1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bremst der Ölpreis Reformen im Nahen Osten?

Cathrin Schaer
8. Mai 2022

Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs lassen im Nahen Osten die Kassen klingeln. Denn der Ölpreis ist so hoch wie lange nicht. Doch die sprudelnden Einnahmen könnten eine wirtschaftliche Diversifizierung am Golf verzögern.

https://p.dw.com/p/4AzHq
Irak, Erbil | Ölraffinerie (17.11.2016)
Raffinerie in Erbil (2016): "Bis vor Kurzem herrschte Flaute"Bild: Hamit Huseyin/AA/picture alliance

Zwei Jahre ist es her, da ging dem Irak noch fast das Geld aus. Dabei könnte das Land eigentlich reich sein. Schließlich ist der Irak der fünftgrößte Ölproduzent der Welt. Doch Öl ist die Haupteinnahmequelle. Damit ist der Irak - wie anderer Staaten im Nahen Osten auch - den Preisschwankungen auf dem Welt-Ölmarkt ausgeliefert. Und da herrschte noch bis vor Kurzem Flaute.

Bereits 2015 sagte der Internationale Währungsfonds voraus, dass dem Irak innerhalb von fünf Jahren das Geld ausgehen könnte, wenn er sich nicht vom Ölgeschäft unabhängiger macht und seine Wirtschaft breiter aufstellt. Im Jahr 2020 wurde diese Vorhersage fast zur Realität, als die Ölpreise aufgrund der Corona-Pandemie um mehr als ein Drittel fielen und sich das irakische Nationaleinkommen fast halbierte.

Die Auswirkungen waren immens, finanziert der Irak doch fast seinen gesamten Staatsapparat mit den Öleinnahmen. Der öffentliche Sektor ist einer der größten der Welt. Sieben Millionen Staatsbedienstete und Pensionäre bekommen Auszahlungen. In den letzten Monaten des Jahres 2020 war die Regierung in Bagdad nicht in der Lage, diese Gelder pünktlich zu zahlen - landesweite Proteste waren die Folge.

Irak Bagdad | Konstituierende Sitzung des irakischen Parlaments (09.02.1022)
Konstituierende Sitzung des irakischen Parlaments (im Januar): Konkurrierende politische Interessen als ReformbremseBild: Iraqi Parliament Press Office/Handout/AA/picture alliance

Im Oktober 2020 veröffentlichte das irakische Finanzministerium ein "Weißbuch für Wirtschaftsreformen". Darin wird eine Wirtschaftsreform dringend gefordert. Denn Öl ist keine sichere Bank mehr und wird über kurz oder lang als permanent sprudelnde Geldquelle versiegen, weil immer mehr Abnehmer auf umweltfreundlichere Energien umsteigen wollen.

Pläne für Reformen

Doch noch sieht es anders aus. Die russische Invasion in der Ukraine hat die Ölpreise weltweit auf neue Höchststände steigen lassen. Nach Angaben der Weltbank haben sie sich zwischen Dezember und März, also bis nach Beginn des Ukraine-Kriegs, bereits um 55 Prozent erhöht.

Ein weiterer Anstieg ist möglich, wenn die Europäische Union ein Embargo gegen Öl-Lieferungen aus Russland verhängt. Das wären schlechte Aussichten für Verbraucher in Europa und ein absehbar gutes Geschäft für die Öl- und Gasförderländer am Persischen Golf wie der Irak, Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Saudi Arabien | Werbeplakat in Dschidda mit Kronenprinz Mohammed bin Salman für saudisches Reformprojekt "Vision 2030" (06.12.2019)
Werbeplakat in Dschidda für saudisches Reformprojekt "Vision 2030" (2019): Ehrgeizig und sehr teuerBild: Amr Nabil/AP Photo/picture alliance

So spülte das Öl im März allein dem Irak mehr als elf Milliarden Dollar in die Staatskasse. Ähnlich hohe Einnahmen gab es zuletzt vor 50 Jahren. Die Regierung in Bagdad ist nun in der Lage, alle Rechnungen zu bezahlen. Die zuvor vom Finanzministerium angemahnten Reformen scheinen angesichts des unerwarteten Geldsegens nicht mehr so dringend.

Geld ändert alles

Reformen sind auch in anderen energieexportierenden Ländern des Nahen Ostens geplant. Saudi-Arabien arbeitet seit 2016 an seinem ehrgeizigen und sehr teuren Projekt "Vision 2030", das finanzielle und soziale Veränderungen mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien verbindet.

