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Schwere Zeiten

Monika Lohmüller3. September 2008

Das erste Mal seit 16 Jahren ist das britische Wirtschaftswachstum zum Stillstand gekommen. Das Pfund befindet sich gegenüber dem Euro in einem noch nie dagewesenen Tief.

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Fünf-Pfund-Note der Bank of England (Quelle: Bilderbox)
Das britische Pfund verliert gegenüber dem Euro mehr und mehr an WertBild: Bilderbox

Fast täglich treffen in Großbritannien Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft ein. Die britische Notenbank warnt vor einer Rezession, die das Land ähnlich hart treffen könnte wie die Krise in den 1970er Jahren. Denn im zweiten Quartal 2008 ist das britische Wirtschaftswachstum erstmals seit 16 Jahren zum Stillstand gekommen.

Seit vor gut einem Jahr die Immobilienblase in den USA platzte und die Finanzwelt erschütterte, geht es auch im Vereinigten Königreich mit der Konjunktur bergab: Die Inflation ist im August 2008 erstmals seit Jahren wieder auf 4,4 Prozent gewachsen, die Immobilienpreise sinken rapide, während Energie- und Lebensmittelpreise weiter steigen. Krisenwarnungen und schwache Konjunkturdaten haben nun auch Anfang September das britische Pfund gegenüber dem Euro auf ein Rekordtief fallen lassen. Zeitweise war es nur noch 1,22 Euro wert - so wenig wie noch nie seit Einführung der Gemeinschaftswährung vor knapp zehn Jahren.

Britische Haushalte deutlich schlechter bei Kasse

Hauptgebäude der Bank of England (Quelle: AP)
Staats- und Zentralbank des Vereinigten Königreichs: die Bank of EnglandBild: AP

Auch Stefan Schilbe, Chefvolkswirt der Düsseldorfer Privatbank HSBC, bestätigt, dass sich die Vermögenssituation der Haushalte in Großbritannien deutlich verschlechtert hat. "Wir haben gleichzeitig Probleme im Bankensektor, wo jetzt Abschreibungen auf die Immobilien vorgenommen werden müssen, die man seinerzeit durch Kreditvergabe finanziert hat. Das führt dazu, dass der Bankensektor deutlich vorsichtiger wird, was Neukreditvergabe angeht . So sei die Kreditmöglichkeit, die den privaten Konsum stütze, in dem Maße nicht mehr vorhanden, sagt Schilbe. Er sieht durchaus das Risiko, dass die britische Wirtschaft in eine Rezession abrutscht. Im Hinblick auf die Arbeitsmarktentwicklung, Konsumenten und Unternehmensstimmung seien die Vorzeichen für die nächsten Quartale eher schlecht. "Es ist gut möglich, dass wir im nächsten Jahr vielleicht im Gesamtjahresschnitt nur noch ein Wachstum bekommen, das knapp oberhalb der Nullmarke liegt", so Schilbe.

Wirtschaft steht vor der größten Herausforderung seit 60 Jahren

Ein düsteres Bild malte Ende August auch der britische Schatzkanzler Alistair Darling. Er erklärte, die Wirtschaft auf der Insel stehe vor den größten Herausforderungen seit 60 Jahren. Doch so pessimistisch sieht Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin die Lage nicht: "Wir haben im Moment einige Quartale mit tendenziellem Null-Wachstum vor uns. Aber wenn man das beispielsweise auf Jahresraten sieht, haben wir sowohl in 2008 als auch in 2009 eine positive Wachstumsrate."

Typisch englisches, mit Efeu bewachsenes Haus (Quelle: AP)
Englische Immobilien verlieren zusehends an WertBild: AP

Ein großes Sorgenkind bleibt nach wie vor die Lage auf dem Immobilienmarkt. Erst kürzlich verkündete die größte britische Bausparkasse Nationwide, dass die Hauspreise pro Tag um 150 Pfund - das sind rund 190 Euro - fallen. Der für die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers in London tätige Immobilienexperte Thomas Kallenbrunnen spricht dagegen lediglich von einer Korrektur. Denn es dürfe nicht übersehen werden, dass die Preise auf dem Häusermarkt in den vergangenen fünf Jahren um satte 35 Prozent in die Höhe geschnellt seien, und es nun eine Abwertung von knapp zehn Prozent gebe, so Kallenbrunnen.

Briten wurden auf dem Papier immer reicher

Häuserpreise sind in Großbritannien ein entscheidender Faktor für das Konsumverhalten. Auf der Insel werden Hypotheken über einen kürzeren Zeitraum aufgenommen als beispielsweise in Deutschland. Wird der Kredit erneuert, wird in der Regel dann auch das Haus neu bewertet. Dadurch zogen in der Vergangenheit die Häuserpreise immens an und die Briten wurden auf dem Papier immer reicher und deckten sich mit neuen Krediten an. Durch das Platzen der Immobilienblase hat sich das Blatt gewendet. Nun können viele Briten ihre Kredite nicht mehr bedienen und müssen ihr Eigentum verkaufen – zu wesentlich niedrigeren Preisen. Großbritanniens Premierminister Brown will ihnen jetzt mit steuerlichen Mitteln oder zinsfreien Darlehen helfen.