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Politik

Bianca Jagger: "Mörderische Regierung in Nicaragua"

Carolina Chimoy
17. Juli 2018

Der Staatsapparat in Nicaragua nutze Kriegswaffen gegen Demonstranten, sagt Bianca Jagger im DW-Interview. Sie gehört zu den prominentesten Nicaraguanern, die gegen die Ortega-Regierung auf die Straße gingen.

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Nicaragua Bianca Jagger im Gespräch mit der DW
Bianca Jagger im Gespräch mit DW-Reporterin Carolina Chimoy in LondonBild: DW/D. Lopez

Hunderte Demonstranten sind in den letzten Wochen in Nicaragua gestorben - mutmaßlich durch den Einsatz sogenannter "Todesschwadronen". Die linke Regierung von Daniel Ortega reagierte mit Gewalt auf die Massenproteste im Land, bei denen junge Menschen besonders aktiv sind. Deshalb gibt es immer wieder Angriffe auf Studenten.     

Bianca Jagger, die Präsidentin der Stiftung "Bianca Jagger für Menschenrechte" und ehemalige Ehefrau des Rolling-Stones-Sängers Mick Jagger, möchte die Weltöffentlichkeit für den blutigen Konflikt in ihrem Heimatland sensibilisieren. Vor einigen Wochen hat sie selbst in den Straßen der Hauptstadt Managua demonstriert. "Nicaragua war ein sicheres Land, aber viele wussten nicht, dass Präsident Daniel Ortega zu einem Diktator geworden ist", sagt sie im Gespräch mit der DW in ihrem Büro in London. "Er hat viele kritische Verfassungsänderungen vorgenommen, um an der Macht zu bleiben. Der repressive Staatsapparat nutzt jetzt auch Kriegswaffen, wie Uzis und AK47, um gegen die Demonstranten vorzugehen, die nur Steine und Schleudern haben. Ich habe es selbst gesehen." 

Unabhängige Experten sollen rund 300 Todesfälle klären

Die Krise in Nicaragua rückt nun bei mehreren internationalen Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch in den Mittelpunkt. In einer Pressemitteilung erklärte auch UN-Generalsekretär António Guterres: "Die Anwendung tödlicher Gewalt ist nicht nur inakzeptabel, sondern auch selbst ein Hindernis für eine politische Lösung der gegenwärtigen Krise." Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Seid al-Hussein, geht sogar weiter und sagt, dass "echte Schritte" unternommen werden müssen, um weitere Todesfälle in Nicaragua zu verhindern. Die Gewalt gehe von der Regierung, der Polizei und regierungsnahen Schlägertrupps aus, sagt Al-Hussein. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini fordert einen nationalen Dialog - doch die Regierung in Nicaragua wendet sich sogar gegen die sonst so einflussreiche katholische Kirche.

Wegen der dramatischen Lage fliehen noch mehr Menschen als früher aus Nicaragua nach Nordamerika. US-Präsident Trump hat deshalb auch direkt so reagiert, wie er das meistens tut: mit Sanktionen. Diese wurden gegen drei Mitglieder des Ortega-Clans verhängt - wegen mutmaßlicher Korruption und Menschenrechtsverletzungen. Ihre Vermögenswerte in den USA wurden eingefroren und sie dürfen nicht in die Vereinigten Staaten einreisen. Ähnlich ging Washington gegen die repressive sozialistische Regierung in Venezuela vor.  Auch auf diplomatischer Ebene ist die Haltung Washingtons klar: Das Personal der US-Botschaft in Managua wurde aus Nicaragua abgezogen. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat die aktuelle Situation nicht nur verurteilt, sondern auch eine Gruppe von unabhängigen Experten nach Nicaragua geschickt, um die Umstände der rund 300 Todesfälle zu klären und herauszufinden, was mit den Verschwundenen passiert ist.

Nicaragua Protest in Managua
Proteste in Managua: Die Demonstranten geben nicht auf Bild: picture-alliance/dpa/C. Herrera

"Wir brauchen einen ehrlichen Verhandlungspartner"

"Grausamkeiten zu beobachten" sei aber nicht genug, mahnt Bianca Jagger: "Daniel Ortega und seine Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo müssen für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Das ist eine brutale mörderische Regierung. Der nationale Dialog zur Friedensfindung funktioniert nicht. Wir brauchen einen ehrlichen Verhandlungspartner." Die Regierung greife diejenigen an, die bereit seien, zu verhandeln. "Die einzige Lösung, die ich sehe, ist, dass Daniel Ortega zurücktritt und wir neue Präsidentschaftswahlen ausrufen - und zwar so bald wie möglich", sagt Bianca Jagger im DW-Interview.

Vor einigen Wochen ist Bianca Jagger aus ihrem Geburtsland zurückgekehrt. Sie wohnt schon seit Jahrzehnten in Großbritannien, aber ihr Herz hängt weiterhin an Nicaragua. Deshalb hat sie in Managua protestiert. In ihrem Büro in London nimmt sie persönlich jeden Anruf aus Nicaragua an und verteidigt ihre Landsleute. "Wenn du weißt, dass jemand bereit ist, eine friedliche Demonstration am Muttertag anzugreifen, bei der Familien und Kinder anwesend sind, dann weißt du auch: Diese Person ist in der Lage, absolut alles zu tun, um ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen", warnt Bianca Jagger.  

Seit einigen Tagen ist Nicaragua in westlichen Medien präsenter- einiges erinnert an die Lage im ölreichen Venezuela, das fest zur Regierung von Ortega in Nicaragua steht. 

Daniel Ortega kämpfte einst auf der Straße gegen den damaligen Diktator Anastasio Somoza. Viele haben das Gefühl, die Geschichte wiederhole sich gewissermaßen - unter umgekehrten Vorzeichen: Jetzt ist Ortega derjenige, der die Macht nicht loslassen kann. Die Demonstranten hingegen folgen seinem Beispiel von 1979, als er auf den Straßen Nicaraguas sein Leben riskierte und gegen den damaligen Alleinherrscher siegte.