1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Boris Nemzow: "Russland braucht energischen Wahlkampf"

24. Januar 2008

Im Gespräch mit DW-Russisch spricht das Mitglied der oppositionellen Union Rechter Kräfte (SPS), Boris Nemzow, über das Verhältnis zwischen Staatsmacht und Opposition sowie über deren Chancen bei der Präsidentenwahl.

https://p.dw.com/p/CxBM
Boris Nemzow bedauert Schwäche der OppositionBild: DW / Morozov

DW-Russisch: Herr Nemzow, wie bewerten Sie die politische Lage in Russland?

Boris Nemzow: Im Lande herrscht das Regime eines autoritären Kapitalismus lateinamerikanischen Typs. Die Kreml-Anhänger nennen es souveräne Demokratie, aber das Wesen dieser "Demokratie" ist folgendes: Die Grundlagen der Verfassungsordnung sind zerstört, der Verfassungsartikel über den Föderationsstaat wird verletzt, denn nach der Abschaffung der Gouverneurswahlen haben wir einen Zentralstaat. Außerdem wird der Artikel über die Gewaltenteilung verletzt. In den größten Medien herrscht totale Zensur. Verletzt wird auch der Artikel über politischen Wettbewerb, Parteienvielfalt und faire Wahlen.

Und wie sehen Sie die Lage im Wirtschaftsbereich?

Im der Wirtschaft setzt man auf Monopole unter staatlicher Beteiligung und auf eine radikale Einmischung der Bürokratie in die Wirtschaft. Die Korruption hat dramatische Ausmaße angenommen. Gleichzeitig fließen aufgrund der sehr günstigen Konjunktur auf den Absatzmärkten für russische Rohstoffe im Ausland Gas- und Petrodollar in die russische Wirtschaft, was das Wirtschaftswachstum fördert. Dieses Wirtschaftswachstum geht auf die gewaltigen Erdöleinnahmen zurück, die Russland erzielt. Dies ermöglicht Renten- und Lohnzahlungen, was ein wichtiger Grund für die Popularität Putins ist. Man meint oft, dass die Zensur der Hauptgrund für die Popularität Putins ist. Das stimmt aber nicht, sie ist einer der Gründe. Der Hauptgrund ist, dass die Großmütter – und es gibt 38 Millionen Rentner – wenigstens 300 Rubel sehen. Aber auch die deutlich erkennbare Einkommenssteigerung der Menschen ist ein Grund für die Popularität Putins.

Was stellt heute die Opposition dar?

Es gibt im Lande eine Opposition. Es gibt eine linke und es gibt eine demokratische Opposition. Diese ist zersplittert und schwach. Sie konnte sich nicht einmal für die Parlamentswahlen konsolidieren. Das ist auch ein Grund dafür, dass sich die Staatsmacht so dreist verhält, weil sie in der politischen Opposition im Lande selbst keine Gefahr für sich sieht. Deshalb ist es Aufgabe der demokratischen Opposition, sich zu konsolidieren und eine auf der demokratischen Flanke dominierende Oppositionskraft zu schaffen.

Auf welcher Grundlage könnte man die Opposition konsolidieren?

Auf der politischen Bühne des demokratischen Spektrums agieren am stärksten vier Kräfte: die "Union Rechter Kräfte" (SPS), die Partei "Jabloko", die "Vereinigte Bürgerfront" und die "Volksdemokratische Union" (NDS) von Kassjanow. Es gibt Persönlichkeiten wie Wladimir Ryschkow, es gibt auch Menschenrechtler und die liberale Intelligenzija.

Warum kandidieren Sie nicht bei den Präsidentschaftswahlen?

Ich bin immer dafür eingetreten, dass es nur einen Kandidaten von der demokratischen Opposition gibt. Nach langen Beratungen mit Kassjanow bin ich zum Schluss gekommen, dass es unmöglich ist, sich auf ein Verfahren zu einigen, damit nur noch ein Kandidat übrig bleibt. Ich wollte keine Situation schaffen, in der es zwei Kandidaten der Demokraten gibt. Ich habe dann meine Kandidatur zurückgezogen.

Welche Chancen hat Kassjanow bei den Präsidentschaftswahlen?

Sehr viel wird davon abhängen, wie er den Wahlkampf führen wird. Wenn er, was allgemeine demokratische Werte betrifft, undeutlich sein wird, die Vorzüge eines Rechtstaats nicht hervorheben wird, dann hat er überhaupt keine Chance. Ich bin der Ansicht, dass der Wahlkampf nur unter einem Motto geführt werden muss: Bekämpfung der Korruption. Wenn der Wahlkampf unter diesem Motto geführt wird, dann wird er überzeugend sein, dann werden Kassjanows Chancen stark steigen, dann ist eine Stichwahl möglich. Unter diesem Motto könnte das schlafende Russland, das mit Petrodollar ruhiggestellt ist, erwachen. Aber dafür muss man einen sehr energischen, deutlichen und überzeugenden Wahlkampf führen.

Das Gespräch führte Sergej Morosow