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Politik

Ende eines Beinahe-Skandals

Barbara Wesel
18. April 2018

Das Europaparlament rügt den EU-Kommissionspräsidenten wegen der Selmayr-Affäre. Er hatte seinen engsten Berater durch Blitzbeförderungen zum Generalsekretär der Behörde gemacht.

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Brüssel EU Martin Selmayr
Bild: Reuters/E. Vidal

Die Affäre um den im Februar ernannten Generalsekretär der EU-Kommission, die Journalisten und Beobachter der "Brüsseler Blase" wochenlang in Atem hielt, ist beendet. Das Europaparlament belässt es bei einer Rüge gegen das Verfahren, mit dem Martin Selmayr durch eine Blitzbeförderung Chef der 33.000 Mitarbeiter starken Behörde geworden war. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der Ende März sogar seine eigene Zukunft mit der seines Vertrauten verknüpft hatte, kann sich entspannen. Der Beinahe-Skandal, der ihn am Ende sogar das Amt hätte kosten können, ist abgebogen.

Jagdszenen in Brüssel

Es war eine Handvoll Brüsseler Journalisten, die durch wochenlanges beharrliches Bohren und Nachfragen die Geschichte ins Rollen gebracht hatte. Besonders der langjährige Korrespondent einer französischen Tageszeitung und ein angelsächsisches Nachrichtenportal schienen es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, den Kopf von Martin Selmayr symbolisch auf dem Spieß durch den Pressesaal in der EU-Kommission zu tragen. Die Sache bekam am Ende fast den Beigeschmack einer Privatfehde.

Über Wochen verging keine der mittäglichen Routine-Pressekonferenzen in Brüssel, ohne dass ausführlichste Fragen zu den Details der auffällig blitzartigen Beförderung von Junckers Kabinettschef Selmayr auf den höchsten Verwaltungsposten der EU-Hauptstadt gestellt wurden. Den zunehmend verzweifelten Pressesprechern der Kommission, die deren Entscheidungen darstellen und verteidigen müssen, gingen am Ende irgendwie die Argumente aus, um den steilen Aufstieg des Beamten als "normalen Vorgang" zu rechtfertigen.

Tatsache ist, dass Martin Selmayr, inzwischen wohl der mächtigste Deutsche in Brüssel, eine einmalig steile Karriere machte. Innerhalb von 14 Jahren erklomm er neun Besoldungsstufen auf der gut bezahlten europäischen Beamtenleiter. Angefangen hatte er als Pressesprecher der früheren luxemburgischen EU-Kommissarin Viviane Reding und von dort führte sein Weg steil nach oben. Zuletzt war Selmayr Kabinettschef des Kommissionspräsidenten und galt als Jean-Claude Junckers linke und rechte Hand.

Furor gegen einen Eurokraten

Warum aber so viel Interesse für eine Personalie aus dem Inneren der EU, die normalerweise unbemerkt über die Bühne gehen würde? Es liegt nicht zuletzt an der Person Martin Selmayr selbst, der zwar das Büro des Präsidenten mit machiavellistischer Klugheit verwaltete, Juncker den Rücken frei und Probleme und Kritik von ihm fern hielt, sich aber bei dieser Tätigkeit viele Feinde machte. Er galt als rücksichtslos und hochmütig, wenn auch zielgerichtet, clever und extrem effizient. Für viele ist er der Inbegriff des kalten und abgehobenen Eurokraten.

EU Kommissionschef Jean Claude Juncker Archiv Porträt
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kam mit einer Rüge davon Bild: picture-alliance/dpa/J. Warnand

Seine Schwäche aber schien sein selbstverschuldetes miserables Verhältnis zu einigen Brüsseler Pressevertretern. Selmayr machte aus seinem Herzen öfter mal keine Mördergrube. Einen Spiegel-Korrespondenten soll er vor Zeugen als Armleuchter bezeichnet, andere Kollegen herablassend, unwirsch und hochfahrend behandelt haben. "Er ist smart, aber ein arroganter A…", so heißt die übliche Antwort in Brüssel auf die Frage, warum sich so viele zusammengerottet haben, um den deutschen Juristen vom Thron zu stoßen.

Die eigentlich nebensächliche Affäre nahm dermaßen an Fahrt auf, dass sogar die Bundeskanzlerin bei einem Gipfeltreffen dazu befragt wurde. Selmayr würde keinesfalls immer im Sinne Berlins entscheiden, verteidigte Angela Merkel den Spitzenbeamten, sondern "im europäischen Sinn". Auch sei seine Arbeit hoch anerkannt und sie finde durchaus nicht, dass es zu viele Deutsche in hohen Positionen in Brüssel gebe. Anti-deutsche Gefühle bei einigen internationalen Journalisten schienen nämlich die zweite Triebfeder bei der Hatz gegen Selmayr.

Selbst Emmanuel Macron nahm Stellung zu der Affäre und mahnte zu Transparenz in der EU. Und er fügte hinzu, man müsse natürlich immer auf die geographische Balance bei den Spitzenposten in Brüssel achten. Die Franzosen lassen sich da nicht die Butter vom Brot nehmen.

Hochmut kam doch nicht vor dem Fall

Nach beharrlicher Arbeit vor allem von Liberalen, Grünen und Linken im Europaparlament befasste sich schließlich der mächtige Haushaltsausschuss mit der Selmayr-Saga. Mutmaßungen gingen um, der Beschluss könne so scharf werden, dass der Beamte zum Rücktritt gezwungen würde und damit der Kommissionspräsident selbst im Amt gefährdet sei.

Aufgrund der Stimmen aus der großen EVP-Fraktion von Konservativen und Christdemokraten gemeinsam mit anderen, die die Sache am Ende für überzogen hielten, kam Juncker am Ende mit einer Rüge davon. Die Ausschussvorsitzende Ingeborg Grässle schreibt ihm allerdings ins Stammbuch, dass künftige Berufungen in der Kommission in "offenen und transparenten Verfahren" ablaufen müssten. Sie solle ihre Verwaltungsabläufe überprüfen und Gleichbehandlung garantieren. Allerdings habe man keine Rechtsgrundlage dafür gefunden, Selmayrs Rücktritt zu verlangen.

Damit ist das Kapitel vorerst geschlossen. Der große Knall am Ende, auf den manche gehofft hatten, blieb aus. Der frisch gebackene Generalsekretär der EU-Kommission sollte allerdings eine Weile den Kopf eher nicht über die Tischkante heben. Vielleicht schenken ihm seine Kollegen ja einen Sinnspruch für sein neues Büro: Hochmut kommt vor dem Fall. Jedenfalls war der unaufhaltsame Aufsteiger Martin Selmayr kurz davor, einen tiefen Sturz zu tun.