Bräuche rund ums Weihnachtsfest
Vom 24. bis 26. Dezember feiern die Deutschen Weihnachten – ein christliches Fest voller Symbolik. Doch in der heutigen Konsumgesellschaft gerät die eigentliche Bedeutung zunehmend in Vergessenheit.
„Alle Jahre wieder / Kommt das Christuskind / Auf die Erde nieder, / Wo wir Menschen sind / …“
Schon das Wort „Weihnachten“ verrät, um was es eigentlich geht: „Weihen“ steht für „heilig“, „-nachten“ für mehrere Nächte. Dabei handelt es sich streng genommen nur um eine heilige Nacht – nämlich die vom 24. auf den 25. Dezember, in der Jesus Christus geboren worden sein soll. Dass Christi Geburt auf den 24. Dezember fällt, hat eine tiefe Symbolik, erklärt der evangelische Pfarrer Hans Mörtter:
„Der 24. [ist] der erste Tag, wo es wieder anfängt heller zu werden. Und das ist ’ne sehr symbolische Geschichte, dass Menschen immer wieder Dunkelheit erfahren, also Schmerz, Leid, Trauer, Tod, und dass es da ein Hindurch gibt und einen neuen Morgen. Es wird wieder Licht. Und wir feiern Weihnachten, weil wir als Menschen im Abendland glauben, dass es eine Lichtgestalt Christus gibt, die geboren worden ist und gelebt hat, um uns zu zeigen, dass Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Erde möglich sind, also Licht möglich ist in der Dunkelheit, die uns sonst so oft umfängt, wenn man die Nachrichten täglich sieht.“
Und so war es auch ein hell leuchtender Weihnachtsstern über dem Stall von Bethlehem, der den drei Weisen aus dem Morgenland den Weg zu Jesus’ Krippe wies. Obwohl viele Menschen ihre Wohnung in der Weihnachtszeit mit Sternen schmücken, ist die ursprüngliche Bedeutung, nämlich nach dem göttlichen Licht zu suchen, oft in Vergessenheit geraten. Dabei macht diese Symbolik, so Hans Mörtter, durchaus auch in der heutigen Zeit mit ihren schlechten Nachrichten und persönlichen Lebenskrisen noch Sinn. Nach der Wintersonnenwende ab dem 21. Dezember bleibt es auf der nördlichen Erdhalbkugel jeden Tag ein wenig länger hell. Die Tage werden wieder länger die Tage werden wieder länger redensartlich für: es bleibt länger hell . Pro Woche summiert sich das auf insgesamt elf Minuten. Das Licht spielt in der christlichen Mystik christliche Mystik (f., nur Singular) die Erfahrung der unmittelbaren Gegenwart einer göttlichen Kraft; etwas Geheimnisvolles eine wichtige Rolle, denn nach der Dunkelheit kommt auch im übertragenen Sinn wieder das Licht, es gibt ein Hindurch. Und dann wären da auch noch die grünen Zweige, die an Weihnachten nicht fehlen dürfen, sagt Hans Mörtter:
„Der Weihnachtsbaum ist natürlich das Weihnachtssymbol geworden. Es gibt eigentlich im Winter kein Grün, aber der Tannenbaum ist ewig grün und symbolisiert Leben, Lebenskraft; die roten Weihnachtskugeln: ursprünglich als Symbol für Christi Blut und die Verbindung von roten Weihnachtskugeln und grünem Baum als der Lebenserhalt, als Zukunft auch.“
Der tiefere religiöse Sinn roter Weihnachtskugeln und des Tannenbaums ist vielfach in Vergessenheit geraten. Und kaum noch jemand weiß, dass auch hinter dem Brauch des Schenkens, der Bescherung an Heiligabend, eine christliche Idee steht. Pfarrer Hans Mörtter:
„Das ist Jesus, der uns mit seinem Leben beschenkt. Und man hat die Kinder beschenkt, damit die begreifen: ‚Guckt mal, Leben ist ein Geschenk und das Geschenk des Lebens feiern wir, und deswegen gibt’s Geschenke, aber nicht in der Masse, oder Eltern unter Stress. Was für ’nen Widerspruch zum Sinn dieses Festes wir da eigentlich praktizieren. Ich glaub’, die meisten Menschen wissen es einfach gar nicht mehr. Es ist das Christkind, es ist ein Kind und nicht der dicke fette Weihnachtsmann. Das ist so was von billig, blöd, doof und Ausverkauf unserer Kultur und unserer Geschichte. Das entsetzt mich manchmal. Das ist unsere Konsumgesellschaft: einfach ungeheuer arm und kitschig.“
