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Politik

Blogger bleibt zur "Sicherheit" in Haft

Ismail Azzam | Kersten Knipp
24. Juli 2019

Der islamkritische Blogger Walad Mohamed Amkhitir kommt auch nach der Verbüßung seiner Haftstrafe nicht frei. Die Regierung begründet dies mit dem Schutz der Bevölkerung. Landsleute fordern die Todesstrafe für Amkhitir.

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Mauritanien Protest
Religiös motivierter Protest in Mauretanien (Januar 2015)Bild: Getty images/AFP/A. O. Mohamed Elhadj

Seine Strafe hat Walad Mohamed Amkhitir abgesessen. Im Januar 2014 war der junge Mauretanier verhaftet worden. Kurz zuvor hatte er sich auf Facebook kritisch mit den politischen Rivalitäten religiöser Führer aus der Frühzeit des Islam auseinandergesetzt. Wegen angeblich blasphemischer Äußerungen war er im Dezember des Jahres von einem Gericht zum Tode verurteilt worden. Dagegen ging Amkhitir in Berufung. Im Jahr 2017 erreichte er, dass die Todesstrafe in eine zweijährige Haftstrafe umgewandelt wurde. Doch obwohl er seine Haftstrafe vollständig verbüßt hatte, sitzt Amkhitir noch immer im Gefängnis.

"Uns ist bewusst, dass er aus rechtlicher Sicht freigelassen werden sollte. Aber aus Sicherheitsgründen können wir nicht das Leben von mehr als vier Millionen Mauretaniern aufs Spiel setzen", sagte Staatspräsident Mohammed Ould Abdel Aziz. "Millionen von Mauretaniern gingen auf die Straße, um seine Hinrichtung zu fordern. Seine Freilassung würde bedeuten, dass das Chaos im Land Wurzeln schlagen würde", erklärte er.

Haft an unbekanntem Ort

"Amkhitir wird wie ein Entführter an einem unbekannten Ort gefangen gehalten", sagte sein Anwalt Mohamed Ould Amin im Gespräch mit der Deutschen Welle. Zuvor hatte Amkhitir im mauretanischen Fernsehen sein Bedauern bekundet, sich im Internet kritisch über den Islam geäußert zu haben. Angeblich tat er das, um die Chancen auf seine Freilassung zu erhöhen. Sein Anwalt allerdings ist skeptisch: "Wir wissen nicht, ob er diese Äußerung wirklich freiwillig getan oder nicht."

Mauretanien |  Präsidentschaftswahlen
Rechtfertigt die weitere Haft Amkhitirs: Mauretaniens Präsident Mohamed Ould Cheikh AhmedBild: Getty Images/AFP/S. Kambou

In einem gemeinsamen Brief an den mauretanischen Staatspräsidenten kritisierten im Juni mehrere Menschenrechtsorganisationen, unter ihnen Amnesty International und Human Rights Watch, die weitere Inhaftierung Amkhitirs. "Anstatt ihn freizulassen, verlegten die Behörden Mkhaitir in Einzelhaft an einem unbekannten Ort", heißt es in dem Brief. "Seinen Anwälten wurde die Erlaubnis verweigert, ihn zu besuchen. Nach Angaben seiner Familie leidet er an körperlichen Schmerzen, psychischen Traumata und Grünem Star, in dessen Folge er erblinden könnte, sollten die Behörden eine angemessenen medizinischen Versorgung weiterhin verhindern."

Ein umstrittener Facebook-Eintrag

In seinem Facebook-Post aus dem Jahr 2013 hatte Amkhitir die Entstehungszeit des Islam mit religiöser Diskriminierung verknüpft. Die Befehlshaber des Kuraisch-Stammes - ihm gehört auch der islamische Religionsstifter Mohammed an - hätten damals befohlen, Angehörige des Quraiza-Stammes zu töten. Die Quraiza besaßen die fruchtbarsten Teile der Oasen um Medina. Der Religionsstifter Mohammed habe seine Zustimmung zu dem Massaker gegeben und dieses beaufsichtigt.