Robert Mogielnicki
AGSIW-Forscher Mogielnicki: "Kein politischer Wendepunkt"Bild: Kaveh Sardari/AGSIW

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar versuchen, ihre Volkswirtschaften für den Tag zu rüsten, an dem ein Großteil der Welt tatsächlich auf erneuerbare Energien umsteigt. Die Emirate wollen ihre Einnahmebasis verbreitern - mit dem Versuch, das Wirtschaftszentrum der Region zu werden.

Die unerwarteten Mehreinnahmen würden zwar den Reformdruck mindern, sagt Robert Mogielnicki vom Institut für die arabischen Golfstaaten in Washington (AGSIW): "Aber höhere Energiepreise sind kein politischer Wendepunkt."

Der Nahostexperte geht eher davon aus, dass die Einnahmen sogar Reformen erleichtern, die unausweichlich seien. "Es besteht kein Zweifel, dass wir uns auf eine grünere Zukunft zubewegen", so Mogielnicki. "Es ist nur unklar, wann das passieren wird. Deshalb versuchen Öl- und Gasförderländer im Nahen Osten in neue Energiemärkte vorzustoßen, wie zum Beispiel Wasserstoff."

"Blut geleckt"

Die Wirtschafts- und Energieexpertin Karen Young vom Middle East Institute in Washington sieht das ähnlich. Vor allem die Golfstaaten würden die Gunst der Stunde nutzen, so ihre Analyse, und zwar nicht nur dank der höheren Ölpreise, sondern auch wegen der Turbulenzen auf anderen Märkten.

Die Aussicht auf steigende Inflation und Nahrungsmittelknappheit in Verbindung mit höheren Ölpreisen werde die Unterschiede zwischen den Ländern der Region noch verschärfen, sagt Young. Die ölproduzierenden Länder würden Krisen besser überstehen, weil sie über hohe Geldreserven verfügen. Damit seien sie im Vorteil gegenüber ihren Nachbarn. Es sei Teil der Außenpolitik der Golfstaaten, in bestimmten Zeiten Regierungen anderer Länder mit Finanzspritzen und Investitionen zu unterstützen. Und jetzt hätten sie noch mehr Geld für diesen Zweck.

Karte - Golfstaaten - DE

Ägypten zum Beispiel wurde von den Auswirkungen des Ukraine-Krieges besonders hart getroffen und war Ende März gezwungen, seine Währung abzuwerten. Ende des Monats sprang Saudi-Arabien dem Nachbarn zur Seite und zahlte fünf Milliarden US-Dollar bei der ägyptischen Zentralbank ein, um die Wirtschaft des Landes zu stützen. Auch der saudische Public Investment Fund will weiter in Ägypten investieren.

Und Gasförderland Katar, dessen Energieexporte zum ersten Mal seit 2014 einen Wert von 100 Milliarden US-Dollar erreichen werden, hat Ägypten ebenfalls Investitionen von rund fünf Milliarden Dollar zugesagt. Die Golfstaaten hätten Blut geleckt, sagt Karen Young. "Die sind im Grunde auf Einkaufstour."

Inlandsfokus

Aus Expertensicht wird das viele Geld, die Golfstaaten aber nicht zu außenpolitisches Abenteuern verleiten. Es seien eher Investitionen in die eigene Verteidigung und technische Infrastruktur zu beobachten, sagt die Washingtoner Expertin Young.

Im Irak sehe die Sache allerdings anders aus, schränkt Renad Mansour ein. Er ist Projektleiter der Irak-Initiative bei der britischen Denkfabrik Chatham House. Der schwankende Ölpreis sei gar nicht das eigentliche Problem, sondern die verschiedenen Dauermängel in der Regierungsführung, konkurrierende politische Interessen und die Korruption im Irak. Kurzfristig könnte eine gut gefüllte Staatskasse politische Konkurrenten einander näher bringen, da sie nicht miteinander um knappe staatliche Mittel ringen müssten, sagt Mansour.

Aber höhere Öl-Einnahmen dürften die Reformen im Irak weder beschleunigen noch verlangsamen. Auch als das Öl-Geschäft lahmte, habe es im Irak wenig Willen gegeben, einen Wandel einzuleiten, so die Analyse des Chatham-House-Experten.

Adaptiert aus dem Englischen von Arnd Riekmann