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PolitikBrasilien

Brasiliens Justiz verteidigt Umweltschutz

Mirjam Gehrke
30. September 2020

Nicht nur Baumriesen am Amazonas sind durch die aktuelle brasilianische Umweltpolitik akut bedroht. Auch geschützte Mangrovenwälder sollten wirtschaftlich ausgebeutet werden. Ein Gericht hat diese Pläne nun gestoppt.

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Mangrovengebiet Brasilien
14.000 Quadratkilometer Mangrovenwälder schützen Brasiliens Küsten vor ErosionBild: Inga Nordhaus/ZMT

Ginge es nach den Vorstellungen von Präsident Jair Bolsonaro, sähe die brasilianische Atlantikküste aus wie das mondäne mexikanische Seebad Cancún: Dort reihen sich die Hotels wie an einer Perlenkette direkt am Strand entlang auf. Nur wenige Meter weißen Sandes trennen die Pools und Bars vom Meer. In Brasilien verhindern strenge Umweltschutzrichtlinien, zumindest auf dem Papier, dass die Küsten bebaut und die schützende Vegetation zerstört wird. Mit dem Versuch, diese Schutzbestimmungen aufzuheben ist die Regierung in Brasilia vorerst krachend vor Gericht gescheitert.

Korruption und Bestechlichkeit fördern Umweltzerstörung

Unter dem Vorsitz von Umweltminister Ricardo Salles hatte der Nationale Umweltrat Conama Anfang der Woche die aus dem Jahr 2002 stammenden Schutzbestimmungen für die Mangrovenwälder und Dünenlandschaften in Küstengebieten aufgehoben. Diese sehen vor, dass ein 300 Meter breiter Küstenstreifen nicht als Bau- oder Agrarland genutzt werden darf. Über 3200 Quadratkilometer Mangrovenwälder an Küsten und Seeufern sollten, so das Ziel der Regierung, legal bebaut werden können.

Brasiliens Umweltminister Ricardo Salles
Umweltminister Ricardo Salles - Umweltschutz ist nicht seine oberste Priorität Bild: Agência Brasil

Für den Biologen und Mangrovenexperten Guilherme Abuchahla kam die Initiative nicht überraschend: "Auf dem Papier sieht die brasilianische Umweltgesetzgebung tatsächlich Schutzmaßnahmen für viele Ökosysteme vor", so der Biologe, der am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen forscht. "Aber Korruption, Bestechung und mangelnde Rechtsdurchsetzung tragen seit Jahren zur zunehmenden Umweltzerstörung bei. In Naturschutzgebieten werden Garnelenfarmen angelegt, direkt an der Küste werden Hotels und Golfplätze gebaut."

Mangrovengebiet Brasilien
14.000 Quadratkilometer Mangrovenwälder schützen Brasiliens Küsten vor ErosionBild: Inga Nordhaus/ZMT

Ein Umweltrat, der den Weg freimacht für Umweltzerstörung? In Brasilien ist das zurzeit kein Widerspruch: Naturschutz steht bei der Regierung Bolsonaro nicht hoch im Kurs. Seit dem Amtsantritt des Rechtspopulisten im Januar 2019 hat Brasilien seine einstige Vorreiterrolle in der Umweltpolitik in Lateinamerika über Bord geworfen.

"Der Umweltrat Conama ist von einem Instrument für Umweltpolitik zu einem Instrument für die Anliegen von Umweltminister Salles gemacht worden", sagt der Brasilienexperte Thomas Fatheuer im Gespräch mit der DW, "und die dienen nicht der Bewahrung der Umwelt, sondern der Dekonstruktion der bisherigen Gesetzgebung", ergänzt der langjährige Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janiero.

Die Regierung geht dabei durchaus planvoll vor. Umweltminister Salles hatte die Conama schon im vergangenen Jahr neu strukturiert. Statt 93 Mitgliedsorganisationen gehören dem Rat jetzt nur noch 23 an, darunter lediglich vier Umweltorganisationen. Alle anderen Mitglieder sind Vertreter der Bundesregierung, der Bundesstaaten und der Privatwirtschaft.

Dr. Thomas Fatheuer
Brasilienexperte Thomas FatheuerBild: DW

Ökonomie geht vor Ökologie

Vor allem die Immobilienbranche habe ein gesteigertes Interesse an der Aufhebung der Schutzbestimmungen für die Küsten- und Uferregionen gehabt, so Fatheuer: "Viele Luxusimmobilien rund um Seen und an der Küste sind illegal in Umweltschutzgebieten gebaut worden. Nach der Aufhebung der Schutzbestimmungen wäre es leichter gewesen, illegal gebaute Häuser und Wohnungen nachträglich zu legalisieren. Und in Zukunft wäre es noch einfacher geworden, in den bisherigen Schutzgebieten zu bauen."

Brasilien verfügt über insgesamt 14.000 Quadratkilometer Mangrovenwälder. Diese einzigartigen Ökosysteme bestehen aus Bäumen und Sträuchern, die an die Lebensbedingungen an Meeresküsten und Flussmündungen angepasst sind und zahlreiche Tierarten beherbergen: Die Baumkronen bieten Vögeln, Schlangen und Insekten einen Lebensraum. In der sogenannten Gezeitenzone, die von Ebbe und Flut überspült wird, siedeln zahlreiche Muschelarten. Im Wurzelbereich der Mangroven unter Wasser sind Algen und Seeanemonen eine reichhaltige Nahrungsquelle für Langusten, Garnelen und Fische. "Ungefähr 70 Prozent aller Meerestiere, die vom Menschen verzehrt werden können, sind zumindest in einer Lebensphase von den Mangrovenwäldern abhängig", erläutert Biologe Abuchahla die ökologische Bedeutung der Mangroven. "Mangroven schützen die Küsten vor Tsunamis, Wirbelstürmen und Zyklonen und verhindern Erosion. Zudem filtern sie die Nährstoffe und Düngemittel aus der Landwirtschaft, bevor diese das Meer erreichen." Das verhindert das unkontrollierte Wachstum von Mikroalgen, die das Leben im Meer töten können.

Brasilien Mangroven-Wälder im Klimawandel
Muschelernte am Caratingui-Fluss im Bundesstaat Cairu: Die Schalentiere siedeln an den MagrovenwurzelnBild: Reuters/N. Doce

Endstation Justiz

24 Stunden nachdem die Conama die Küstenschutzbestimmungen aufgehoben hatte, wurde der Beschluss vom 23. Bundesgericht in Rio de Janeiro am Dienstag gestoppt. Richterin Maria Carvalho gab einer Klage von Umweltschützern statt, da "ein eindeutiges Risiko eines irreversiblen Schadens für die Umwelt" bestehe.

In der Vergangenheit haben brasilianische Gerichte immer wieder Regierungspläne zu Lasten der Umwelt ausgebremst. International für Schlagzeilen sorgte 2017 die Entscheidung eines Bundesrichters, ein Dekret das damaligen Präsidenten Michel Temer auszusetzen. Der hatte zuvor den Schutzstatus eines Naturschutzgebietes von der Größe Dänemarks aufgehoben um privaten Bergbauunternehmen den Abbau von Metallen wie Gold, Eisen, Mangan und Nickel zu ermöglichen. Damals hatte es heftige internationale Kritik an der Entscheidung Temers gegeben. Die war dieses Mal jedoch ausgeblieben.