wurde Vassil Iliev, Präsident des Versicherungsunternehmens VIS-2, das sich in der Tat aber mit Erpressungen beschäftigte, ermordet. Er galt als einer der Gründer und Paten der sogenannten Erpressungsversicherung in Bulgarien. 1996 folgten die Morde an Vassil Mitev, Direktor des Hafens in der Donaustadt Russe, dessen Name mit Interessen im Fährtransport zwischen Russe und dem rumänischen Giurgiu verbunden ist. Am 2. Oktober 1996 wurde der sozialistische Abgeordnete und ehemaliger Ministerpräsident von Bulgarien, Andrei Lukanov, ermordet, der enge Kontakte mit Moskau und russischen Energiebossen pflegte. In den Jahren 2003-2004 ging die Zahl der Ermordungen deutlich zurück, und 2006 konnten sie erstmals den Stand vor der Wende erreichen: In diesem Jahr gab es 174 Ermordungen in Bulgarien.

Mord als einfache Lösung?

Die Aufklärung der Auftragsmorde ist sehr schwierig, und das sei einer der Gründe für die niedrige Aufklärungsrate in Bulgarien, erklärt Tichomir Bezlov vom Zentrum für Demokratieforschung. Jährlich werden in Bulgarien 1 bis 2 Auftragsmorde aufgeklärt.

Die in Bulgarien begangenen Morde sind wesentlich zahlreicher als in allen anderen europäischen Ländern, und die Rate tendiert zu der in Russland. Das habe mit der Kultur der Bulgaren zu tun, behauptet Bezlov: "Die Bulgaren sind nicht besonders fromm, und das ist für mich die Erklärung, warum Morde so leicht als Instrument für wirtschaftliche Zwecke benutzt werden können. Das Bild ist ähnlich in Russland und Serbien." Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge spielt hier nicht nur die Religion eine wichtige Rolle, sondern allgemeine Probleme im Wertesystem dieser Länder.

Emiliyan Lilov
DW-RADIO/Bulgarisch, 16.5.2007, Fokus Ost-Südost