Das Massaker wird in mehreren nicht-kanonischen Texten aus der Frühzeit des Islam erwähnt. Die genauen Hintergründe und Motive der Tat sind in der Wissenschaft allerdings umstritten. Heute hat sich die Deutung durchgesetzt, das Massaker sei nicht religiös, sondern machtpolitisch motiviert. Viele Mauretanier werfen ihrem Landsmann vor, die Quellen nicht hinreichend geprüft zu haben. Seine Argumentation ist aus ihrer Sicht fragwürdig.

Todesstrafe im Namen der Scharia

Das Urteil gegen Amkhitir war unter Mitwirkung muslimischer Geistlicher ergangen. In einem gemeinsamen Statement fordern mehrere Religionsgelehrte, die Rechtsprechung auf Grundlage der Scharia solle allein den Geistlichen vorbehalten sein.

Die derzeitige Rechtsprechung fußt in weiten Teilen auf der Scharia. Artikel 306 des mauretanischen Strafgesetzbuches sieht für Apostasie, den Abfall vom Glauben, die Todesstrafe vor. Bis vor kurzem sah ein Zusatzartikel die Umwandlung der Todesstrafe für den Fall vor, dass der Angeklagte sein Verhalten "bereue". Diesen Artikel hat die Regierung aber abgeschafft.

Mauretanien |  Präsidentschaftswahlen
An der Urne: Präsidentschaftswahlen in Mauretanien, 22. Juni 2019Bild: Getty Images/AFP/S. Kambou

Die Demonstranten, die Amkhitirs Tod forderten, seien an religionshistorischen Debatten allerdings wenig interessiert, sagt die Menschenrechtsaktivistin Amna Mint Mukhtar im DW-Gespräch. Viele hätten den Facebook-Artikel wohl nicht einmal gelesen. Ihnen gehe es um etwas anderes: "Wenn ein Mensch auf Grundlage der Scharia verurteilt worden ist, dann sollte dieses Urteil ihrer Auffassung nach auch vollstreckt werden."

Die Regierung versuche den Fall Mohamed Amkhitir politisch auszuschlachten, sagt Amna Mint Mukhtar. Sie habe die Bürger zu den Demonstrationen zumindest mit angestiftet. Auf ihnen hielten einige Teilnehmer Plakate mit der Aufschrift "Tod dem Verräter" hoch. Auch mehrere politische Parteien hätten im Wettrennen um die Wählergunst - Ende Juni fanden in Mauretanien Präsidentschaftswahlen statt - die Stimmung ist angeheizt.

Soziale Spannungen

In die Proteste mischen sich auch soziale Spannungen. Amkhitir gehört den so genannten "Muallimin" an, einer Bevölkerungsgruppe, die die traditionelle Handwerksberufe praktiziert. Seit Jahrzehnten sehen sich die Muallimin durch eine auf Industrialisierung setzende Gesetzgebung an den Rand gedrängt.

Mkhaitir gehört zudem der ethnischen Gruppe der Haratin an, der Nachkommen der Sklaven in der westlichen Sahara. Der Name "haratin" leitet sich von "hurr", "frei", ab - eine Anspielung auf die erst spät freigelassenen Sklaven. Zudem steht der Begriff in semantischer Beziehung zu den "Baidan", den "weißen" Beduinen. So spiegelt der Name bis heute bestehende ethnische und soziale Gegensätze in Mauretanien.

Human Rights Watch berichtet zu Beginn dieser Woche über weitere Verhaftungen. Demnach hielten die mauretanischen Behörden eine Woche lang mindestens drei Journalisten fest. Diese hatten die Präsidentschaftswahl Ende Juni als unfair kritisiert. Auch schalteten die Behörden das Internet ab und verhafteten Dutzende Aktivisten der Opposition. Gründe für die Verhaftungen nannten die Behörden nicht.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika