Essen im Müll
3. April 2009Um sieben Uhr morgens verlassen zwei LKW den Firmenhof der Bielefelder Speisereste-Verwertung. Am Steuer sitzt Siegfried Wißbrock, in seinem LKW ist Platz für sechs Kubikmeter Essensreste. Wißbrock ist unterwegs zum Restaurant "Bradweder Hof". Zweimal in der Woche holt er hier Essen ab. Essen, das die Gäste haben liegen lassen.
Von der Konsum- zur Wegwerfgesellschaft
Er steuert den LKW rückwärts auf den Restaurant-Parkplatz. Gemeinsam mit dem Küchenchef geht er zur Garage. Hier stehen zwei hellgrüne Tonnen, beide sind prall gefüllt mit Essensresten - insgesamt 480 Liter: braune Salatblätter, eine in Ketchup getunkte Curry-Wurst, gammeliger Kartoffelbrei, ein halbherzig abgenagtes Kotelett in ranziger Blumenkohl-Soße.
Vorbei sind die Zeiten, als sich hinter jedem Gasthaus noch ein Schwein an den Speiseresten labte und eines Tages selbst wieder auf den Tellern der Gäste landete. Diese Direkt-Verwertung der Essensreste ist längst verboten. Stattdessen werden die Speisereste getrennt gesammelt und von Unternehmern wie Wißbrock abtransportiert.
Neue Verordnung der EU
Hauptberuflich ist Wißbrock Landwirt. Am Stadtrand von Bielefeld steht sein Bauernhof: eine Schweinezucht mit 500 Tieren. Hier werden in zwei großen Hallen die Speisereste gesammelt, zerkleinert und verwertet. Früher habe er die Speisereste an die Schweine verfüttert, sagt Wißbrock. Nachdem er sie eine Stunde lang auf 90 Grad Celsius erhitzt habe, um Keime und Krankheitserreger abzutöten.
Doch seit dem 1. November 2006 ist das verboten: Seuchengefahr. Das Verbot beruht auf der EU-Verordnung mit dem sperrigen Namen 1774 aus 2002. Seither wandern die Speisereste in Biogas-Anlagen.
Veterinärarzt Hans-Helmut Jostmeyer kontrolliert regelmäßig den Betrieb von Siegfried Wißbrock. Seiner Meinung nach ist die EU mit der Verordnung ein wenig über das Ziel hinausgeschossen, denn gerade in Deutschland sei die Erhitzung der Speisereste zum Schutz vor Schweinepest und Maul- und Klauenseuche sehr weit fortgeschritten gewesen. "Aber es war ein politischer Beschluss innerhalb der EU, dass man dieses Risiko gänzlich ausschließt und daher der Speiseresteverfütterung ein Ende bereitete", sagt er.
Ein geschlossener Kreislauf
Viermal in der Woche wird der 30-Kubikmeter-Behälter von Wißbrock leer gepumpt. Der Brei aus Essensresten landet in einer modernen Biogas-Anlage: Hier werden die Speisereste auf 70 Grad erhitzt, so dass Gas entweicht. Mit diesem Bio-Gas werden Generatoren angetrieben, die Strom erzeugen.
Der vergärte Rest, immerhin 80 Prozent, landet als Dünger auf den Feldern. Was dabei aber verloren ginge, seien die Proteine, die früher die Schweine bekommen hätten, erklärt Wißbrock. "Und dafür werden jetzt an anderer Stelle der Welt Regenwälder abgeholzt, um Sojaschrot für die Schweine und Rinder anzubauen."
Autor: Godehard Weyerer
Redaktion: Julia Kuckelkorn