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Bilanz: Russland 10 Jahre im Europarat

2. März 2006

Seit dem 28. Februar 1996 ist Russland Mitglied des Europarats. Heute werfen viele europäische Politiker und Menschenrechtler Moskau immer noch vor, nicht alle 1996 übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen.

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Die Russische Föderation ist dem Europarat als 39. Mitgliedsland beigetretenBild: AP

Nach Ansicht des Grünen-Abgeordneten im Deutschen Bundestag, Rainder Steenblock, nimmt Russland im Europarat eine immer aktivere Rolle ein, aber die Einhaltung der Menschenrechte habe sich in den letzten zehn Jahren in Russland verschlechtert. In einem Gespräch mit DW-WORLD.DE kritisierte der deutsche Politiker Moskaus Tschetschenien-Politik, den Gerichtsprozess gegen Michail Chodorkowskij sowie das neue Gesetz zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen.

Steenblock zufolge ist Europa über die Lage der Menschenrechte in Russland äußerst besorgt. Die Vertreter Moskaus im Europarat würden jedoch jegliche Kritik an der russischen Führung schmerzhaft empfinden. Anstatt sich der Kritik konstruktiv anzunehmen, würden sie eine Verteidigungshaltung einnehmen, so der deutsche Abgeordnete.

Lage in Gefängnissen verbessert

Seit dem Beitritt zum Europarat vor zehn Jahren habe Russland eine Reihe wichtiger Gesetze verabschiedet, mit denen der Schutz der Menschenrechte im Lande verbessert worden sei, unterstrich der Russland-Experte der deutschen Sektion von Amnesty International, Peter Franck, gegenüber DW-WORLD.DE. Aus seiner Sicht verdienen die Gewährleistung einer größeren Transparenz in Gerichtsverfahren, die wesentliche Reduzierung der Anzahl der Häftlinge in den Gefängnissen sowie die Überführung der Einrichtungen des Strafvollzugs in die Zuständigkeit des Justizministeriums besondere Aufmerksamkeit. Gleichzeitig seien die Haftbedingungen in Russland immer noch äußerst schwer, stellte Franck fest.

Todesstrafe nicht abgeschafft

Der deutsche Menschenrechtler kritisiert ferner die russische Regierung dafür, dass viele Verpflichtungen, die Russland im Jahr 1996 mit seinem Beitritt zum Europarat übernommen hat, immer noch nicht erfüllt sind. So sei Russland das einzige Mitgliedsland des Europarats, das den Punkt der Europäischen Menschenrechtskonvention über die Abschaffung der Todesstrafe nicht ratifiziert habe. Es gelte lediglich ein Moratorium: niemand werde zum Tode verurteilt, aber juristisch gesehen sei die Todesstrafe nicht abgeschafft. Franck machte darauf aufmerksam, dass im Fall Nurpasch Kulajew, der an der Besetzung der Schule in Beslan beteiligt gewesen war, der stellvertretende russische Generalstaatsanwalt Nikolaj Schepel für den Angeklagten die Todesstrafe gefordert hatte. Dass ein hochrangiger Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft dies gefordert habe, mahne zur Vorsicht und wecke ernste Zweifel, ob Russland die Zusagen gegenüber dem Europarat tatsächlich einhalten wolle, so Franck.

Amnesty International kritisiert außerdem, dass in Russland die Berichte des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) nicht veröffentlicht werden. Delegationen des Komitees reisten bereits 13 Mal zu Inspektionen nach Russland. Aber die Russische Föderation habe im Unterschied zu allen anderen Mitgliedern des Europarats nur ein Mal darum gebeten, die Ergebnisse der Prüfungen vorzulegen, unterstrich Franck.

Menschenrechtsverstöße in Tschetschenien

Ende Januar dieses Jahres machte die Parlamentarische Versammlung des Europarats erneut auf grobe Menschenrechtsverstöße in Tschetschenien aufmerksam, die unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung begangen würden. Allein die Tatsache, dass in Russland keine Bereitschaft bestehe, Verbrechen aufzuklären, für die die Sicherheitsorgane verantwortlich seien, stelle schon einen Verstoß gegen die Menschenrechte dar. Das habe auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte so festgelegt, betonte Franck.

Menschenrechtler sind außerdem über das in Russland verabschiedete Gesetz zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen besorgt. Die Zeit wird zeigen, wie sich das Gesetz in der Praxis auswirken wird. Aber der Prozess gegen einen der Vorsitzenden der Gesellschaft für russisch-tschetschenische Freundschaft, Stanislaw Dmitrijewskij, sei ein äußerst schlechtes Zeichen, meint Franck.

Wie dem auch sei, Russland bleibe Mitglied des Europarats. Ob der Europarat wieder einen konsequenten Schutz der Menschenrechte fordern werde oder eine Politik doppelter Standards vorziehen werde, sei offen, sagte abschließend Peter Franck von Amnesty International.

Natalija Koroljowa
DW-WORLD.DE/Russisch, 28.2.2006, Fokus Ost-Südost