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Big Bang des Musiktheaters

Bettina Kolb6. März 2014

Wenn es ihn gibt, den Urknall des Musiktheaters, ist es diese Oper: "Einstein on the Beach" von Robert Wilson und Philip Glass. Jetzt gastiert das Gesamtkunstwerk in Berlin.

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Einstein On The Beach
Bild: 2012 Pomegranate Arts/Lucie Jansch

Premierenabend in Berlin: Das Publikum stürmt nahezu den Theatersaal, während schon sphärische Klänge aus dem Orchestergraben aufsteigen. Am rechten Bühnenrand zwei Darstellerinnen, die in endloser Folge Zahlen und scheinbar unzusammenhängende Sätze wiederholen: "Would it get some wind for the sailboat. And it could get for it is."

Der Auftakt zu fünf Stunden Oper, inszeniert von Robert Wilson, komponiert von Philip Glass. Seit der Premiere 1976 in Avignon wurde "Einstein on the Beach" äußerst selten gespielt, obwohl die Oper als eines der künstlerischen Meisterwerke des 20. Jahrhunderts gilt. Die Musik dröhnt wie ein sich wiederholendes, kosmisches Synthesizer-Gewitter, oder schwebt mit zarten Tönen der Holzblasinstrumente, aber immer entfaltet sie hypnotische Kraft. Diese Musik zu spielen bedarf es das Ensemble von Philip Glass. Der Chor singt Silben in endloser Schleife, die Tänzer agieren wie in einem Wiederholungszwang der immer gleichen Bewegung, während hell erleuchtete Objekte langsam durchs Bild schweben oder kraftvolle Blitze erzeugen. Das Licht steht für Robert Wilson am Anfang wie die Zeit. Nicht im linearen Sinn sondern gekrümmt, relativ wie bei Einstein, den Wilson einen der "Götter unserer Zeit" nennt.

Theater - Einstein on the Beach
Spaceship - eine Szene aus "Einstein on the beach"Bild: Pomegranate Arts

Die Oper ist Gesamtkunstwerk

Nach etwa eineinhalb Stunden wird es im Berliner Festspielhaus unruhig. Teile des Publikums verlassen den Saal. Kein Affront, es gehört schlicht dazu. Bei dieser Inszenierung dürfen die Menschen kommen und gehen. Es gibt keine Pause. Also wandern die Zuschauer heraus und hinein. Beim Gastspiel im französischen Montpellier hat das meist junge Publikum den Abend gar zu einem Happening wie in den 1970er Jahren werden lassen, mit Sushi, Drogen und ganz ohne Ehrfurcht. Ihr Mythos eilt der Oper voraus.

So vielschichtig wie die scheinbar sinnentleerten Monologe ist die Geschichte. Es gibt kein klares Narrativ. Keinen Anfang, kein Ende. "Einstein soll man nicht verstehen", sagt Wilson, "es ist okay, wenn das Publikum darin verloren geht." Theater ist für ihn die Freiheit der persönlichen Deutung, nicht die Erklärung eines Zustands. Die Oper ist ein Gesamtkunstwerk aus Klang, Tanz, Poesie, Architektur und Licht. Das war in den 1970ern eine Revolution. Aus den Avantgarde-Laboren der New Yorker Hinterhöfe und den Fabriketagen-Happenings der Performance Szene flutete eine neue Ära des Musiktheaters hinaus in die Welt.

Oper Einstein on the beach 02

Grundstein für Ausnahmekünstler

Mit der Wucht des Erfolgs hatten Wilson und Glass nicht gerechnet. "Man hielt uns für die Barbaren der Kunstwelt, die da vor den Toren stehen", sagt Philip Glass. Gefeierte Barbaren, die mit dieser Oper ihren Ruf als Ausnahmekünstler begründeten. Auch heute hat die Oper nichts von ihrer Magie verloren.

Tableaus entfalten sich: Es wird Gericht gehalten, ein Bett entschwebt als leuchtender Streifen ins All, ein Raumschiff lässt Raum und Zeit zurück. Zwei Schauspielerinnen rezitieren Texte, die von einem autistischen Teenager, Christopher Knowles, verfasst wurden. Einstein wird verkörpert von Violinistin Jennifer Koh, deren virtuoses Spiel Raum für Emotionen lässt, ohne sie zu schaffen.

Eine Oper, die man sehen muss. Sie lässt sich schwer beschreiben. Nach 1984 und 1992 ist dies die dritte Wiederaufnahme von "Einstein on the Beach", eine Rekonstruktion der Uraufführung von 1976. Obwohl sie sich nicht vom Original unterscheidet, hat sich doch etwas geändert. Dank neuer Lichttechnik leuchtet "Einstein" kraftvoller als je zuvor.

Oper Einstein on the beach 01

Neu sind auch geänderte Choreographien von Lucinda Childs, die bereits 1976 als Darstellerin und Tänzerin dabei war. Seit 2012 tourt das Ensemble mit der Neuauflage durch drei Kontinente. Berlin ist der vorläufig letzte Stopp. Als Auftakt zum Festival "Märzmusik". "Man muss einen Gang runter schalten, um diese Oper zu genießen", sagt Lucinda Childs. Genau, denn seit Einsteins Relativitätstheorie wissen wir: Die Zeit verlangsamt sich, je schneller wir reisen.