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Brasilien hält an Tiefseebohrungen fest

26. November 2011

Das Öl-Unglück vor Brasilien lenkt auch den Blick auf die Politik. Denn die Sicherheit von Tiefseebohrungen ist nicht nur eine technische Herausforderung. Entscheidend ist die Glaubwürdigkeit staatlicher Kontrolle.

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Bohrinsel vor der Küste von Rio de Janeiro (Foto: AP)
Ein Drittel der neu entdeckten Ölvorkommen gehören zu BrasilienBild: AP

Noch bevor die Ölkatastrophe vor der brasilianischen Küste Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit der zuständigen Kontrollbehörden sähen konnte, meldete sich die nationale Erdölagentur ANP zu Wort: "Das Ölunglück ist nicht hinnehmbar und hat sich zu einem ungünstigen Zeitpunkt ereignet: Brasilien strebt in den kommenden zehn Jahren eigene Tiefseebohrungen an", so die ANP-Direktorin Marta Chmbriard.

2007 waren unter der sogenannten Presal-Schicht vor der brasilianischen Küste die größten Öl- und Gasreserven des Landes entdeckt worden. Seitdem arbeitet der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras fieberhaft an der Entwicklung neuer Technologien zur Förderung des schwarzen Goldes in über 7000 Metern Tiefe. Die geologische Beschaffenheit dieser Lagerstätte unterhalb einer dicken Salzkruste erfordert ein neues Förderkonzept sowie neue Techniken, die weniger anfällig sind für Korrosion und hohen Temperaturen und Druckverhältnissen standhalten.

Die Frage, ob die Ausbeutung von Ölreserven in so großen Tiefen auch um den Preis einer möglichen Umweltkatastrophe gerechtfertigt sei, ist in der brasilianischen Öffentlichkeit bislang nicht diskutiert worden. "Die Risiken einer Tiefseebohrung in der Presal-Schicht sind nicht größer als bei anderen Bohrungen in dem Gebiet. Wichtiger als die Technik ist die Kontrolle: Die Regulierungsbehörden müssen unabhängig und fehlerfrei arbeiten", so Martin Tygel vom Institut für Erdölforschung an der staatlichen Universität Campinas im Gespräch mit DW-WORLD.de.

Die zentrale Frage sei demnach keine technische, sondern eine politische, so Tygel: "Um eine Umweltkatastrophe zu verhindern, muss eine absolute Unabhängigkeit gewährleistet sein. Das mangelnde Vertrauen in die Regulierungsbehörden ist nicht allein ein brasilianisches, sondern ein weltweites Problem. Nehmen Sie zum Beispiel den Fall BP in den USA. Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko ist auch auf Fehler in der Kontrolle zurückzuführen."

Mangelndes Vertrauen

Firmenlogo des brasilianischen halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras (Foto: AP)
Petrobras arbeitet an technischen Lösungen für TiefseebohrungenBild: DW/Geraldo Hoffmann

Der Erdölsektor leide unter der "Promiskuität" zwischen den Regulierungsbehörden und den Unternehmen, so Tygels Vorwurf. Und das sei keineswegs ein lokales Problem. "Es geht gar nicht darum, ob Brasilien mehr oder weniger vertrauenswürdig ist. Vertrauen gibt es in diesem Sektor nirgendwo auf der Welt", sagt Tygel und verweist in diesem Zusammenhang auf die Nuklearkatastrophe von Fukushima oder den Ölunfall der Exxon Valdez.

Technisch sei Brasilien durchaus in der Lage, in der Presal-Schicht nach Öl zu bohren, gesteht Tygel seinem Land zu. "Das Problem liegt in den übergeordneten Interessen, das Öl um jeden Preis zu fördern, so schnell wie möglich und ohne Rücksicht auf eventuelle Schäden."

Die brasilianische Erdölagentur ANP hat den Bohrunfall vor der Küste genutzt, um die internationale Aufmerksamkeit auf die gravierenden Fehler von Chevron zu lenken. Das US-Unternehmen ist zu Strafzahlungen in Höhe von insgesamt 150 Millionen Reais (umgerechnet rund 62 Millionen Euro) verurteilt worden. "Hier wird ein Exempel statuiert, um Zweifel an der Seriosität der brasilianischen Behörden zu zerstreuen im Hinblick auf das Bohrvorhaben im Presal-Gebiet", ist sich Tygel sicher. Chevron hatte sich bereits um eine Förderlizenz in diesem Ölfeld beworben. Laut ANP hat der jetzige Unfall jedoch die Chancen des US-Konzerns gemindert. Am Mittwoch (23.11.) hat die brasilianische Regierung dem Chevronkonzern sämtliche Förderlizenzen entzogen. Damit darf das Unternehmen in brasilianischem Hoheitsgebiet vorerst keine Erdölbohrungen mehr vornehmen, teilte die ANP mit.

Der Rausch der Tiefe

Luftaufnahme von dem Ölteppich vor der Küste Brasiliens (Foto: AP)
Nach der Ölkatastrophe hat Chevron seine Bohrlizenzen in Brasilien verlorenBild: AP

Brasilien wähnt sich auf dem Sprung zu einem bedeutenden Ölförderland: Ein Drittel aller in den vergangenen fünf Jahren neu entdeckten Öl- und Gasreserven liegen in brasilianischem Boden. Seit Bekanntwerden der Reserven in der Presal-Schicht streiten die Bundesstaaten untereinander und mit der Zentralregierung um die Verteilung der Ölmilliarden, die bei der Förderung in 5000 bis 7000 Meter Tiefe sprudeln sollen. Auf ein Volumen von acht Milliarden Barrel wird das 800 Kilometer große Ölfeld geschätzt. Die staatliche Petrobras hat mit der Förderung bereits begonnen, wie Finanzvorstand Amir Barbassa bestätigt: Presal deckt derzeit rund zehn Prozent der brasilianischen Ölproduktion. Das bedeutet, dass von den zwei Millionen Barrel, die Petrobras täglich produziert, 180.000 aus der neuen Lagerstätte kommen.

Auf Fragen von DW-WORLD.de zur Verantwortung von Chevron an dem jüngsten Ölunfall gab es von Petrobras keine Stellungnahme. Beide Unternehmen arbeiten in Brasilien eng zusammen. Zu den Risiken von Tiefseebohrungen erklärte Petrobras, "alle unterseeischen Bohreinheiten, die für Petrobras arbeiten, sind mit Sensoren ausgestattet, die das Bohrloch automatisch verschließen und ein unkontrolliertes Ausströmen von Öl verhindern können". Diese Standardformulierung verwendet Petrobras seit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko im April 2010. "Die Reaktionsfähigkeit und die Notfallpläne von Petrobras sind für den größten anzunehmenden Unfall berechnet und berücksichtigen alle Förderstätten, nicht nur die Presal-Schicht", heißt es in der Mitteilung weiter.

Autorin: Nádia Pontes
Redaktion: Mirjam Gehrke