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg während des Wirtschaftswunders Wirtschaftswunder (n., nur Singular) der überraschende wirtschaftliche Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland ab den 1950er Jahren bis Mitte der 1960er Jahre , als die Menschen wieder genug Geld hatten und die Auslagen der Geschäfte gut gefüllt waren, ging der tiefere Sinn des Geschenkemachens nach und nach verloren. Für Pfarrer Hans Mörtter bedeutet das Schenken in der Masse, der Konsumrausch, in den Menschen alljährlich verfallen, einen Verlust kultureller Werte und Traditionen, einen Ausverkauf. Eine Gesellschaft wird so arm und Weihnachten wird zu einem geschmacklosen, kitschigen, Fest. Statt des Christkindes, bemängelt Pfarrer Hans Mörtter, beherrscht ein dickbäuchiger Mann in roter Kleidung und weißem Rauschebart aus der Werbung die Weihnachtszeit: der Coca-Cola-Weihnachtsmann eines US-amerikanischen Getränkekonzerns. Allerdings zeugen rund 140.000 Briefe aus mehr als 50 Ländern der Welt, die jährlich bei der Christkind-Postfiliale im nordrhein-westfälischen Engelskirchen eingehen, davon, dass der Glaube an das Christkind bei vielen Kindern noch nicht verloren gegangen ist, selbst wenn die Wünsche eher irdisch sind – wie in diesem Brief:
„Liebes Christkind, ich wünsche mir einen Laptop, ein Mountainbike, einen DVD-Player und ein neues Handy. Vielleicht könntest du auch meine kleine Schwester mitnehmen, die immer mein Spielzeug kaputt macht. Und ...“
Obwohl Kinder heutzutage kaum noch auseinanderhalten können, wer eigentlich in der Heiligen Nacht die Geschenke unter ihren Baum legt – der Nikolaus, der Weihnachtsmann oder das Christkind –, fordert Pfarrer Hans Mörtter:
„Dieses Geheimnisvolle, finde ich wichtig, den Kindern zu bewahren: Das fängt damit an, dass man den Weihnachtsmann – oder sagen wir erst mal schon den Nikolaus – nicht inflationieren darf. Und das ist auch nicht der kitschige Coca-Cola-Nikolaus, sondern das ist ’n Bischof aus dem 4. Jahrhundert. Klar, das ist ’ne uralte Figur.“
Das Vorbild für den Coca-Cola-Nikolaus war der Bischof Nikolaus von Myra, der im 4. Jahrhundert in der heutigen Türkei lebte und ein großzügiger Mann gewesen sein soll. Der Legende nach warf er einem Vater, der nicht genug Geld für die Mitgift Mitgift (f., nur Singular) der Besitz, den eine Braut in die Ehe mitbringt seiner drei Töchter hatte, an drei aufeinanderfolgenden Nächten je einen Goldklumpen Klumpen, - (m.) eine formlose, zusammengeballte Masse (z.B. Gold, Lehm, Erde) durchs Fenster. Aber eine Person, die die Geschenke bringt, sollte nicht inflationär, nicht zu häufig, auftauchen, findet Pfarrer Hans Mörtter, sie soll stattdessen geheimnisvoll bleiben. Denn das ist es schließlich, woran man sich auch als Erwachsener noch erinnert:
„Dass dann das Christkindchen immer kam, und meine Mutter dann immer die Glocke geläutet hat und gesagt hat: ‚Jetzt können wir alle reinkommen‘. Sie hat das Christkindchen noch gesehen …, den Flügel, wie er durchs Fenster geflogen ist.“
Bräuche rund ums Weihnachtsfest
die Tage werden wieder länger — redensartlich für: es bleibt länger hell
christliche Mystik (f., nur Singular) — die Erfahrung der unmittelbaren Gegenwart einer göttlichen Kraft; etwas Geheimnisvolles
Wirtschaftswunder (n., nur Singular) — der überraschende wirtschaftliche Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland ab den 1950er Jahren bis Mitte der 1960er Jahre
Mitgift (f., nur Singular) — der Besitz, den eine Braut in die Ehe mitbringt
Klumpen, - (m.) — eine formlose, zusammengeballte Masse (z.B. Gold, Lehm, Erde)