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Zweifel am Präsidenten

Matthias Sailer13. Oktober 2012

Mit einer Generalamnestie für Revolutionäre und einen Angriff auf den Generalstaatsanwalt versucht Präsident Mursi, sich in Sachen Menschenrechte und Vergangenheitsbewältigung zu inszenieren. Doch es gibt Zweifel.

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Polizeieinsatz in Kairo Foto: AP
Bild: dapd

In Ägypten steigt der Druck auf Präsident Mohammed Mursi, den vielen seit 2011 verhafteten Revolutionären endlich Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Bei den blutigen Straßenschlachten wurden seit Ausbruch der Revolution Tausende von ihnen zum Teil willkürlich verhaftet, misshandelt und vor Militärtribunale gestellt. Diese Gerichte entbehren jeglicher rechtsstaatlicher Prinzipien, so dass die wenigsten Angeklagten einen fairen Prozess bekamen.

Doch Ägyptens Justiz und Sicherheitsdienste sind insgesamt in einem fragwürdigen Zustand. Wie unmenschlich die Polizei mit Inhaftierten umging und es zum Teil noch heute tut, schildert der 26-jährige Ibrahim. Im Februar 2012 wurde er während Straßenkämpfen mit der Bereitschaftspolizei verhaftet: "Als wir in der Polizeistation ankamen, waren wir bereits völlig zusammengeschlagen worden. Ich kam an einen Punkt, an dem ich die Schläge nicht mehr spürte. Am Anfang schlugen sie uns auf den Kopf und auf die Arme. Schließlich kamen wir im Innenministerium an, wo man uns folterte."

Ibrahim in Kairo Foto: Matthias Sailer (DW)
Ibrahim wurde von der Polizei misshandeltBild: DW/Sailer

Dabei hatte Ibrahim noch Glück im Unglück. Über Kontakte erreichten seine Freunde nach vielen Stunden seine Freilassung. Andere sitzen noch heute hinter Gittern und sind der Willkür und Brutalität der Polizei ausgeliefert.

Zweifel an Mursis Motiven

Überraschend hat Präsident Mursi nun eine Generalamnestie erlassen. Nach dieser würden diejenigen, die für Verbrechen "zur Unterstützung der Revolution"  inhaftiert wurden, freigelassen werden. Mohamed Zaraa vom Cairo Institute for Human Rights Studies sieht das Dokument mit gemischten Gefühlen: "Das Dekret ist ein guter Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Aber es ist noch zu früh, um es zu bewerten, weil es bisher nur ein Papier ist. Wir wollen sehen, wie es umgesetzt wird."  

Vor allem die nicht-islamistische Opposition bezweifelt generell, dass der neue Präsident wirklich die Vergangenheit rechtlich bewältigen oder die Menschenrechte stärken will. Viele Opposionelle vermuten, dass es nur um Mursis Umfragewerte geht und verweisen auf den Zeitpunkt des Dekrets: Es wurde kurz nach dem Ende von Mursis ersten 100 Tagen im Amt erlassen. Diese in der Öffentlichkeit diskutierte Hunderttagebilanz fällt eher dürftig aus. Und das gefürchtete Innenministerium hat der Präsident ohnehin kaum reformiert. Durch die Amnestie dürften Mursis Sympathiewerte daher verbessert worden sein.

Mohamed Zaraa vom Cairo Institute for Human Rights Foto: Matthias Sailer (DW)
Mohamed Zaraa: Systematische Reform des SicherheitssektorsBild: DW/Sailer

Außerdem hatten nicht-islamistische Oppositionsgruppen schon vor Wochen eine Demonstration für den 12. Oktober 2012 auf dem Tahrirplatz angekündigt. Sie wollten unter anderem die Freilassung von inhaftierten Demonstranten fordern und hätten Mursi damit bloßgestellt. Die Generalamnestie hat also Druck vom Präsidenten genommen, meint Mohamed Zaraa: "Vielleicht erließ er das Dekret, um sein Image bei einer breiten Schicht von Revolutionsunterstützern und einigen zivilgesellschaftlichen Gruppen zu verbessern."

Ausschreitungen in Kairo am Freitag (12.10.2012) Foto:Khalil Hamra
Bei Straßenkämpfen zwischen Mursis Anhängern und seinen Gegnern gab es am Freitag mehr als 100 VerletzteBild: AP

"Der Generalstaatsanwalt muss angeklagt werden"

Ähnlich kann man auch Mursis - gescheiterten - Versuch interpretieren, den noch aus der Mubarak-Ära stammenden Generalstaatsanwalt Abdel Maguid Mahmoud zu versetzen: Mursi wollte Abdel Maguid als Botschafter in den Vatikan entsenden, da eine Entlassung rechtlich nicht umsetzbar wäre. Abdel Maguid lehnte dies jedoch erfolgreich ab. Wegen politisierter Urteile ist der Generalstaatsanwalt verhasst. Erst am Mittwoch kam er erneut unter Beschuss: In einem Verfahren hatte er 24 Mitglieder des Mubarakregimes angeklagt. Sie wurden beschuldigt, während der Revolution 2011 einen tödlichen Angriff auf Demonstranten organisiert zu haben. Alle 24 Angeklagten wurden jetzt jedoch freigesprochen, da die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise nicht ausreichend waren.

Viele Experten vermuten, dass Abdel Maguid dem Gericht belastendes Material bewusst nicht vorgelegt hat, um Vertreter des Mubarak-Regimes vor Strafe zu schützen. Fatah Nour, ein 25-jähriger Anhänger der Muslimbruderschaft, demonstrierte am Freitag auf dem Tahrirplatz, um die Entscheidung Mursis zu unterstützen: "Ich fordere, dass die Justiz gesäubert wird und der Generalstaatsanwalt muss angeklagt werden."

Proteste in Kairo Foto: Amr Abdallah Dalsh
Proteste gegen Generalstaatsanwalt Abdel Maguid MahmoudBild: Reuters

"Wir brauchen nicht nur ein Dekret hier oder da"

Trotz Amnestiedekret und Angriff auf den Generalstaatsanwalt werfen Menschenrechtler dem Präsidenten vor, die Reform der Polizei und die Verbesserung der Menschenrechtssituation zu vernachlässigen. Keiner dieser Punkte fand sich zum Beispiel im 100-Tage Programm Mursis, sagt Mohamed Zaraa: "Wir brauchen nicht nur ein Dekret hier oder da. Wir brauchen eine systematische Reform des Sicherheitssektors und ein System zur rechtlichen Vergangenheitsbewältigung."

Bisher hat Mursi Menschenrechtsaktivisten und liberale Opposition also nicht überzeugen können, dass es ihm um mehr als nur seine eigenen Beliebtheitswerte geht. Wegen diesem und anderen Themen ist die Stimmung zwischen nicht-islamistischer Opposition und Mursis Muslimbruderschaft unterdessen angespannter denn je: Am Freitag (12.10.2012) kam es auf dem Tahrirplatz während einer kleinen Demonstration zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen beiden Lagern. Es gab über 100 Verletzte.

Ägyptischer Präsident Mohamed Mursi Foto: Spencer Platt
Möchte Mursi nur Sympathiepunkte sammeln?Bild: Getty Images