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1971: Willy Brandt trifft Leonid Breschnew auf der Krim

Bendikowski, Tillmann23. September 2013

Wir stellen jede Woche ein Bild vor und erzählen seine Geschichte. Diesmal gehen wir zurück in das Jahr 1971: Willy Brandt trifft Leonid Breschnew auf der Krim.

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Willy Brandt und Leonid Breschnjew während einer Bootsfahrt auf dem Schwarzen Meer vor der Halbinsel Krim (18.09.1971); Copyright: Ullstein
Bild: Ullstein

Ist das ein Anblick? Stolz zeigt der Hausherr seinem Gast die Schönheiten seiner Heimat. Gastgeber ist der sowjetische Staats- und Parteiführer Leonid Breschnew, zu Besuch ist Bundeskanzler Willy Brandt. Es ist der 18. September 1971, ein warmer Spätsommertag – und die beiden Staatsmänner machen eine Bootspartie auf dem Schwarzen Meer. Der Blick geht auf die Schönheiten der Krim – doch so recht genießen kann Brandt sie nicht. Und das liegt nicht an dem sowjetischen Diktator…

Der Besuch selbst beginnt fast freundschaftlich: Breschnew, offenkundig um ein neues Image bemüht, empfängt den Kanzler in betont harmonischer Atmosphäre. Untergebracht wird der Besucher in der Sommerresidenz Oreanda, in der sich die mitgereisten Journalisten erstmals frei umschauen dürfen. Breschnew und Brandt gehen sogar gemeinsam im Schwarzen Meer baden. Aber während der sowjetische Führer sich fast kumpelhaft um den Kanzler bemüht, bleibt dieser während des dreitätigen Besuchs zumeist steif, wirkt beinahe hölzern.

Normal ist so ein Treffen 1971 noch keineswegs. Dabei hat Brandts neue Ostpolitik längst Fahrt aufgenommen: 1970 war zunächst der Moskauer Vertrag geschlossen worden, in dem Moskau und Bonn die bestehenden Grenzen in Europa festgeschrieben haben. Dann folgte mit Warschau das Übereinkommen zur Normalisierung der beiderseitigen Beziehung unter Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. In Westdeutschland liegen vor allem wegen der heftig attackierten "Preisgabe" der ehemaligen deutschen Ostgebiete die Nerven blank. Und die freundschaftlich wirkenden Bilder von der Krim schüren bestehende Ressentiments: Die Kritiker sehen den Kanzler arglos mit dem russischen Bären tanzen, unterstellen ihm politische Blauäugigkeit und Verrat an deutschen Interessen. Der Kanzler "sät Hass", ätzt etwa der "Bayernkurier", er "zerstört den innenpolitischen Frieden, bereitet leichtfertig den Weg zu unseligen Weimarer Verhältnissen".

Bekanntermaßen ist kein Bundeskanzler im eigenen Land so angefeindet worden wie der einstige Emigrant Brandt. Seine Reise auf die Krim hat denn auch keine konkreten politischen Folgen, das war auch nicht zu erwarten. Sie ist nicht mehr (aber auch nicht weniger) als ein weiterer Baustein einer mühsamen Annäherung, der vielleicht eines Tages zu einer Normalisierung führt. Das ist im September 1971 schon viel. Für manche damals aber schon zu viel.