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Blauer Brief aus Brüssel

Gerda Meuer22. Januar 2002

Deutschlands Nimbus als europäischer Musterschüler ist in Gefahr: Der deutsche Staat macht zu viele Schulden. Jetzt droht eine peinliche Warnung aus Brüssel.

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Vergeht ihm bald das Lachen? Finanzminister Hans EichelBild: AP

Der damalige Bundesfinanzminister Waigel hatte es 1997 gegen harte Widerstände der EU-Partner durchgepaukt: Die Europäische Union einigte sich auf den sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt. Kern dessen ist die Forderung an die EU-Staaten, einen ausgeglichenen oder besser noch überschüssigen Haushalt vorzulegen. Denn damals ging die Angst um, vor allem die Staaten Südeuropas könnten mit einer zu laschen Haushaltspolitik die Stabilität der neuen Währung Euro gefährden.

Deutschland bald im Abseits?

Seit drei Wochen leben die Europäer mit dem Euro auch im Alltag, und das überraschend reibungslos und zufrieden. Doch die harten Bandagen der Stabilitätskriterien drohen nun deren einstigen Verfechter Deutschland ins Abseits zu stellen. Denn knapp fünf Jahre nach der Initiative Waigels kommt der damalige Vorzeigeschüler Deutschland gefährlich nahe an die Grenzen des Stabilitätspakts. Günstige Prognosen gehen in 2002 von einem deutschen Haushaltsdefizit von 2,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) aus, während die EU-Kommission sogar mit 2,7 Prozent rechnet. Die Obergrenze des Stabilitätspaktes liegt bei 3 Prozent, und sobald diese Marke von einem EU-Staat erreicht wird, drohen als Sanktionen saftige Geldstrafen.

Doch auch für Kandidaten, die unmittelbar vor der 3-Prozent-Marke stehen, hat die EU ein Verfahren entwickelt, das sogenannte "early warning". Im Deutschen wird dies "Blauer Brief" genannt, in Anlehnung an die Verwarnung von Schulkindern, deren Versetzung gefährdet ist. Und die Frage, die die Brüsseler EU-Szene zur Zeit bewegt, lautet schlicht: Ist Deutschland mit 2,5 oder auch 2,7 Prozent Defizit nun ein Kandidat für den Blauen Brief oder nicht. Es wäre jedenfalls ein Präzedenzfall, denn bislang ist noch kein EU-Staat mit einem blauen Brief abgemahnt worden, nur die Iren erhielten vor einem Jahr eine Rüge. Allerdings aus umgekehrtem Grund, denn der Konjunkturboom auf der grünen Insel ging den EU-Währungswächtern zu weit.

Noch ist nichts entschieden

Endgültig entscheiden wird die EU-Kommission im Falle Deutschlands erst am 30. Januar. Doch zur Zeit deutet trotz aller Spekulationen über eine Abmahnung des ehemaligen Musterschülers nichts auf einen solchen Schritt hin. Zwar ist nicht zu übersehen, dass Berlin inzwischen in Sachen Haushaltsdefizit Schlusslicht in der EU ist. Selbst Portugal, Griechenland und vor allem Spanien schneiden deutlich besser ab. Doch Währungskommissar Solbes müsste den Deutschen eine grobe Verletzung der Haushaltsdisziplin nachweisen und das dürfte ihm schwer fallen. In deutschen Diplomatenkreisen in Brüssel sieht man ohnehin keinen Grund für einen blauen Brief. Das geschehe nur dann, wenn in einem Land die tatsächliche Gefahr bestehe, über drei Prozent zu kommen. Und das sei in Deutschland nicht der Fall, hieß es in Brüssel.