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Brasilien braucht eine Katharsis

Rodrigo Abdelmalack4. Dezember 2015

Staatspräsidentin Dilma Rousseff ist unbeliebt. Aber mangelnde Popularität ist keine Straftat. Das geplante Amtsenthebungsverfahren verschlimmert die politische Krise des Landes, meint Rodrigo Abdelmalack.

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Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (Foto: Getty Images/AFP/E. Feferberg)
Bild: Getty Images/AFP/E. Feferberg

In Brasilia beginnt das Eis zu schmelzen. Nach monatelangen Drohgesten hat der Präsident des brasilianischen Kongresses, Eduardo Cunha, den Beginn eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Staatspräsidentin Dilma Rousseff eingeleitet. Cunha missbraucht damit eindeutig seine politische Macht, um die eigene Haut zu retten. Denn Cunha steht selbst im Zentrum eines Korruptionsskandals rund um den brasilianischen Mineralkonzern Petrobras, der das Land erschüttert. Gegen ihn ermittelt die Ethikkommission des Parlamentes.

Es ist kein Zufall, dass Cunha seine Zustimmung zum Amtsenthebungsverfahren ausgerechnet an dem Tag erteilt, an dem Mitglieder der Regierungspartei PT für Ermittlungen gegen ihn stimmen wollten. Cunha selbst will da keinen Zusammenhang sehen.

Auf Facebook erklärt er, das Amtsenthebungsverfahren sei eine Antwort "auf die Stimme der Straße" und auf die Proteste vom März, April und August. Wenn man bedenkt, dass seitdem bereits einige Monate verstrichen sind, handelt es sich bei dieser Behauptung um eine untypische Verspätung für einen Politiker, der ansonsten zu schnellen Manövern fähig ist.

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Rodrigo Abdelmalack leitet die brasilianische Redaktion

Politik ohne Prinzipien

Abgesehen von den Anschuldigungen gegenüber Staatspräsidentin Dilma Rousseff offenbart die Lage die moralische Krise, in der die brasilianische Politik steckt. Und sie zeigt den perfiden Charakter des Politikers Eduardo Cunha. Ihm wurden trotz gegenteiliger Behauptungen Bankkonten in der Schweiz und Unterschlagung von Geldern nachgewiesen. Für die Verwicklung von Staatspräsidentin Dilma Rousseff in illegale Aktivitäten hingegen gibt es bisher keine Beweise, und dies, obwohl bei der Aufklärung des Korruptionsskandals sehr gründlich ermittelt wird.

Außerdem ist die jüngste Verabschiedung eines Nachtragshaushaltes für das Jahr 2015 ein Zeichen dafür, dass Rousseff sich um Unterstützung vom Kongress bemüht. Sie will verhindern, dass ihre Regierung gegen das Haushaltssicherungsgesetz verstößt. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn die Verfechter des Amtsenthebungsverfahren werfen Rousseff genau dies vor.

Immer tiefer in die Krise

Sicher, man kann der brasilianischen Präsidentin vorwerfen, dass sie in ihren politischen Entscheidungen gegen den Willen ihrer Wählerschaft verstoßen hat. Dies erklärt sicherlich ihre schlechten Umfragewerte. Aber mangelnde Beliebtheit ist keine Straftat.

Im Fall von Eduardo Cunha steht seine Glaubwürdigkeit in Frage. Vielleicht ist seine Entscheidung für das Amtsenthebungsverfahren das Ergebnis seiner zunehmenden politischen Isolierung. Oder es sind schlicht Rachegefühle eines Politikers ohne Prinzipien, der im Parlament religiöse Moralpredigen hält.

Nichts davon jedoch rechtfertigt voreilige Maßnahmen, die das Land ins Chaos stürzen können. Denn ein Amtsenthebungsverfahren würde die ohnehin schon schlechte Wirtschaftslage des Landes weiter verschlimmern.

Aber vielleicht ist diese Katharsis notwendig, damit das Land einen Ausweg aus der Krise findet. Bleibt abzuwarten, wie die Opposition - dieselbe Opposition, die Eduardo Cunha zum Präsidenten des Kongresses gewählt hat, um die Regierung zu schwächen - mit dem Fall umgehen wird. Und ob die Arbeiterpartei PT es schafft, die notwendigen Stimmen zusammen zu bekommen, um den Prozess des Amtsenthebungsverfahrens zu stoppen. Brasilien steht vor wichtigen Entscheidungen.